home

N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Ignacio Barrios

Christophe Rousset

Barock mit Basilikum

Der Cembalist und Dirigent debütiert im Dezember in der Berliner Staatsoper – mit französischen Komponisten, die unter italienischem Einfluss standen.

Manchmal sitzt der dirigierende Cembalist Christophe Rousset im Konzert auch mal nicht am Cembalo: Anfang November, die Essener Philharmonie verschwimmt milchig im Nieselregen, gibt der 57-Jährige den Einsatz zu Giovanni Batista Pergolesis „Stabat mater“ vom Dirigentenpodest aus – mit einer kleinen Geste aus dem Handgelenk, die so routiniert und zugleich so neugierig ist, dass sie eigentlich nur von ihm kommen kann. Seine letzte Einspielung des Werkes ist 19 Jahre her – und ohnehin gehört ein Klassiker wie das „Stabat Mater“ normalerweise nicht zu dem Repertoire, mit dem Rousset und sein 1991 gegründetes Ensemble „Les Talens Lyriques“ auf Tour gehen. Dafür gilt der Barock-Hit als viel zu abgedroschen. Der Franzose bevorzugt Raritäten, selten oder noch nicht Gehörtes, französische, italienische, englische, manchmal deutsche Musik vor allem des Barock. So ist er routiniert im Neugierigsein, neugierig in der Routine. Auch beim Debüt der „Talens Lyriques“ in der Staatsoper Berlin steht das bekannte Unbekannte wieder im Mittelpunkt, und Rousset am Cembalo.

RONDO: Das Berliner Programm trägt den Titel „The Temptation Of Italy“. Worin besteht die „Versuchung“ Italiens für Sie?

Christophe Rousset: Ich bin ein großer Fan Italiens. Ich habe ein Haus in der Toskana und produziere dort mein eigenes Olivenöl! Meine Begeisterung hat eine lange Geschichte. Für Künstler, egal welchen Fachs, ist Italien der Ort, an dem alles angefangen hat: Nahezu überall kann man aus der dortigen Schönheit Inspiration schöpfen.

RONDO: Sie sprechen auch die Sprache fließend.

Rousset: Das stimmt. Ich arbeite mit jedem Mal, wenn ich italienische Opern oder Oratorien dirigiere, gleichzeitig an meinem Italienisch.

RONDO: Auf dem Programm stehen aber mit Rameau, Leclair und Montéclair nur französische Komponisten.

Rousset: Es geht in dem Programm darum, zu zeigen, wie französische Komponisten zur Wende des 17. zum 18. Jahrhundert den italienischen Stil in der französischen Musik wiederentdeckt haben. Die italienische Musik war unter Louis XIV. aus Frankreich geradezu verbannt worden, und genauso standen auch die Komponisten unter Aufsicht. François Couperin war der erste, der sozusagen den italienischen Geschmack in die französische Musik wieder eingeführt hat.

RONDO: Inwiefern sind die Komponisten, die Sie gewählt haben, bezeichnend für diese Trendwende?

Rousset: Sie alle sind für eine gewisse Zeit in Italien gewesen und haben von dort die musikalischen Einflüsse mitgebracht: Leclair als Geigenvirtuose, Montéclair und Rameau als Komponisten. Montéclair komponierte seine Kantate „La morte di Lucretia“ sogar dort. Und trotzdem klingen sie alle drei nach wie vor französisch.

RONDO: Der italienische Einfluss war also doch eher gering?

Rousset: Nein, er war groß! Ich denke, dass ein deutsches oder italienisches Publikum sofort sagen würde, diese Werke seien französische Musik. Für Franzosen jedoch klingt es sehr italienisch – man fühlt das Basilikum und das Olivenöl, der Geschmack ist einfach etwas anders.

RONDO: Was fasziniert Sie an der Musik dieser Zeit?

Rousset: Ich war schon immer begeistert von der Epoche des Barock, schon als kleiner Junge. Was mich besonders gebannt hat waren die Architektur und der Rokoko-Stil: Alles ist so fein, so exquisit. Für mich verkörpert diese Zeit die Hochphase der französischen Kultur: kultiviert und höchst kunstvoll komponiert und dabei aber sehr natürlich im Anschein. Das ist die französische Nonchalance: So zu tun, als sei alles ganz einfach, obwohl es hochkompliziert ist.

RONDO: In Ihrer jüngsten Aufnahme widmen Sie sich einem unbekannten Singspiel von Antonio Salieri: „Les Horaces“. Seine Musik sei herausfordernd, haben Sie einmal gesagt. Inwiefern?

Rousset: Sie zu interpretieren ist vor allem in Frankreich eine Herausforderung, weil alle davon überzeugt sind, dass Salieri kein Genie war. Ich muss mein Orchester schütteln, ich muss meine Sänger schütteln, um die Genialität dieser Musik zum Vorschein zu bringen.

RONDO: Ist Ihnen das gelungen?

Rousset: Ich bin überzeugt, dass diese Aufnahme ein gutes Zeugnis seiner Genialität ist – weil sie auch verdeutlicht, dass man ihn niemals mit Mozart oder Gluck oder irgendwem anders vergleichen sollte. Seine Musik hat ihre ganz eigene Persönlichkeit und ihren eigenen Geschmack. Allein um sie aufblühen zu lassen, braucht man als Interpret eine sehr klare Vorstellung davon, wie sie klingen soll.

RONDO: Fliegt Ihnen das zu?

Rousset: Ich folge meiner Intuition, und die ist stark. Ich wusste immer, was ich will, und ich war auch schon immer geleitet von einer festen Überzeugung bezüglich bestimmter Stücke. Fehlt mir diese Gewissheit, wähle ich ein anderes Stück.

RONDO: Sie interpretieren vor allem unbekannte Werke. Ist die Interpretation da nicht ungleich schwieriger als bei bekannten Werken?

Rousset: Im Gegenteil – es ist sogar viel leichter, die Musiker bei unbekannten Stücken dazu zu bringen, das zu tun, was ich will. Ich war immer schon sehr fordernd, lasse die Musiker nie einfach machen, sondern leite sie sehr genau und so klar wie möglich an. Nur so erreiche ich die Farben, die ich hören will, und die Kontraste, die ich zeigen will. Bei bekannten Stücken passiert es schnell, dass die Musiker, sobald sie auf der Bühne sind, in alte Gewohnheiten zurückfallen.

RONDO: Im nächsten Herbst erscheint Ihre Einspielung des „Stabat Mater“ von Giovanni Battista Pergolesi, ein bekanntes Werk. Haben Sie etwas Neues an dieser Musik entdeckt?

Rousset: Das weiß ich nicht. Aber das wäre auch nicht das, was ich anstrebe – etwas Neues zu machen oder Noch-nie-Gehörtes. Ich ziehe meine Inspiration aus der Musik statt ihr meinen Stempel aufzudrücken.

Zuletzt erschienen:

Antonio Salieri

Les Horaces

Judith van Wanroij, Cyrille Dubois, Julien Dran, Jean-Sebastien Bou, Philippe-Nicolas Martin, Andrew Foster-Williams, Les Chantres Du Centre De Musique Baroque de Versailles, Les Talens Lyriques, Christophe Rousset

Aparté/hm

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Louis Couperin

Nouvelles suites de clavecin

hm

Hannah Schmidt, 01.12.2018, RONDO Ausgabe 6 / 2018



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Pasticcio

Klassik gegen Krawall

Beethoven macht aus jedem einen besseren Menschen. Dieser Satz ist natürlich völliger Quatsch. […]
zum Artikel

Gefragt

Natalya Pasichnyk

Heimreise

Welchen Komponist außer Valentyn Sylvestrov kennt man außerhalb der Ukraine? Die Pianistin […]
zum Artikel

RONDO-Leserreise

Mozart, mediterran

Opernfestival Malta

In Kooperation mit „drp Kulturtours“ bieten wir eine frühlingshafte Musikund Studienreise auf […]
zum Artikel


Abo

Top