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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Uwe Arens

Emmanuel Tjeknavorian

Der wilde Wiener

Der junge österreichische Geiger hält viel von der großen Wiener Tradition seit Fritz Kreisler – und das hört man.

Für unser Treffen schlägt er den wohl schönsten Speisesaal vor, den Wien zu bieten hat: das holzgetäfelte, von gedrehten Säulen flankierte Restaurant des Hotel Bristol. Es befindet sich gleich rechts von der Staatsoper, an der sogenannten ‚Sirk-Ecke‘; hier verkehrten schon Leonard Bernstein und Herbert von Karajan. Der Geiger Emmanuel Tjeknavorian kommt öfters hierher. Er ist Wiener. Das verrät zwar nicht sein iranisch-armenischer Nachname. Wohl aber sein Akzent. Mit der Mutter sprach er Russisch, mit dem Vater Armenisch. „Typisch!“, meint er. „Es gibt keine Wiener, die seit vier Generationen im 1. Bezirk leben“, so Tjeknavorian, der trotz ungebändigtem Haarwuschel immer noch aussieht, als habe er gerade die Matura hinter sich. Jugend zählt. Wenn er im superschmal geschnittenen Einreiher auf die Bühne kommt, kann man sich keinen perfekteren, eleganteren Strich in der Landschaft vorstellen. Der leicht getrübte ‚Schlafzimmerblick‘ kommt auch nicht schlecht. Kein Wunder, dass sein Label diese Neuerwerbung stolz ankündigte. Tjeknavorian könnte der erste Super-Geiger werden, der seine Karriere nicht von einer Major-Firma aus startet. Dass ein 24-Jähriger sein Label-Debüt mit einem Solo-Konzert des eigenen Vaters eröffnet, ist dennoch ungewöhnlich. „Er findet’s toll“, so Tjeknavorian über die Reaktion von Loris Tjeknavorian, der in Armenien eine Berühmtheit ist. Dem mittlerweilen 82-jährigen Geiger-Vater sollte man nicht vorhalten, dass sein musikalischer Mentor einst Carl Orff hieß. Der blieb in der Nazi-Zeit nicht ganz unkorrumpiert. Ist aber lange her, und dem Violinkonzert Nr. 1 von Loris Tjeknavorian, das dessen Sohn spielt, ist es keineswegs anzuhören. In bester Bartók-Manier werden armenische Volksmusik-Wurzeln aus der Heimat des Komponisten einbezogen. „Das Werk ist tonal und noch aus dem Jahr 1956 – da hat Sibelius noch gelebt!“, sagt Tjeknavorian ebenso staunend wie lakonisch. „Ich möchte nichts spielen, was die Menschen unberührt lässt“, so der junge Geiger zum Lobe dieses Werkes, das sich das Violinkonzert von Aram Chatschaturjan zum Vorbild genommen hatte (gleichfalls ein herb Vernachlässigter innerhalb der harmonisch komponierenden, dadurch gern unter den Tisch fallenden Moderne). „Dass man bei tonaler Musik immer gleich mit dem Rücken zur Wand steht, wird sich in den kommenden Jahren gewiss ändern“, so Tjeknavorian selbstbewusst.

Senkrechtstart mit Bodenhaftung

„Auf Höflichkeitsapplaus lege ich kein Gewicht“, sagt Tjeknavorian, und ist damit allen musikalischen Alibis abhold. „Schon ein Meisterwerk wie das Violinkonzert von Alban Berg überzeugt doch wegen seiner emotionalen Botschaft. Dafür ist sein romantischer Gestus nicht unwichtig.“ Er hat Recht. Die Tonalen sind ohnehin wieder auf dem Vormarsch. Oder sind das alles nur altmodische Parameter? „Macht nichts“, so Tjeknavorian. „Ich bin jung, also ist auch nicht alt, was ich sage.“ Mit diesem Jugend-Beweis ist Tjeknavorian weit gekommen. Im Alter von sieben Jahren, zwei Jahre nachdem er begonnen hatte, gab er sein erstes öffentliches Konzert. Er wurde von Rolando Villazón zu „Stars von morgen“ eingeladen und moderiert seit 2017 seine eigene, monatliche Radio-Show in Wien. Große Dirigenten wie Riccardo Chailly, Semyon Bychkov und Edward Gardner haben ihn schon begleitet. Auch sein Album-Debüt bei der Sony hat er schon hinter sich. Bis vorletztes Jahr studierte er bei Gerhard Schulz vom Alban-Berg-Quartett. Gelegentlich dirigiert er auch (als gelehriger Schüler seines Vaters, früher Leiter des Armenian National Philharmonic Orchestra). Kurz: ein Senkrechtstarter mit Wiener Bodenhaftung. Auf ein gewisses Wienertum schwört er auch musikalisch. „Den Wiener Streicherklang, der über mehr Süße verfügt, gibt es immer noch“, räsoniert er. Und hat darüber wirklich nachgedacht. „Es ist ein leichter Schlendrian im Ton, der diese Süße ausmacht“, so Tjeknavorian. „Man stellt das mit der rechten Hand her – mit dem Bogen.“ Seine Heimat habe dieser Ton von jeher im Orchester der Wiener Philharmoniker; wo er über die großen Konzertmeister (von Josef Hellmesberger bis Willi Boskovsky) in die Gegenwart hinübergereicht wurde. Allerdings: „Es gibt immer weniger Solisten, die das beherrschen. Was ich beklage!“, so Tjeknavorian.

Ortsbekenntnisse

„Ich will das Wienerische wecken“, sagt er deutlich. Wäre also Tjeknavorian der vorerst Letzte in der Galerie großer Wiener Geiger seit Fritz Kreisler? „Nicht Kreisler war der größte Wiener Geiger!“, relativiert Tjeknavorian sogleich. „Sondern Oscar Shumsky. Der serviert eine so kalorienreiche Sacher-Torte, dass man geradezu Diabetes davon kriegt“, scherzt er. Jener Oscar Shumsky übrigens stammte keineswegs aus Wien (sondern aus Philadelphia). War aber der letzte Schüler des legendären Altkakaniers Leopold von Auer (der bei Hellmesberger lernte). Wilde Wiener Mischung! Die wienerischsten Geiger von allen sind immer noch die halb zugereisten. Man hört diesen Wiener Ton auch auf dem Album. Wärme und ein gewisser süßer Schmelz in den oberen Regionen zeigen sich im Sibelius-Violinkonzert wundervoll. Das ist nicht vordringlich, sondern wird durch dunkle Samtigkeit und kunstvolle Verschattung kontrastiert. Was für erhabene Lasten das hr-Sinfonieorchester unter Pablo González auch immer herbeizuschleppen sucht, Tjeknavorian mischt eine Spur Lieblichkeit, wenn auch nicht wirklich Wiener Schmäh mit drunter. Der Junge wird nie zum brillanten Hexer oder zum Pathetiker. Sondern behält im Auge, dass der heurige Wein der nächste – und vielleicht der beste ist. Und der Wienerwald ist nah … Im globalisierten Klassik-Alltag sind derlei Ortsbekenntnisse höchst selten. Und umso erfreulicher, durchaus. Tatsächlich schwört Tjeknavorian nicht auf die großen Star-Idole, die sonst viele der Jüngeren leichtsinnig im Munde führen. Was sollen ihm David Oistrach und Jascha Heifetz?! Er schwört auf Barock-Geiger, die im Orchester spielen. Erich Höbarth etwa, den Primarius des Wiener Quatuor Mosaïques (das aus dem Concentus Musicus Wien hervorging), bewundert er. Dabei spielt er selbst kaum Alte Musik, da er nicht für „halbe Sachen“ zu haben sei. „Bach ist eine Lebensaufgabe. Ich bevorzuge Beethoven“, sagt er ehrlich. Da wären wir wieder in Wien gelandet. Geiger, die überhaupt etwas von der Interpretationsgeschichte ihres Instruments wissen, sind heute selten. Die meisten bewundern, ohne wirklich zu kennen. Das ist bei diesem wilden Wiener anders. Mit dem wuscheligen Geigen-Schlacks ist unbedingt zu rechnen. Demnächst in Magdeburg, Konstanz, Künzelsau, Stuttgart und London. Sowie in Wien.

Süßer Schmelz

Der ‚süße‘ (aber nicht süßliche) Ton ist das Geheimnis der Wiener Philharmoniker – bei jedem Neujahrskonzert. Eine leichte Süffigkeit also, die bei Schumann oder Wagner stören kann. Das legendäre Wiener Mozart- Ensemble – mit Stars wie Hilde Güden und Anton Dermota – verfügte gleichfalls über Sänger, die süßen Heurigen-Schmelz mitbrachten. Auf dem Klavier ist das schwerer, weshalb Friedrich Gulda und Paul Badura-Skoda in andere Richtungen gingen. Auch Geigen-Virtuosen mit solcher Süße sind – außer Fritz Kreisler – rar. Am ehesten Wolfgang Schneiderhan, zugleich Ehemann von Irmgard Seefried. Auch sie zählte zur (Schnitzlerschen) Sängerinnen-Fraktion der „süßen Mädels“.

Robert Fraunholzer, 15.02.2020, RONDO Ausgabe 1 / 2020



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