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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Vincent Garnier

Mari Kodama

Übertragungsleistung

Die Pianistin hat Transkriptionen der Beethoven-Streichquartette von Saint-Saëns, Mussorgski und Balakirew eingespielt.

RONDO: Können Sie sich an ihre erste musikalische Begegnung mit Beethoven erinnern?

Mari Kodama: Das waren wohl die frühen Sonaten, die man fälschlicherweise auch die „leichten“ Sonaten nennt. Als Kind kann man natürlich nicht analysieren, warum man die Stücke liebt. Aber für mich hatte Beethoven immer etwas sehr Positives.

RONDO: Sie haben ihn als Kind nicht als schroff empfunden?

Nein, für mich war Beethoven immer Optimist! Er hat diese Liebe zur Menschheit und immer weitergedacht, ist nie nur bei sich stehen geblieben. Und er hat viel von der Welt verstanden und Visionen von der Zukunft entwickelt.

RONDO: Was würden Sie Beethoven heute fragen, wenn Sie die Gelegenheit hätten, ihn zu treffen?

Er war ja sozusagen ein Vor-Demokrat in einer feudalen Weltordnung, die dann im Umbruch war. Heute hat sich die Demokratie – zumindest auf dem Papier – beinahe weltweit durchgesetzt. Mich würde interessieren, was Beethoven dazu sagen würde, wie die Welt sich entwickelt hat. Und ihn fragen, wie sie sich weiterentwickeln wird und vor allem, welche Rolle die Musik dabei spielt.

RONDO: Wie kam es zur Auswahl der Transkriptionen von Saint-Saëns, Mussorgski und Balakirew?

Nicht viele haben es gewagt, Beethoven zu transkribieren! Es ist auch alles andere als einfach, Streichquartette für Klavier zu transkribieren. Besser gesagt, sie zu übersetzen. Im Falle Balakirews: Er war Anfang 20, als er das geschrieben hat. Anders war es bei Saint-Saëns und Mussorgski, die waren schon in ihren 30er-Jahren und etablierte Komponisten. Die Gründe für die Transkriptionen kennen wir nicht. Aber ich kann mir vorstellen, dass es darum ging, im Freundeskreis einzelne Sätze dieser Quartette zu spielen. Keiner von ihnen hat die Quartette vollständig transkribiert, sondern vorwiegend nur die schnellen Sätze. Das sind eher Charakterstücke. Bei Balakirew kann man sagen, dass er von Note zu Note aufs Klavier übersetzt hat. Bei Mussorgski und Saint-Saëns ist hörbar, dass sie viel mehr eigenen Charakter und Farben einbrachten.

RONDO: Wie frei sind die Komponisten im Umgang mit Beethovens Originaltext?

Im Prinzip haben alle die Substanz nicht verändert. Aber das ist letztlich wie bei Literaturübersetzungen. Wenn man Dostojewski auf Deutsch übersetzen will, kommt man mit Google Translate nicht sehr weit. Man muss die Originalsprache kennen, damit es natürlich fließt. Damit der Geruch, der Rhythmus und die Atmosphäre von Dostojewski auf Deutsch spürbar werden.

RONDO: Wer kommt Beethoven am nächsten?

Alle drei haben Beethoven für ihre jeweilige Epoche interpretiert und sind trotzdem ganz nah drangeblieben. Beethoven selbst war ein Meisterübersetzer von Mozart. Dabei ist er sehr frei umgegangen mit dem Notenmaterial und hat Mozarts Geist doch auf den Punkt getroffen.

RONDO: Wie schwierig ist es, den Klang eines Streichquartetts auf das Klavier zu übertragen?

Das Klavier ist ein Schlaginstrument, es gibt kein Vibrato, kein Crescendo. Es war eine sehr spannende Phase, als ich die Transkriptionen einstudiert habe. Ich habe so viel ausprobiert! Immer wieder andere Tempi, andere Farben.

Beethoven (arr. Saint-Saëns, Balakirew, Mussorgski)

Kaleidoscope

Mari Kodama

Pentatone/Naxos

Regine Müller, 11.04.2020, RONDO Ausgabe 2 / 2020



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