home

N° 1354
20. - 29.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Levi Krämer

Mia Brentano

Zwischen Traum und Wirklichkeit

Ein geheimnisvoller Name, der für Experimente zwischen Jazz und neo-romantischem Melos steht. Willkommen in der Welt des Klaus Martin Kopitz.

Ganz zum Schluss gibt sich der Komponist vom Titel her als Kapazität für die Musik des 19. Jahrhunderts zu erkennen. „Brahms Is Sleeping“ lautet das Finalstück der neuen CD „River of Memories. A Mystery Trip“, das er wie das Debüt- Album „Hidden Sea“ unter dem Namen Mia Brentano veröffentlicht hat. Noch nicht einmal 80 Sekunden dauert diese melosreiche und mit sanftem Atem von Andy Miles gespielte Klarinetten-Elegie. Und wenngleich das eigentliche Herz-Rhythmus-System dieses traumhaft schönen Lullaby eindeutig romantisch schlägt, könnte man es von Ferne zugleich als eine Jazz-Ballade ohne Worte hören. Dass Brahms hier mit an der Wiege der Erfindung stand, erstaunt wenig. Immerhin verbirgt sich hinter Mia Brentano der in Stendal geborene und in den 1980er Jahren von Paul-Heinz Dittrich ausgebildete Komponist Klaus Martin Kopitz. Und der ist eben auch ein gefragter Musikwissenschaftler, dessen Spezialgebiete Beethoven und der Schumann-Brahms-Kreis sind.
Neben der Forschung gibt es für Kopitz aber noch ein zweites Leben als Pianist, Soundtüftler und grenzüberschreitender Klangflaneur. Und für diese Promenaden durch Jazz, zeitgenössische Musik und auch Weltmusik lässt sich Kopitz gerne von seiner Muse namens „Mia Brentano“ an die Hand nehmen und vertreten. So kann er mit dieser geheimnisvollen zweiten Identität in all jene Klangfantasieräume vorstoßen, die bei dem auf reinen Fakten basierenden Job als Musikwissenschaftler zu kurz kommen.
Für sein jüngstes Album hat er wieder mit engen Musikerfreunden zusammengearbeitet. Dazu gehört der zwischen den Genres bestens bewanderte Pianist Benyamin Nuss ebenso wie der gleichberechtigt in Klassik und Jazz beheimatete Klarinettist Andy Miles. Und an den Drums ist der niederländische Top-Jazzschlagzeuger Hans Dekker zu hören. Mit ihnen hat Kopitz alias Mia Brentano nun eine Hommage an all die Schriftsteller und Filmregisseure eingespielt, die die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit aufzuheben wussten. Bis auf das Paul Auster gewidmete Stück „Ghosts“ sind die Kompositionen aber nicht etwa als direkte Verbeugungen vor Franz Kafka, Alfred Hitchcock und David Lynch gedacht. Vielmehr ist es die Lust am Spiel mit dem Irrationalen, mit dem ständigen Wechsel zwischen Realität und Imagination, die sich bei diesem „Mystery Trip“ (so der Untertitel des Albums) in den völlig unterschiedlichen Klangstationen widerspiegelt. Wie ein konturloses, dennoch magisch illuminiertes Ambient-Stück bewegt sich „Under The Surface“ und entwickelt sich zum beklemmenden Soundtrack fürs Kopfkino. Zwischen Improvisation und Geräuschkunst changiert das elektro-akustische Werk „Les champs magnétiques“, das von 1989 stammt. Ein Jahr später entstand „Die Stille des verlassenen Raumes“, für das Kopitz/Brentano den Hanns-Eisler- Preis vom Deutschlandfunk Kultur erhielt und das sich um den Exodus der ehemaligen DDR dreht. Zu den musikalischen Kontrasten gehören cooler Jazz, lyrische Klavier-Schlendereien sowie auch das vom Klezmer-Spirit eingefärbte Eröffnungsstück „Blue Moon“. In den Grenzregionen zwischen Traum und Wirklichkeit gibt es musikalisch viel zu entdecken.

Neu erschienen:

Mia Brentano

River Of Memories. A Mystery Trip

Benyamin Nuss, Andy Miles, Hans Dekker

Mons/NRW

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Reinhard Lemelle, 07.09.2019, RONDO Ausgabe 4 / 2019



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Gefragt

Christiane Karg

Herznote

Mit „Parfum“ glückt der deutschen Sopranistin ihr bislang bestes […]
zum Artikel

Pasticcio

Und trotzdem wird gefeiert!

Eigentlich wollte die Dresdner Philharmonie in diesen Tagen gleich doppelt die Korken knallen […]
zum Artikel

Gefragt

Víkingur Ólafsson

Der andere Bach

Der isländische Pianist wendet sich nach Ausflügen zu Philip Glass nunmehr Bach zu – viel […]
zum Artikel


Abo

Top