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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Deutsche Oper Berlin, Glanert: Oceane (c) Bernd Uhlig

Fanfare

Proben, Pleiten und Premieren: Höhepunkte in Oper und Konzert

Ein neuer Tenor und zwei neue Opern – dafür sind wir durch Europa gepilgert. Im Grand Théâtre de Bordeaux war Benjamin Bernheim als Novize zu erleben: als Massenets schwärmerischer Student des Grieux und als souveräner Eroberer einer der zentralen Rollen des französischen Repertoires. Voilà un artiste! Im November soll das erste Album mit französischen Arien erscheinen. Vorher noch kommt sein hinreißender Gounod-Faust heraus.
Man gab Olivier Pys Genfer „Manon“-Inszenierung. Wieder eine seiner typischen Tits & Cocks-Produktionen: Manon als Lulu in einem puffigen Redlight-Ambiente der zeitlos modernen Art. Aber Massenets frivol puderiges, melodisches Meisterwerk glänzt traumschön unter Opernchef Marc Minkowski. Die frauliche Manon ist Amina Edris. Benjamin Bernheim gelingt ein rares Kunststück: Er meistert seine kräftezehrende Partie mit einer ätherisch leichten voix mixte. Doch er kann seinen durchgebildeten Tenor auch in italienischer Manier strecken, mit leidenschaftlichen, doch sichereren Spitzentönen.
Weiter nach Berlin. An der Deutschen Oper wurde unter lautem Jubel Detlev Glanerts „Oceane“ uraufgeführt – ein Neunzigminütiger, an dem alles vertraut anmutet. Das hätte auch vor 50 Jahren verfertigt worden sein können. Was nicht gegen dieses well made play spricht. Eher für unseren Neokonservatismus.
Eine lange Ahnengalerie stand Pate, hat nach Undine, Melusine, Rusalka, Melisande eine weitere Schwester bekommen. „Oceane von Perceval“ heißt das Fontane-Fragment, das den Stoff lieferte – passgenau zu des Autors 200. Geburtstag. Diese belle dame erscheint im Badehotel an der Ostsee. Keiner kennt sie, ein Baron verliebt sich in sie, ein Pastor verdammt sie. Die Verlobung platzt, die stumme Schöne tanzt wild, sprengt die Gesellschaft, verschwindet – ins Wasser?
Makellos ist das von Robert Carsen vor einem Videomeer schwarzweißgrau regielich angerichtet. Wirkungsdirekt ist die von Donald Runnicles orchestral aufgeschäumte Partitur. Da singt der Chor stumm wie bei Ravel und Debussy Schicksal, da hört man Brittens Stürme, Messiaens Himmel, zwischendurch Atonales. Doch weil Maria Bengtsson strahlendschön ihren Nixensopran strömen lässt, und selbst die verehrungswürdige Doris Soffel noch einen Cameoauftritt als Hotelbesitzerin hat, ist das eine runde Opernkonfektionssache geworden.
Gibt es im zeitgenössischen Musiktheater keinen Mittelweg zwischen Bedürfnisbefriedigung und Avantgarde-Hohlformen? In Antwerpen ist das Unmögliche eben gelungen. Als stilisierte Verhörsituation legte einer Zeugnis ab über eine der widerwärtigsten Existenzen, die die Literaturgeschichte kennt: die des schwulen SS-Offiziers Max Aue, der wohl Mutter und Stiefvater ermordet hat, seiner Schwester inzestuös verbunden sowie für die Ermordung unzähliger Juden verantwortlich ist. Nach dem auf 1400 Seiten sich ausbreitenden Romanpamphlet „Les bienveillantes“ von Jonathan Littell hat das musiktheatererfahrene Team Hèctor Parra und Händl Klaus eine Oper geformt. Verstörend sind das nach wie vor grässliche Thema und die überzogene Länge. Peter Tantsits arbeitet sich mit Leuchtkraft durch eine der wohl längsten Tenorpartien. Parra hat eine moderne, sparsam Elektronik einsetzende Partitur verfertigt, die nicht austauschbar ist, die direkt auf die Szene reagiert, sogar einen Pissstrahl in Musik umsetzt. Peter Rundel setzt solches in beißende, überlaute, dann wieder sich verlierende Klänge um. Calixto Bieito hat gekonnt abstrakt inszeniert. Eine Chronik der Schrecken – als kontrapunktisches Kunstwerk.

08.06.2019, RONDO Ausgabe 3 / 2019



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