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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Le Concert Olympique

Jan Caeyers

Die Grammatik Beethovens

Der belgische Dirigent pflegt mit seinem Orchester „Le Concert Olympique“ einen ganz eigenen Beethoven-Ansatz.

Die 1000 Plätze im Antwerpener DeSingel sind ausgebucht für einen langen Abend: Fast drei Stunden dauert die Rekonstruktion des Akademie-Konzerts vom 5. April 1803 im Theater an der Wien. Und dabei lassen Jan Caeyers und seine Musiker einen Programmpunkt – Beethovens Erste – schon weg. Zu Gehör kommen das c-Moll-Klavierkonzert mit Kristian Bezuidenhout, die zweite Sinfonie sowie das Oratorium „Christus am Ölberg“ mit dem Arnold Schoenberg Chor Wien. Es ist ein Heimspiel für die Musiker, aber von Routine kann keine Rede sein bei ihrem mitreißenden, rasch pulsierenden Beethoven-Spiel, das sich der heute gern als Ausweis von Informiertheit gepflegten Mode der Ruppigkeit aber versagt. Zwischen Anspielprobe und Marathon-Konzert ist Zeit für ein Interview mit Jan Caeyers in seiner Garderobe.

RONDO: Ihre Biografie „Beethoven. Der einsame Revolutionär“ gilt als Meilenstein der Beethoven-Literatur. War Beethoven schon immer Ihr Favorit?

Jan Caeyers: Meine Liebe zu Beethoven hat sich sehr allmählich entwickelt, über Dezennien. Ich habe früher ein breites Repertoire dirigiert.

RONDO: 2010 haben Sie „Le Concert Olympique“ gegründet und konzentrieren sich mit diesem Orchester fast ausschließlich auf Beethoven. Warum?

Caeyers: Je mehr man sich mit Beethoven beschäftigt, desto mehr merkt man, dass die Exzellenz, die man dafür braucht, eine gewisse Exklusivität erfordert. Das Problem im Musikleben ist doch, dass fast alle Orchester eigentlich eine Methodik haben, mit der sie heute Mozart, morgen Mahler und übermorgen Kurtág spielen und proben. Bei Bach gibt es keine Diskussionen mehr, jeder weiß, dass das eine sehr spezifische musikalische Sprache ist, die man lernen muss. Aber bei Beethoven ist das noch nicht so. Alle traditionellen Orchester glauben, dass sie Beethoven spielen können. Gewiss auf hohem Niveau, aber eben nur routiniert. Und deshalb habe ich ein Orchester gegründet, wo wir alle Parameter so bestimmen können, dass wir der Grammatik Beethovens gerecht werden können.

RONDO: Es gibt heute zwei Möglichkeiten, Beethoven zu spielen: mit modernen Orchestern, die mehrheitlich noch in der Karajan-Tradition denken, oder historisch informiert, klein besetzt und aufgeraut. Wo sehen Sie sich da?

Caeyers: Man muss einen Unterschied machen zwischen dem Instrumentarium, das man benutzt, und der Art und Weise, wie man damit umgeht. Harnoncourt war am Anfang ja fanatisch, und auch bei uns in Belgien und Holland gab es viele Anhänger der Doktrin, dass Alte Musik nur mit historischen Instrumenten legitim ist. Später kamen die Spezialisten dann zu der Erkenntnis, dass die Beherrschung der musikalischen Sprache viel wichtiger ist! Dass man nämlich auch mit den richtigen Instrumenten falsch spielen kann.

RONDO: Ihr Orchester spielt auf modernen Instrumenten. Was ist Ihnen wichtig im Hinblick auf die „Sprache“?

Caeyers: Ich versuche bei den Proben zu vermitteln, dass die Musiker bei jedem Ton genau wissen müssen, wie sich dieser Ton zum Ganzen verhält, in welche Richtung das musikalische Geschehen läuft. Ich achte sehr darauf – ohne Analytiker- Seminare zu halten –, den Musikern zu sagen, welche Rolle sie spielen in dem Theaterstück. Das hat natürlich mit historischer Aufführungspraxis zu tun und mit dem Verständnis der Sprache.

RONDO: Mit anderen Worten: Es geht um Rhetorik?

Caeyers: Ja, und um das Umsetzen der Rhetorik. Bei den Streichern gibt es ja Hunderte von Arten, ein Sforzato zu spielen! Und bei den Bläsern geht es um Artikulation und Farbe.

RONDO: Sie nutzen die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis, denken diese aber weiter mit modernen Instrumenten?

Caeyers: Natürlich sind die Musiker geschult in historischer Aufführungspraxis. Was mich aber noch umtreibt: Es gibt eine wissenschaftliche Studie darüber, was eigentlich passiert mit dem Klang, wenn wir heute in diesen großen Sälen spielen. Es ist physikalisch nachweisbar, dass in großen Sälen die tiefen Stimmen Klangenergie verlieren. Für ein Orchester, das die gleiche Wirkung hätte wie damals im Palais Lobkowitz, bräuchten wir eigentlich 40 Kontrabässe. Ich denke, wenn wir heute Beethoven spielen, haben wir viel zu wenig Tiefe und Dunkelheit im Klang.

RONDO: Also haben wir den Originalklang noch längst nicht erreicht?

Caeyers: Die Rekonstruktion des Originalklangs ist fast unmöglich. Davon abgesehen, dass wir heute ja ein ganz anderes Gefühl von Dissonanz haben. Wer Strawinski und Schostakowitsch im Ohr hat, besitzt eine völlig andere Vorstellung von Konsonanz und Dissonanz als in der Beethovenzeit.

RONDO: Was bedeutet das für Sie in der Konsequenz?

Caeyers: Dass wir gezwungen sind, eine zeitgenössische Sprache zu finden, die ein Kompromiss ist zwischen dem, was damals geklungen hat, und dem, was heute realistisch, machbar und überzeugend ist.

RONDO: Le Concert Olympique ist bisher ein Projektorchester. Soll sich das ändern?

Caeyers: Nein! Wir kommen sehr bewusst nur drei, maximal vier Mal im Jahr zusammen. Selbst wenn morgen Geld vom Himmel regnen würde, wollte ich dennoch nicht mehr machen. Denn die Exzellenz ist untrennbar verbunden mit Exklusivität! Die Musiker kommen her, als ob es zwei Wochen nichts anderes gibt auf der Welt. Das ist ein Fest, und es entsteht eine Art Symbiose.

leconcertolympique.eu

Auf Gipfeltour

Jan Caeyers bezeichnet sich als Dirigent, der auch Musikwissenschaftler ist, und nicht umgekehrt. Der Name seines Orchesters verdankt sich der 1780 gegründeten Pariser Konzertvereinigung „Le Concert de la Loge Olympique“, die bei Joseph Haydn sechs Sinfonien in Auftrag gab. Dazu Jan Caeyers: „Ich glaube, dass Haydns Pariser Sinfonien die ersten modernen Sinfonien sind. Und Haydn war die wichtigste Inspirationsquelle für Beethoven. Aber der Name hat auch eine andere sehr schöne Bedeutung. Denn es geht bei uns um das Zusammenkommen von gleichgesinnten Leuten, die sich sozusagen auf dem olympischen Berg treffen. Das sagt etwas über die intellektuelle und spirituelle Dimension unseres Projekts.“

Regine Müller, 28.10.2017, RONDO Ausgabe 5 / 2017



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