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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Johannes Ifkovitz

Wiener Symphoniker

Drei Asse im Ärmel

Dem Orchester wird nachgesagt, in Wien nur die zweite Geige zu spielen – völlig zu Unrecht, dank seinem Chef Philippe Jordan.

Sagen wir’s, wie es ist: Das Verhältnis zwischen den Wiener Philharmonikern und den Wiener Symphonikern ist heikel. Die Platzhirsche, international berühmt (nicht nur) durch das Wiener Neujahrskonzert, brauchen keinen Chefdirigenten, haben auch keinen. Sie laden sich stattdessen gut abgehangene Altmeister ein, sowie wenige, wohlgelittene, manchmal auch frühvergreiste Youngsters. Bitte um Entschuldigung, Ihr Edlen! Wir wollen ja ehrlich sein.
Die Wiener Symphoniker dagegen, viele Jahre vom Pech verfolgt, besitzen mit Philippe Jordan erstmals wieder jemanden, der den Klang des Orchesters aufmöbelt (was überfällig war). Und der keine Furcht vor Konkurrenten hat. Das Gastdirigenten-Portfolio der Symphoniker – mit François-Xavier Roth, Stéphane Denève, Lahav Shani etc. – ist besser als das vielleicht jedes anderen, aufstrebenden Orchesters dieser Welt. Glückwunsch!
Das reicht vielleicht noch nicht ganz, will man die zementierten Kräfteverhältnisse der Walzerstadt aufrütteln. Dazu braucht man einen Programm-Schwerpunkt, der neugierig macht. Philippe Jordan rückt zu diesem Zweck diese Saison Hector Berlioz im großen Stil in den Mittelpunkt. Er selbst dirigiert die „Symphonie fantastique“ (10./11.11.), „La damnation de Faust“ (15./16.2.), das Requiem (mit Bryan Hymel, 26./27.5.) und er begleitet Thomas Hampson in seiner ersten ‚Frauenrolle’: „Les nuits d’été“ (4./6.11.). François-Xavier Roth übernimmt „Harold en Italie“ (mit dem großartigen Bratschen-Solisten Antoine Tamestit, 19./20.1.).
Bei diesem Komponisten gehe es um „feinste Nuancen im Klang“, so Jordan. Dafür habe man sich, lacht er, „nach all der harten Arbeit der letzten Jahre eine kleine Pause verdient“. Zur Erklärung: Berlioz, trotz großem Pomp, gilt gern als einfacher denn Beethoven oder Haydn. Was, aller Nuancensucht unerachtet, auch stimmt. Berlioz hat, so Jordan, „als erster Komponist überhaupt manche seiner Pianissimi mit pppp gekennzeichnet“. Leiser geht’s nicht.

Wo Karajan glücklich war

All das mag für gute Presse sorgen, ist aber Kassengift. Publikum will erobert, dann aber auch in seinen Erwartungen bestätigt sein. Zu Recht! „Innovation braucht ein Fundament“, so nennt das Philippe Jordan. Die gute Grundlage bedurfte bei den Wiener Symphonikern gewiss einer leichten Auffrischung, als Jordan andockte. Mit Vorgängern wie dem zu wenig präsenten Fabio Luisi oder dem allzu altmodischen Rafael Frühbeck de Burgos war wenig Staat zu machen. Allzu groß jedenfalls der Absturz, wenn man sie mit ihren gloriosen Vorgänger-Chefs Carlo Maria Giulini, Josef Krips oder Wolfgang Sawallisch vergleicht.
Die Geschichte wird noch güldener – denn bei den Wiener Symphonikern bekleidete einst Herbert von Karajan seine erste (und einzig glückliche) feste Stelle in Wien. Auch er pflegte vor allem traditionelles, sogenanntes ‚Kernrepertoire’. Einzelne Referenzaufnahmen wie sein Tschaikowski- Klavierkonzert Nr. 1 mit dem großartigen Svjatoslav Richter, aber auch die Walzer-CD Sawallischs legen Zeugnis ab von einer großartigen Orchesterhistorie. Es ist diese Linie, für die Jordan aktuell bei immerhin 22 regulären Terminen am Pult steht: für Brahms und Dvořák (auch auf Deutschland-Tournee: Hamburg, Frankfurt, Stuttgart und Düsseldorf), für Bach und Beethoven. Alles keine Sättigungsbeilagen! Sondern Hausaufgaben, deren sich jedes verantwortungsbewusste Orchester zu befleißigen hat. Artist in Residence ist Geiger Nikolaj Znaider.
Die Wiener Symphoniker waren übrigens einst Urquell der historischen Aufführungspraxis. Hier schob als junger Mann Nikolaus Harnoncourt so lange Cellisten- Dienst, bis er rebellierte, den Concentus Musicus gründete und seiner Wege zog. Kurioserweise, wie man sagen muss. Denn obwohl Harnoncourt die Symphoniker später oft bei Opernproduktionen dirigierte, blieb man ein Hort des Antihistorismus. Man blieb modern.
Damit gleich Laune aufkommt, begleitet man zu Saisonbeginn eine bärtige Lady namens Conchita (ehemals: Conchita Wurst) bei ihrem Programm „From Vienna With Love“ (20.10.). Die Tatsache, dass man die Wiener Philharmoniker kaum überrunden, wenngleich übertrumpfen kann, wird dabei höchstens durch jenen spezifisch Wiener Respektsabstand verschleiert. Er ist unnötig. Mit Jordan, der als Sohn des höchst renommierten Dirigenten Armin Jordan die Familienehre im Nacken spürt, hat man einen Neuen, der parallel als Chefdirigent der Pariser Oper noch weit schwierigere Baustellen zu meistern weiß. Neues Spiel, neues Glück. Drei Asse im Ärmel: nur raus damit!

Neu erschienen:

Ludwig van Beethoven

Sinfonien Nr. 2 & 7

Wiener Symphoniker, Philippe Jordan

Solo Musica/Sony

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Fantastische Sinfonik

Highlights der Wiener Symphoniker-Saison sind Philippe Jordans Berlioz-Einstand mit „Symphonie fantastique“ und „Lélio“ (10./11.11.) sowie Brittens „War Requiem“ mit Adrianne Pieczonka (18./19.11.) und das „Weihnachtsoratorium“ (mit Werner Güra, 15. – 17.12.). Drei tschechische Programme dirigiert Alan Gilbert (11./13., 15./16.1.). Yuja Wang gastiert mit dem Schumann-Klavierkonzert unter Lorenzo Viotti (30./31.1.). Lahav Shani bringt Brahms’ Dritte zuerst in Wien (3. – 5.4.), dann auf Deutschland-Tournee (Essen, München, Mannheim, 8. – 10.4.). Zum Schluss kehrt mit Rudolf Buchbinder ein Lokalmatador schönster Sorte zum Orchester zurück (1. – 3.6.).

Robert Fraunholzer, 03.11.2018, RONDO Ausgabe 5 / 2018



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