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N° 1354
20. - 29.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Nikolaj Lund

Eldbjørg Hemsing

Sprechender Klang

Die norwegische Geigerin setzt sich nicht nur mit ihrer neuen Aufnahme für Hjalmar Borgstrøms Violinkonzert ein und geht nun auf Tour.

Der Frühling in Tromsø ist ein mitteleuropäischer Winter: Minus 10 Grad herrschen in der arktischen Region, nachts leuchten Nordlichter am tiefschwarzen Himmel, aber tagsüber strahlt die Sonne. Eldbjørg Hemsing hat gerade mit dem Arctic Philharmonic unter der Leitung von Eivind Gullberg Jensen Hjalmar Borgstrøms Violinkonzert geprobt, ein betörend melodiöses, mit herben nordischen Untertönen durchwirktes Konzert, das die 28-Jährige aus jener Versenkung holen will, in der es viel zu lange ruhte. Ihr Ton ist warm und leuchtend, besitzt seidigen Glanz und höchste dynamische Flexibilität.

RONDO: Welches Instrument spie- len Sie?

Eldbjørg Hemsing: Eine Guadagnini von 1754, eine Leihgabe der Dextra Musica Foundation.

RONDO: Wann haben Sie die Geige für sich entdeckt?

Hemsing: Es gab für mich immer nur die Violine. Ich bin in einer sehr musikalischen Familie groß geworden, meine Mutter ist Geigerin, und meine ältere Schwester und mein Bruder spielen auch Geige. Ich stamme aus einem sehr kleinen Ort, einem Dorf mit 700 Einwohnern mitten im Nirgendwo oben in den Bergen. Wenn meine Mutter Konzerte hatte, kam es vor, dass wir keinen Babysitter hatten und so kamen wir immer mit und sind so in der Konzertatmosphäre groß geworden.

RONDO: Und wann haben Sie dann mit dem Unterricht angefangen?

Hemsing: Mit fünfeinhalb Jahren. Meine Mutter hat ein bisschen mit mir geübt, und dann hatte ich gleich meinen allerersten öffentlichen Auftritt, als ich sechs war. Und zwar vor der königlichen Familie im Osloer Nationaltheater! Danach habe ich mit dem Unterricht in Oslo begonnen.

RONDO: Wann wussten Sie, dass Sie die Geige zum Beruf machen würden?

Hemsing: Das war sehr früh schon klar. Ich hatte auch von Anfang an sehr viel Spaß an diesem Leben, auch an den Erfahrungen, die man macht durch das Reisen.

RONDO: Erinnern Sie sich an Ihren ersten Kontakt mit klassischer Musik?

Hemsing: Meine Mutter hat uns immer in den Schlaf gesungen und gespielt. Ich erinnere mich, wie sie am Bett saß. Aber natürlich hatten wir auch viele CDs zuhause.

RONDO: Die Geige ist ein Instrument mit großen Anfangsschwierigkeiten, ist das nicht sehr schwer für ein Kind?

Hemsing: Es ist eine Herausforderung, aber der Geigenklang ist der schönste überhaupt! Es braucht Zeit. Aber das eine ist, den Klang zu produzieren. Das andere ist, einen sehr persönlichen Klang zu entwickeln. Darum geht es. Mit vielen Farben und Variationsmöglichkeiten.

RONDO: Wie war das mit dem ersten Auftritt vor der Königlichen Familie? Das klingt nach einem Märchen, wie kam das zustande?

Hemsing: Gute Frage, ich habe nie über das Warum nachgedacht. Und ich weiß es auch tatsächlich nicht. Es ist irgendwie passiert. Aber ich kann mich sehr gut an das Gefühl erinnern, wie wir – meine Schwester und ich – auf die Bühne des Nationaltheaters zugehen am Nationalfeiertag, dem 17. Mai. Das ist immer eine große Zeremonie, alle tragen Trachten, der Zuschauerraum war aber total dunkel, ich konnte niemanden sehen. Aber ich konnte deutlich diese Energie spüren, die Erwartung. Am meisten nervös gemacht haben uns die Benimm-Regeln, das Hofzeremoniell, denn wir wollten ja alles richtig machen. Dann spielten wir zwei Stücke für zwei Violinen: ein Volksstück aus dem Dorf, aus dem ich stamme. Und das andere habe ich vergessen.

RONDO: Haben Sie ein Vorbild als Geigerin?

Hemsing: Viele, aus vielen unterschiedlichen Gründen: Ich bin immer sehr berührt von David Oistrach, ich denke, sein Künstlertum ist einzigartig. Unter den Lebenden habe ich viele Vorbilder. Ich liebe AnneSophie Mutter, Janine Jansen und Lisa Batiashvili, die sehr unterschiedlich sind, ich weiß.

RONDO: Wer war Ihr wichtigster Lehrer?

Hemsing: Boris Kuschnir in Wien, ein Schüler der alten russischen Schule. Er lehrte mich nicht nur, das Instrument zu spielen, sondern alles über die Musikalität, die wahre Liebe zur Musik.

RONDO: Wie haben Sie das Borgstrøm-Konzert entdeckt?

Hemsing: Zufällig! Ein Freund der Familie ist Dirigent und ein großer Borgstrøm-Fan. Er hat die Original- Partituren Borgstrøms lesbar gemacht. Einen Teil davon gab er mir. Und eines Tages wurde ich neugierig und öffnete die Partituren, die schon Staub angesetzt hatten. Und dann sah ich, dass ein Violinkonzert darunter war. Es ist wirklich sehr schöne Musik. Es erinnert mich an etwas und zugleich ist es ganz anders als alles, was ich sonst kenne.

RONDO: Sie spielen sehr rhetorisch, als hätten Sie Erfahrungen in historischer Aufführungspraxis?

Hemsing: Vielleicht liegt es daran, dass ich auch die alte norwegische Hardangerfiedel spiele?

RONDO: Jedenfalls setzen Sie das Vibrato sehr gezielt ein?

Hemsing: Das ist nicht leicht! Aber die Differenzierung ist mir wichtig, ich möchte ja sprechend spielen, Geschichten erzählen.

RONDO: Warum leben Sie jetzt in Berlin?

Hemsing: Weil es die wichtigste Musikstadt dieser Zeit ist, es ist ein aufregender Ort, es passiert so viel dort. Und viele Freunde leben inzwischen dort, es ist zentral in Europa. Ein Hotspot.

Neu erschienen:

Hjalmar Borgstrøm, Dmitri Schostakowitsch

Violinkonzerte

Eldbjørg Hemsing, Wiener Symphoniker, Olari Elts

BIS/Klassik Center Kassel

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Leipziger Romantik in Oslo

Der 1864 in Oslo geborene Komponist Hjalmar Borgstrøm ging mit 23 Jahren nach Leipzig, um am dortigen Konservatorium zu studieren. Dort sog er die zentraleuropäische Musiktradition in sich auf und war begeistert von Brahms, Wagner und der Programmmusik Franz Liszts. Zurück in Norwegen, wollte dort seine nun durch die westliche Tradition geprägte Musik nicht mehr recht zünden, und so arbeitete er als hoch angesehener Musikjournalist für verschiedene Osloer Zeitschriften. Borgstrøm komponierte neben jenem süffigen, dennoch sehr nordisch klingenden Violinkonzert auch zwei Opern, zwei Sinfonien, sinfonische Dichtungen, ein Klavierkonzert, Klavier- und Kammermusik sowie Lieder.

Regine Müller, 31.03.2018, RONDO Ausgabe 2 / 2018



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