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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Cecily Eno

Boulevard

Ein Schuss Jazz, eine Prise Film, ein Löffel Leichtigkeit: Bunte Klassik

Erzählende Klangzeitlupe

Vielleicht muss man ja aus Island kommen, wenn man Musik für einen Science-Fiction-Film schreiben will. Die faszinierende Kargheit dieser nordischen Landschaften könnte den von dort stammenden Komponisten, den 2018 früh verstorbenen Jóhann Jóhannsson, inspiriert haben. Er hat weit mehr als Musik hinterlassen. Der Film „Last and First Men“ ist seine einzige Regiearbeit. Olaf Stapledons Romanvorlage von 1930 gilt als Klassiker des Sci-fi-Genres. Wie Jóhannsson in einem Interview ein Jahr vor seinem Tod erklärte, war es jedoch ein Fotoband mit Kriegsdenkmälern des ehemaligen Jugoslawien, der ihn auf die Spur brachte. Mit einer 16-Millimeter-Filmkamera spürte er ihnen in Schwarz-Weiß nach, erst nach und nach verbanden sich die Motive mit Stapledons Vision der zukünftigen Menschheitsgeschichte. Die ruhige, sich in scheinbar unendlicher Langsamkeit entwickelnde Musik, die Jóhannsson dazu zusammen mit Yair Elazar Glotman komponiert hat, wirkt wie eine mystische Klangzeitlupe aus elektronischen und akustischen Soundschichten.

Jóhann Jóhannsson

„Last and First Men“

DG/Universal

Brian Eno und die Synästhesie

„Ambient“ heißt die Musik, als deren Erfinder Brian Eno in die Geschichte eingegangen ist. Es sind kühle elektronische Muster, die Eno in den 70er-Jahren mithilfe eines technischen Tricks erzeugte, und die wie Sphärenklänge vorübergleiten. Nun sind seit der Erfindung schon über vier Jahrzehnte vergangen, aber Eno scheint sich bei seinem aktuellen Album „Mixing Colours“ daran erinnert zu haben, dass diese Musik auch einen illustrativen Charakter hat. Die Tracks des Albums (am Keyboard gespielt von Enos Bruder Roger) bringen die schwebenden Patterns mit Farben in Verbindung, wobei die Titel mit den poetischen Namen der einzelnen Tönungen aufwarten – von „Wintergreen“ bis „Deep Saffron“, von „Ultramarine“ bis „Dark Siena“. So outet sich der Musiker als sogenannter „Synästhetiker“, für den sich Klänge unwillkürlich mit Farben verbinden. Damit steht er in einer Reihe mit Persönlichkeiten wie Alexander Skrjabin oder Olivier Messiaen.

„Mixing Colours“

Brian & Roger Eno

DG/Universal

Was ist Milch, was Zucker?

2017 hat das Erfolgsduo Milk & Sugar sein 20-jähriges Jubiläum als DJ- und Producer-Act feiern können. Insofern kommt das neue Erfolgsrezept für die House-Musiker ein bisschen spät. Unter der Erkenntnis, dass House-Klassiker ja wirklich etwas mit Klassik zu tun haben können, unterstreichen sie ihre rhythmischen Schleifen, ihre massiven Riffs und Akkordattacken nun mit Streichern, Blech, Holzbläsern und anderem Instrumentarium eines großen Sinfonieorchesters. So kann man nun zu Klassik-Klängen dank des Einsatzes der Münchner Symphoniker auch in Clubs tanzen. Dabei fungiert das an den Sounds von Beethoven, Wagner und Co. orientierte Gewand meist als Unterstützung des rhythmischen Drives, erscheint in kleinen Episoden aber hier und da auch losgelöst. Gelegentlich leisten sich die Arrangeure sogar die eine oder andere lyrische Episode. Mit Soloklavier (in „Sky and Sand“) klingt dann im Intro sogar ein Hauch von Mozart-Klavierkonzert auf. So fragt man sich bei dieser musikalischen Begegnung, was nun Nahrung, was Süßmittel, was also Milch, was Zucker ist.

„Ibiza Symphonica“

Milk & Sugar, mit Münchner Symphoniker

Warner

Funkensprühende Begegnungen

Wen hat das E-Gitarrensolo am Beginn von „Thunderstruck“ nicht schon mal an Bach erinnert? Das Duo Queenz of Piano macht die innere Verwandtschaft von AC/DC und dem großen Klassiker zum Programm. Auf seinem Debüt-Album verbindet sich nicht nur der Rockklassiker mit der berühmten Toccata d-Moll. Auch Bekanntes von Beethoven oder Chopin wird systematisch auf Möglichkeiten zum Sprung über die Grenzen hin ausgelotet, wobei fast jedem Track das Konzept einer solchen musikalischen Begegnung zugrunde liegt – und das alles in großen Pop-Arrangements, für die übrigens Mousse T. verantwortlich zeichnet. Die beiden „Königinnen“ sind Jennifer Rüh und Ming, zwei Virtuosinnen mit klassischer Ausbildung, die sich auf ihrem Platz zwischen den Musikwelten damit als Kolleginnen grenzüberschreitender Virtuosen wie David Garrett oder Vanessa-Mae präsentieren.

„Queenz of Piano“

Edel

Oliver Buslau, 18.04.2020, RONDO Ausgabe 2 / 2020



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