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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Ludwig Olah/Sony

Lautten Compagney

Bogenspannung

Sie haben es wieder getan: 10 Jahre nach dem erfolgreichen Crossover-Projekt „Timeless“ fährt das Alte-Musik-Ensemble auf der „Circle Line“.

Es war eigentlich wie immer“, erinnert sich Wolfgang Katschner, Gründer, Geschäftsführer und kluger Kopf hinter dem Berliner Alte-Musik-Ensemble Lautten Compagney, an die Ursprünge des jüngsten Albums seiner wirklich bunten, immer wieder überraschenden Truppe. „Ich sitze da und überlege, was kommt als Nächstes? Was haben wir noch nicht gemacht? Welchen roten Themenfaden können wir wiederaufnehmen und weiterspinnen? Soll es ein großes oder kleines Projekt werden? Bleiben wir diesmal streng historisch, oder geht es in Richtung Crossover?“
So wie er es eben immer tut, seit sich Wolfgang Katschner und Hans-Werner Apel 1984 unter dem erst einmal stolpern lassenden, dann aber einprägsam altmodisch wirkenden Namen Lautten Compagney in Berlin als Lautenduo gegründet haben. Zu diesem Zeitpunkt studierten die beiden an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ klassische Gitarre. Und schnell war klar: Duo allein ist fad. So spielt die Lautten Compagney bis heute in variablem Video- wie Audio-Outfit. Man musiziert in kammermusikalischen Besetzungen bis hin zum barocken Opernorchester. Und das dann gern auch mit Marionetten als zusätzlichen Gästen, etwa in einigen hinreißenden Händel-Inszenierungen mit der Mailänder Puppentruppe Carlo Colla e Figli.
Eine regelmäßige Zusammenarbeit verbindet das Ensemble mit der Sing-Akademie zu Berlin, dem Staats- und Domchor Berlin, dem Calmus Ensemble Leipzig, dem Ensemble Amarcord und Tanzensembles wie Sasha Waltz & Guests. Seit 2002 tut sich die Lautten Compagney auch immer wieder mit dem assoziierten Vokalensemble Capella Angelica zusammen. Eine enge Partnerschaft gibt es ebenfalls zwischen dem Ensemble und der Sopranistin Dorothee Mields, mit der man zuletzt eine Jahrhunderte übergreifende CD zum Thema Krieg vorgelegt hat („War & Peace 1618:1918“). Daneben entwickelt man gern gemeinsame Text-Musik-Formate mit Schauspielern wie Friedrich von Thun, Katja Riemann, Senta Berger, Dominique Horwitz, Eva Mattes und Fritzi Haberlandt.
So hat sich mit den Jahren das Repertoire stetig erweitert, das Interesse verlagert. Der Anspruch der Zuschauer ist freilich auch gewachsen, ebenso die Bereitschaft, sich auf Neues und Unbekanntes einzulassen. Das Repertoire der Lautten Compagney umspannt inzwischen die Zeit des beginnenden Barock um 1600 bis zur romantischen Musik Felix Mendelssohns. Der Schwerpunkt liegt auf deutschen, italienischen und englischen Kompositionen. Zum Programm des Ensembles gehören sowohl Instrumental- als auch Vokalwerke. Letztere reichen von Lieder- und Arienprogrammen bis zu Opern- und Oratorienaufführungen.

Rausch und Raritäten

Als neugieriger Musikhistoriker und akribischer Forscher bringt Wolfgang Katschner immer wieder fast vergessene Werke zur Wiederaufführung. Erstmals auf CD finden sich durch das Ensemble manche Werke von Giovanni Battista Bononcini, Bellerofonte Castaldi, Johann Philipp Krieger, Matthew Locke und Baldassare Galuppi – über 30 CDs und DVDs hat das fleißige Ensemble inzwischen produziert. Für eine ihrer erfolgreichsten Projekte, das ebenfalls aufgenommene „Timeless“, wurde die Lautten Compagney 2010 mit dem ECHO Klassik ausgezeichnet.
„Timeless“ – das spannte erstaunlich stimmig und faszinierend Musik von Tarquinio Merula und Philip Glass zusammen. Man verlor sich scheinbar schwerelos in den leicht berauschenden Musikstücken: Werke der Renaissance und des 20. Jahrhunderts überraschend zum Schulterschluss gebracht. Durch eine sorgfältige Orchestrierung wurde die Verwandtschaft noch betont, einige der Werke gingen bruchlos ineinander über.
„Das war toll damals“, erzählt Wolfgang Katschner, „vor allem zu erleben, was für Menschen mit sonst sehr unterschiedlichem Musikgeschmack man so erreichen kann. Es war eine Reise, ein Abenteuer für uns alle. Aber eines, das sehr befriedigend ausging.“
So wollte man jetzt, genau zehn Jahre später, noch einmal an diese Erfahrungen anknüpfen, sie ausweiten. „Also ging wieder der mühsame Teil der Notensuche los, und die Überlegung, wie verblende und kombiniere ich was. Wir wollten diesmal noch variabler werden.“
Entstanden ist so „Circle Line“, das seine Inspiration wirklich einer Fahrt auf dem Berliner S-Bahn-Ring verdankt, dann aber wegen der international besseren Lesbarkeit auf die Londoner Tube und ihr bekanntes Logo übertragen wurde. Ein Gutteil der verwendeten Musik kommt aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum. Diesmal trifft Glass mit Steve Reich, Meredith Monk, dem frühen John Cage auf Musik des zwischen Cambrai und Rom tätigen Guillaume Dufay, und wieder verbinden sich französische Kathedralen und die Skyline von Manhattan zu einem klanglichen Ring. Musikalische Neuanfänge über 500 Jahre hinweg, die wirklich magisch miteinander harmonieren. Vor allem wenn die damalige Vokalmusik der Gotik, eine Verschmelzung der Sphären im Kontrapunkt anstrebend, instrumental bearbeitet wird, das Saxofon etwa einen ganz unerwarteten Klang darüberlegt. So wird deutlich: Beide zeitlichen Anteile arbeiten mit ihren Formeln, deren kaum merkliche Varianz erzeugt das klangliche Schweben. Diese Musik nimmt uns mit auf einen Trip.

www.lauttencompagney.de

Neu erschienen:

„Circle Line“ (Werke von Glass, Cage, Dufay u. a.)

Lautten Compagney, Wolfgang Katschner

dhm/Sony

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Konfrontationskurs

Die Lautten Compagney bringt 500 Jahre voneinander entfernte Musikstile in diesem CD-Projekt miteinander in Beziehung. Dies geschieht über die Nutzung eines übergreifenden Instrumentariums, das neben historischen Instrumenten, wie Laute, Posaune und Zink, auch Saxofon und diverse Schlaginstrumente einschließt. Sorgfältig wurden die entsprechenden Kompositionen aus beiden Stilrichtungen ausgewählt, arrangiert und in eine schlüssige Reihenfolge gebracht. So wird schon gleich zu Beginn die spannungsgeladene Musik des „Train To São Paulo“ aus Philip Glass’ berühmter Filmmusik zu „Powaqqatsi“ mit dem signalhaften „Gloria ad modum tubae“ von Dufay konfrontiert.

Matthias Siehler, 19.10.2019, RONDO Ausgabe 5 / 2019



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