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N° 1354
20. - 29.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Lin Gothoni

Dejan Lazić

Volltreffer

Als Kind strebte der Kroate beim Kicken dem genialen Spielgestalter Michel Platini nach – heute sucht der Pianist das große Ganze in der Musik.

RONDO: Wer wird Fußball-Weltmeister?

Dejan Lazić (lacht): Eine gute Frage – einigen wir uns auf ein Finale Deutschland gegen Kroatien? Ich hoffe vor allem, dass die Kroaten sich zusammenreißen, denn die haben eine bessere Mannschaft, als es die Resultate zeigen. Gerade die junge Generation finde ich genauso gut wie die erfolgreiche 98er-Elf um Davor Suker – wofür wir uns entschuldigen … (lacht)

RONDO: … Entschuldigung angenommen – Sie sprechen von der deutschen 0 : 3-Niederlage gegen Kroatien im Viertelfinale der WM 1998 in Frankreich …

Lazić: … diese Generation war wirklich fantastisch! Und ich finde, jetzt nach 20 Jahren könnten wir noch ein bisschen weiterkommen.

RONDO: Sie selbst waren ja auch leidenschaftlicher Fußballer – treffen Sie sich nach wie vor freitags mit Musiker-Kollegen in Amsterdam zum Kicken?

Lazić: Ja, das machen wir immer noch – wobei ich versprochen habe, dass ich drei Tage vor einem Konzert nicht spiele … Aber wenn wir unterwegs sind auf Tour, gibt es oft ein paar Kollegen und Freunde, mit denen ich diese Leidenschaft teile. Und bevor wir Tempofragen fürs Konzert klären, ist dann natürlich immer die erste Frage: Habt Ihr ein Fußballteam (lacht)?

RONDO: Klingt alles sehr entspannt – dabei haben Sie schon als Fünfjähriger Ihre ersten Konzerte gegeben: alles andere als eine „normale“ Kindheit, oder?

Lazić: Natürlich war es schon komisch für ein elfjähriges Kind, 30 Konzerte im Jahr zu spielen – neben der Schule und der Musikschule. Aber da meine Eltern beide Musiker sind, wussten sie, wie wichtig für ein Kind auch ein normales Leben mit Freunden und Sport ist. Insofern habe ich als Elfjähriger nicht mehr als zwei, drei Stunden am Tag geübt, allerdings wirklich konzentriert – und ich wollte es auch, denn ich habe das Klavierspiel geliebt!

RONDO: Und danach klappte der Klavierdeckel dann zu?

Lazić: Ja, um halb fünf war Feierabend, und ich bin Fußball spielen oder ins Kino gegangen. Hinzu kam, dass wir auch in der Schule viel Musikunterricht hatten, so dass alle meine Freunde immer ins Konzert gekommen sind – Klassik war nichts Abartiges (lacht). Man konnte Klavierkonzerte und trotzdem auch Fußball spielen und eine normale Kindheit haben. Und was mir damals vor allem beigebracht wurde, das ist die Liebe zur Musik …

RONDO: … Sie meinen zum Klavier.

Lazić: Nein, zur Musik: Ich habe nie Klavier geübt, sondern ich habe immer Musik gemacht. Und eben diesen Gedanken haben meine ungarischen Lehrer Imre Rohmann und Zoltán Kocsis schon Ende der 80er Jahre in meinem Kopf verankert, und zwar beim Bartók Festival, wo ich jeden Sommer war. Dort haben wir etwa Bartók- Streichquartette geübt oder ich habe mit einem Freund Ouvertüren aus Wagner-Opern vierhändig gespielt: Es ging ihnen stets um weit mehr als nur um den Drill von Chopin-Etüden – und das hat mir verdeutlicht, dass es immer um die Musik geht.

RONDO: Und dieser ganzheitliche Blick auf die Musik hat sich Ihnen tatsächlich schon als Teenager eröffnet?

Lazić: Ich werde nie vergessen, wie es bei meiner ersten Teilnahme am Bartók Festival 1988 gleich zur Begrüßung hieß: Wir entscheiden hier ganz spontan, wer wann was spielt. Morgen etwa werden wir aus Opern lesen, Wagner und Rossini vierhändig mit Kocsis spielen und danach mit einem Cellisten und einem Geiger über die Gattung Klavierquartett diskutieren.

RONDO: Klingt wie eine große Wundertüte …

Lazić: … ich habe es geliebt, morgens aufzustehen und niemand wusste, was an dem Tag passieren würde. So habe ich Mozarts und Beethovens Klavierquartette kennengelernt, Schumann und Brahms – das war eine völlig neue Dimension und Welt. Und das ist auch in der ungarischen Klavierschule so geblieben: Es ging immer um die Musik wie auch um das, was gesellschaftlich, politisch oder in anderer Hinsicht um das Werk herum passiert ist – und das hat mich tief geprägt.

RONDO: Weshalb Sie sich auch lieber als Musiker und nicht als Pianist bezeichnen. Sind viele Solisten heutzutage allzu sehr auf ihr Instrument fixiert?

Lazić: Ich würde es noch schärfer formulieren – viele sind nicht nur allein Pianisten oder Geiger, sondern Beethoven- und Mozart- Interpreten oder Chopin-Spezialisten. Eine gute Schauspielerin wie Meryl Streep aber glänzt vom Drama bis zum Musical – und das ist auch für Musiker wichtig. Doch heutzutage gewinnt man einen Wettbewerb, bekommt sofort einen Plattenvertrag, das Management möchte entsprechende PR machen …

RONDO: … und schon ist der Künstler unter Druck, sich auf einen Bereich oder gar Komponisten zu fixieren.

Lazić: Ja, das Geld regiert eben inzwischen auch in der Musik immer mehr – das kann schon demoralisierend sein. Aber vielleicht kommt irgendwann doch einmal wieder die Zeit des Geistes und der Kreativität: Denn als Musiker braucht man Zeit für Kreativität! Das versuche ich auch in meinen Meisterklassen weiterzugeben, wenn ich den Studenten sage: Geht in die Opern, schreibt eigene Kadenzen, improvisiert – und spielt nicht nur Mozarts A-Dur-Klaviersonate, ohne jemals „Idomeneo“, „Don Giovanni“ und „Così“ gehört zu haben. Denn ob Mozarts Klavierkonzerte, -sonaten oder Kammermusik: Das ist alles große Oper! Doch um das zu erfassen, braucht man Zeit.

Neu erschienen:

The London Connection

Dejan Lazić, Netherlands Chamber Orchestra, Gordon Nikolic

Onyx/Note 1

Kein Foulspiel

„Die große Blütezeit dieses Konzerts kommt erst noch – ich bin ein Riesen-Fan des Werkes!“ Sobald Dejan Lazić über Beethovens Opus 61a spricht, das Kern-Stück seines neuen Albums, gerät der Pianist geradezu ins Schwärmen. Völlig unterschätzt sei der Fortepiano- Bruder des Violinkonzerts op. 61, eben kein schlichtes Tasten-Arrangement des Geigen-Solitärs: „Wenn wir Pianisten nur versuchen, das Violinkonzert zu imitieren, es mit den gleichen Rubati und Phrasierungen zu reproduzieren, funktioniert es nicht – doch wenn man sich in die Hintergründe der Entstehung vertieft, entdeckt man, wie unglaublich klug und smart Beethoven die scheinbar ‚dünne‘ Klavierstimme angelegt hat.“

Christoph Forsthoff, 14.04.2018, RONDO Ausgabe 2 / 2018



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