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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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An die Spitze, ganz ohne Allüren: Mariss Jansons (c) Peter Meisel/BR

Pasticcio

Ein Freund der Menschen und der Musik

2013 wurde Mariss Jansons zu gleich zwei besonderen Terminen eingeladen. Zum einen wurde ihm in einer Feierstunde das Bundesverdienstkreuz verliehen. Zudem bekam der damals frischgebackene 70-Jährige den renommierten wie hochdotierten Ernst von Siemens-Musikpreis verliehen. Auch für diese Auszeichnung bedankte sich Jansons natürlich – und verriet, dass er das Preisgeld in Höhe von 250.000 Euro in ein Zukunftsprojekt investieren wolle, das inzwischen mehr als deutliche Konturen angenommen hat. Mit der von Jansons bereitgestellten Viertelmillion wird ein neuer Konzertsaal in München finanziert, der 2021 eröffnet werden soll. Für Jansons erfüllt sich damit ein Herzenswunsch. Endlich sollen er und das von ihm geleitete BR-Symphonieorchester ein neues Zuhause auf akustisch exzellentem Niveau besitzen. Wobei die Musiker den Saal hoffentlich lange gemeinsam auf Herz und Nieren erproben und bespielen können. Denn 2021 steht nicht nur die Eröffnung an. 2021 läuft Jansons‘ Vertrag als Chefdirigent des renommierten ARD-Klangkörpers aus. Sage und schreibe 18 Jahre wird der gebürtige Lette dann das Münchner Klassik-Leben maßgeblich geprägt und das ohnehin gehörige internationale Renommee seines Orchesters um ein Vielfaches gesteigert haben.
Dass Mariss Jansons im Alter von dann 78 Jahren allein an der Isar auf eine so lange Wegstrecke zurückblicken kann, ist im Gegensatz zum schnelllebigeren Fußballtrainer-Geschäft im Klassik-Betrieb keine Seltenheit. Immerhin wird sich gegen Ende der laufenden Saison Simon Rattle nach 16 Jahren von seinen Berliner Philharmonikern verabschieden. Trotzdem drückt sich auch in der intensiven Musikerehe mit dem BR-Symphonieorchester eine Wertschätzung aus, die Jansons wie nur ganz wenige Dirigenten seiner Klasse durchweg bei den besten Orchestern, aber auch beim Publikum genießt. Wohl nur noch Claudio Abbado, der übrigens wie Jansons in Wien beim legendären Hans Swarowsky studiert hat, wurde so einhellig verehrt. Und allein die Hymne, die der Konzertmeister des Amsterdamer Royal Concertgebouw Orchestras, Vesko Eschkenazy, einmal auf seinen ehemaligen Chef gesungen hat, spricht Bände: „Jansons ist ein ganz besonderer Mensch und Dirigent, der für ehrliche Musik, perfekte Organisation der Probenzeit und atemberaubende Aufführungen steht. Das Publikum ist immer ganz ergriffen von seiner Persönlichkeit und seiner Art und Weise, Musik zu machen.“
Die Bewunderung von Mariss Jansons hat natürlich viele Gründe. So gehörte der 1943 im lettischen Riga geborene Sohn einer Opernsängerin und eines seinerzeit angesehenen Dirigenten nie zu denjenigen Pultstars, die sich als solche empfunden oder inszeniert haben. Jansons ist ein akribischer Arbeiter, der viel von seinen Musikern verlangt. Dennoch sind von ihm keine despotischen An- und Ausfälle überliefert. Schließlich weiß er nur zu genau, wie man ein Orchester mitreißen und zu Höchstleistungen animieren kann: „Sie brauchen eine innere Energie, eine Elektrizität, die Sie dem Orchester vermitteln: diese kommt verstärkt vom Orchester zurück, und so entwickelt sich das große Feuer.“
An diesem Credo hält Jansons seit nunmehr einem halben Jahrhundert fest – seit seinem Gewinn des Karajan-Dirigierwettbewerbs im Jahr 1971. Und in diesen fünf Jahrzehnten sind ihm nicht nur mit allen Weltklasse-Orchestern unzählige Sternstunden geglückt, wenn er die Wiener Klassik, die deutsch-österreichische Romantik oder die klassische, insbesondere die russische und französische Moderne dirigiert. Gleich auf seiner ersten europäischen Station machte er ab 1979 in Oslo aus dem Provinz- ein Top-Orchester. Nach festen Engagements beim London Philharmonic Orchestra (1992 - 1997) und dem Pittsburgh Symphony Orchestra (1997 - 2004) übernahm er dann zunächst 2003 das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und ein Jahr später und bis 2015 schließlich das Koninklijk Concertgebouworkest.
Wenngleich Jansons regelmäßig Angebote aus aller Welt erhält, konzentriert sich seine Tätigkeit mittlerweile auf lediglich vier Orchester. Neben denjenigen in Amsterdam und München sind es die Philharmoniker aus Berlin und Wien, die das Glück haben, mit diesem Musiker und Menschenfreund zu musizieren. Und warum er zu den absoluten Lieblingen der Spitzenorchester gehört, hat wohl keiner besser beschrieben als 2007 der Wiener Philharmoniker Clemens Hellsberg in einer Laudatio: „Das Orchester richtet sich an ihm nicht nur musikalisch auf, sondern auch charakterlich.“ Am 14. Januar feiert Mariss Jansons nun seinen 75. Geburtstag. Und wer weiß: vielleicht wird er 2023 dann ja im neuen Münchner Konzerttempel zusammen mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks seinen 80. Geburtstag begehen – egal, ob als Chef- oder als Ehrendirigent.


Top 3 der Mariss Jansons-Diskographie:

Mariss Jansons: Live – The Radio Recordings 1990 – 2014 (Werke von Beethoven, Brahms, Mahler, Messiaen, Berio u.a.; Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam; 13 CDs + 1 DVD) – RCO/Naxos

Strawinski, Schtschedrin: „Der Feuervogel“, Klavierkonzert Nr. 5 (mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Denis Matsuev) – Sony

Schostakowitsch: Sinfonien Nr. 1 – 15 (mit den Berliner Philharmonikern, Wiener Philharmonikern, Symphonieorchester des BR, Philadelphia Orchestra u.a.; 10 CDs) – Warner

Guido Fischer



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