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(c) Giorgia Bertazzi
Sollte die Musik tatsächlich aus Böhmen kommen, hieße ihr Erfinder möglicherweise Antonín Dvořák: ein Erzmusikant, der Melodien wie Staub aus dem Ärmel schüttelt und ohne größeren Tiefgang direkt den Weg ins Herz seiner Zuhörer findet. Noch heute haben viele Musikfreunde genau dieses Bild vor Augen, wenn sie an den tschechischen Nationalkomponisten denken, und auch die Wissenschaft betrachtet ihn häufig als eine Art kleinen, weniger bedeutenden Bruder von Johannes Brahms. Das findet der Geiger Christian Tetzlaff falsch und ungerecht: „Gerade in Dvořáks Kammermusik kann man unglaubliche Entdeckungen machen.“ Kein Ohrenschmeichler für das traute Musizierkränzlein, kein folkloretrunkener Melodienverschwender aus dem ohnehin so sentimentalen 19. Jahrhundert mache sich hier bemerkbar, „sondern ein echter Neutöner.“
Nicht ganz so populär wie andere Kammermusikwerke Dvořáks ist das f-Moll-Klaviertrio op. 65, das sich wegen seiner spieltechnischen Herausforderungen, seiner sinfonischen Weite und seiner tragisch-düsteren Grundhaltung nie so recht durchsetzen konnte. Tetzlaff liebt dieses Stück umso mehr. In den letzten 15 Jahren, sagt er, habe er es um die 30 Mal aufgeführt, und zwar gemeinsam mit dem Pianisten Lars Vogt und seine Schwester Tanja am Cello. „Wir fanden es nun an der Zeit, unsere Interpretation dauerhaft festzuhalten“, berichtet Tetzlaff, der sich hierzu gemeinsam mit seiner eingeschworenen Kammermusik-Crew im April 2018 in den Sendesaal Bremen begeben hat. Im Auftrag seines finnischen Hauslabels Ondine entstand dabei nicht nur die Einspielung des aufwühlenden f-Moll-Trios, sondern gleichzeitig auch eine des sehr viel bekannteren „Dumky“-Trios op. 95.
„Das Dumky-Trio ist eines der Dvořák-Stücke, mit denen besonders gerne Schindluder getrieben wird“, sagt Tetzlaff, der bei jeder neuen Beschäftigung sehr aufmerksam in die Noten schaut. Beim Durchhören der Diskografie fiel ihm auf, wie häufig sich selbst die größten Interpreten von den Angaben des Komponisten entfernen. „Wir wollen mit unserer Aufnahme einige Dinge richtigstellen“, sagt er und meint damit nicht zuletzt das Tempo, das Dvořák mittels Metronomzahlen eigentlich exakt und für jeden nachlesbar vorschreibt. „Klar sind das nur Richtlinien, die immer noch genügend Platz für Freiheiten lassen. Wenn man aber bestimmte Tempi doppelt so schnell oder langsam nimmt, ist die Freiheit meiner Meinung nach überschritten.“ In der Aufführungs- und Aufnahmegeschichte des „Dumky“- Trios sei das die Regel, nicht die Ausnahme, meint Tetzlaff.
„Schuld“ am allzu freien Umgang mit seinen Partituren sei zum Teil auch der Komponist selbst. „Fast immer, wenn Dvořák einen Abschnitt wiederholt, gibt es im Notentext bewusste Abweichungen bezüglich Dynamik oder Phrasierung. Leider wird ihm gerade diese Genauigkeit oft als Schlampigkeit ausgelegt – und als Hinweis, dass man es so genau mit seinen Anweisungen nicht nehmen muss.“ Das Trio wolle nicht missionieren, sagt Tetzlaff, aber eine Mission sei die neue CD schon.
Ondine
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