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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Doktor Stradivari

Folge 36: Die Leipziger Disputation

415 Herz! Wie beim Thomaskantor Bach!“ „Nein! 465! Wie bei Heinrich Schütz!“ „Schütz? Wieso Schütz? Unsinn. Und bedenken Sie: Die Messe hat 12 Stimmen. Ein riesiger Tonumfang und daher …“ Kommissar Reuter drückte die Stoptaste. Das Bild der beiden Gelehrten, die in der Aufzeichnung einer Fernsehsendung diskutierten, gefror. „So geht das die ganze Zeit“, sagte er. „Professor Schneckmann und Doktor Brimsel haben mit ihrem Streit eine Talkshow eines Leipziger Lokalsenders gesprengt. Sie kam live im Fernsehen. Abends fand man Doktor Brimsel tot in seiner Wohnung – ermordet.“
„Hat die Tat etwas mit dieser Messe zu tun, die eben erwähnt wurde?“, fragte Doktor Stradivari. „Es ist doch die Messe ‚Et ecce terrae motus‘ von Antoine Brumel, nicht wahr? Sie erklang in der Leipziger Thomaskirche im Rahmen der berühmten Disputation im Jahre 1519, bei der Martin Luther seine Thesen verteidigte. Mit ihren zwölf Stimmen ist sie außergewöhnlich prachtvoll. Eine Entdeckung. Ich glaube, ich habe gelesen, dass sie in den nächsten Tagen aufgeführt werden soll.“ „Und die beiden hier lieferten das kulturelle Rahmenprogramm“, ergänzte Kommissar Reuter. „Sie sollten über die Messe informieren, aber die Veranstaltung wurde selbst zu einer Disputation. Und was soll das alles mit den Kammertönen bedeuten?“
„Musiker brauchen ein Grundmaß, eine einheitliche Tonhöhe, nach der sie ihre Instrumente stimmen“, sagte der Doktor. „Der Kammerton a, nach dem üblicherweise eingestimmt wird, liegt heute bei etwa 440 Herz. Das war aber nicht immer so. Es gab in der Geschichte große Unterschiede, die man bei der Aufführung alter Musik beachten muss. Es ist schwer, den historischen Stimmton eines Werkes zu rekonstruieren. Man braucht ja einen Vergleich. Zum Beispiel eine historische Stimmgabel, aber …“ „Genau“, unterbrach Reuter. „Schauen Sie weiter.“ Er drückte einen Knopf, und sie verfolgten, wie Brimsel eine Stimmgabel hervorholte und sie in die Kamera hielt. „Das ist der Beweis“, sagte er. „Eine Stimmgabel aus Sachsen aus dem Jahre 1530. Ein sehr seltenes Stück, das ich entdeckt habe.“ Er klopfte damit gegen den Tisch und entlockte ihr einen klaren Ton. „415 Herz“, sagte er. „Damit ist bewiesen, dass schon der Thomaskantor, der Brumels Messe aufführte, denselben Stimmton wie später Bach verwendete. Sicher geht Bachs Praxis darauf zurück.“ „Das höre ich mir nicht länger an“, schrie Professor Schneckmann plötzlich. Wutentbrannt stand er auf und verließ das Studio.
„Schneckmann hat die Schlacht verloren, und Doktor Brimsel ist tot“, sagte Reuter. „Die historische Stimmgabel ist verschwunden. Schneckmann ist einer unserer Verdächtigen.“ „Einer der Verdächtigen?“, fragte Stradivari. „Haben Sie noch mehr?“ „Ein anderer ist Moritz Leutsch, genannt Molli. Ein Berufseinbrecher. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass er von der wertvollen Stimmgabel erfahren hat. Er schaut sicher keine kulturell anspruchsvollen Talkshows.“ „Und was sagt Professor Schneckmann?“ „Er sitzt nebenan im Vernehmungszimmer und will seine Aussage nur im Beisein eines anderen Gelehrten machen. Gehen wir hinüber.“ „Er ist unschuldig“, sagte Doktor Stradivari sofort. „Ich kann Ihnen sagen, was er zu seiner Entlastung vorbringen wird. Und damit hat er recht.“
Was wird Professor Schneckmann sagen?

Doktor Stradivari ermittelt - und Sie können gewinnen!

Wenn Sie die Lösung wissen, schreiben Sie sie an stradivari@rondomagazin.de oder postalisch an RONDO, Kurfürstendamm 211, 10719 Berlin – bitte auch Ihre Kontaktdaten nicht vergessen! Unter allen Zuschriften verlost RONDO in Kooperation mit dem Label Carus fünf Mal das erste gemeinsame Album „Leipziger Disputation“ der a-cappella-Ensembles Amarcord und des Calmus Ensembles. Einsendeschluss ist der 26. April 2019. Viel Glück!

Auflösung aus Magazin 6/2018:

Ob Kevin Schmitz wohl nur seinen WG-Kumpel deckt mit dem freimütig eingestandenen Diebstahl? Dass er die Chor-CD unter der Diebesbeute unerwähnt lässt, wirkt entlastend, doch fällt Stradivari auf, dass der von Schmitz beschriebene „Geistertanz“ D. 166 später von Schubert noch einmal als Männerchor D. 464 vertont worden war. Also erinnerte sich Schmitz beim richtigen Titel auf dem Cover an die falsche Musik – und wusste doch, was er getan hatte.

Oliver Buslau, 30.03.2019, RONDO Ausgabe 2 / 2019



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