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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Kristian Schuller/Decca

Cecilia Bartoli

Nochmal mit Gefühl

20 Jahre nach ihrem legendären „Vivaldi- Album“ gönnt die Mezzosopranistin ihren Fans endlich die lang erwartete Fortsetzung.

Gleich mehrere Kreise schließen sich in diesem Jahr für Cecilia Bartoli. Nicht nur, dass sie mit ihrem umjubelten Rollendebüt als Isabella in Rossinis „Italiana in Algeri“ zu ihren Rossini- Wurzeln zurückkehrte. Anlässlich der Salzburger Festspielvorstellungen, die ihr 30-jähriges Jubiläum in der Stadt an der Salzach markierten, nutzte die Sängerin auch die Gelegenheit, um ihr jüngstes CD-Projekt vorzustellen. Im Fokus steht hierbei mit Antonio Vivaldi ein Komponist, mit dem Bartoli vor genau 20 Jahren zum ersten Mal in Berührung kam.
Das gemeinsam mit dem Ensemble Il Giardino Armonico produzierte „Vivaldi Album“ war damals so etwas wie eine kleine Sensation und zählt bis heute zu den großen Verkaufsschlagern in der ebenso umfangreichen wie breit gefächerten Diskografie der Sängerin. Zahlreiche Weltersteinspielungen ließen den scheinbar so vertrauten und in seine Schublade gesteckten Komponisten auf einmal in einem neuen Licht erstrahlen und offenbarten dabei auch Bartoli selbst eine neue musikalische Welt. „Es war fast schon ein kleiner Schock für mich, als ich diese Musik entdeckte. Vivaldi hatte mich schon immer interessiert, aber eher durch seine kirchlichen Werke und Instrumentalstücke. Man kannte natürlich vorher schon die ‚Vier Jahreszeiten‘ und das eine oder andere Violin- oder Mandolinenkonzert. Als Opernkomponist war er im Gegensatz zu Händel aber zu Beginn meiner Karriere praktisch kaum präsent.“ Dabei finden sich im Werkverzeichnis des Venezianers gut 50 Bühnenwerke, die den Sängerinnen und Sängern wirklich alles an Virtuosität abverlangen. „Als ich die ersten Arien studierte, konnte ich fast nicht glauben, dass Vivaldi die Stimme hier fast wie eine Geige führt. Das ist beinahe übermenschlich und war für mich eine große Herausforderung. Durch ihn habe ich damals gelernt, meine Stimme inausgeklüstrumentaler zu führen und weiter intensiv an meiner Technik zu feilen.“
Es passt zum künstlerischen Selbstverständnis von Cecilia Bartoli, dass sie sich nie auf Lorbeeren ausruhte oder den einfachen Weg wählt. Ebenso wie die Dankbarkeit, mit der sie ihre künstlerischen Weggefährten der letzten Jahrzehnte immer wieder ins Gespräch mit einbringt. Von den Produzenten ihrer Debüt-CD, „die mir damals eine einmalige Chance gegeben haben“, bis hin zu Sängerkollegen oder Dirigenten wie Daniel Barenboim, „durch den ich eine völlig neue musikalische Welt entdeckt habe.“ Denn obwohl sie aus einer musikalischen Familie stammt, war ihre Karriere keineswegs vorgegeben. Am Opernhaus ihrer Heimatstadt Rom war das Repertoire bestimmt durch Verdi, Puccini und ein wenig Rossini. Mit Mozart war sie lediglich durch eine Aufführung des „Figaro“ in Berührung gekommen. Ganz zu schweigen von späteren Lieblingskomponisten wie Haydn oder Gluck. „Die Gefahr für Menschen mit Talent ist immer, dass sie zu gemütlich werden und sich nur auf Dinge konzentrieren, die sie gut können. Mir geht es aber darum, immer weiter zu lernen, neue Musik zu entdecken und noch tiefer in die Dinge einzutauchen.“

Lunge plus Lebenserfahrung

Sich selbst, aber auch das Publikum und die Intendanten immer wieder herauszufordern, das ist Cecilia Bartoli im Laufe der Jahre auf geradezu exemplarische Weise gelungen. Sei es mit musikalischen Entdeckungsreisen durch Sankt Petersburg, vergessenen Opern von Peri und Gluck, oder mit ihren Belcanto-Ausflügen, die sie bis zu Bellinis „Norma“ brachten. Dass es bis zur erneuten Auseinandersetzung mit Vivaldi fast 20 Jahre gedauert hat, scheint auch die Sängerin selbst beinahe ein wenig zu wundern. Angesichts der Verkaufszahlen wäre das Sequel ja schon längst fällig gewesen. Doch gab es für die stets neugierige Künstlerin einfach zu viele andere spannende Projekte.
Der zeitliche Abstand ermöglichte ihr jetzt allerdings, noch einmal mit frischem Blick zurückzukehren und andere Aspekte in seiner Musik hervorzuheben. „In Vivaldis Musik gibt es diese Virtuosität, diese Verrücktheit, aber auch sehr viele melancholische, oder besser, emotional tiefe Momente. Dieser Aspekt war 1998 nicht so präsent. Daher wollte ich jetzt mit den Erfahrungen, die ich in der Zwischenzeit gesammelt habe, noch einmal zurück. Es klingt merkwürdig, aber diese oft sehr einfach gehaltenen Arien zu singen, ist im Grunde viel schwieriger als seine virtuosen Stücke. Um das zu können, braucht man mehr Erfahrung. Mit seinem Instrument, aber auch als Mensch. Das ist genau wie mit der ‚Italiana in Algeri‘. Auch die Isabella ist eine Figur, die man nicht ohne ein gewisses Maß an Lebenserfahrung singen kann. Deshalb habe ich mir auch mit ihr so lange Zeit gelassen.“
So finden sich auch bei ihrem jüngsten Streich mitnichten nur Nummern, die auf der ersten Vivaldi-CD keinen Platz mehr hatten und nun quasi als späte Zugabe gereicht werden. Auch diesmal gibt es ein genau ausgeklügeltes Konzept, dem wie immer lange Recherchen vorausgingen. „Pro CD hat man eben immer nur rund 75 Minuten zur Verfügung. Man muss sich daher genau überlegen, welchen Aspekt man in den Vordergrund rücken möchte. Vivaldi hat rund 50 Opern komponiert. Haben Sie eine Ahnung, wie viele Arien man da findet? Aber mit Jean-Christophe Spinosi und dem Ensemble Matheus habe ich da wirklich hervorragende Partner, die mich unterstützt haben.“
In einer Zeit, in der meist nur noch live mitgeschnittene Konzerte auf Tonträger gepresst werden, weiß Bartoli es sehr wohl zu schätzen, dass ihr Label ihr Zeit und Gelegenheit gibt, ihre Herzensprojekte zu verwirklichen, mit denen sie auch bei zahlreichen Kolleginnen und Kollegen einen Trend ins Rollen gebracht hat, der weggeht, vom reinen Wunschkonzert zum großen Konzeptalbum. „Nicht alle Sänger haben das Glück, eine so lange Karriere zu haben. Ich habe viele interessante Stimmen kommen und gehen sehen. Man braucht viel Disziplin, aber auch den Mut, sich auf neue Dinge einzulassen. Wie die Zukunft der Plattenindustrie aussehen wird, weiß keiner von uns. Aber die Menschen werden immer Musik hören. Das Problem ist nur, dass sie heute alles umsonst haben möchten. Doch eine Aufnahme zu produzieren, ist natürlich kostspielig. Ein Projekt wie das neue Vivaldi-Album macht man nicht in drei Tagen. Da braucht es Zeit und viele Proben, um in die Musik einzutauchen und ihr gerecht zu werden.“ Die Frage, ob es da in ihrer Funktion als künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele nicht auch einmal an der Zeit wäre, einen kompletten Vivaldi auf die Bühne zu bringen, lässt Bartoli im Moment noch offen. „Das Problem mit ihm ist, dass er zwar großartige Musik komponierte, bei seinen Libretti allerdings nicht immer ein glückliches Händchen hatte. Aber wer weiß? Wenn wir das richtige Stück finden …?“

Erscheint Ende November:

Antonio Vivaldi

„Antonio Vivaldi“

Cecilia Bartoli, Ensemble Matheus, Jean-Christophe Spinosi

Decca/Universal

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Mater familias

„Mentored By Bartoli“ nennt sich eine neue CD-Reihe, mit der die Namenspatronin jungen Künstlern jene Unterstützung geben will, die sie selbst einst zum Anfang ihrer Karriere erhalten hatte. Auf der ersten dieser klingenden Visitenkarten begibt sich Belcanto- Spezialist Javier Camarena auf die Spuren jenes legendären Tenors, der unter anderem die Rolle des Almaviva in Rossinis „Barbiere di Siviglia“ aus der Taufe hob. Manuel Garcia (1775 – 1832) ist pikanterweise ausgerechnet der Vater jener Maria Malibran, der Bartoli ihrerseits eine ihrer musikalischen Entdeckungsreisen widmete. Ehrensache, dass die Römerin hier also auch selbst für ein Duett mit von der Partie ist.

Tobias Hell, 20.10.2018, RONDO Ausgabe 5 / 2018



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