Als regietheatergestählter Besucher deutscher Opernhäuser könnte man glatt vergessen, dass für den Rest der Opernwelt völlig andere Maßstäbe gelten: Während hierzulande nach wie vor das Befreien der Stücke von Aufführungsklischees und das Freilegen von Subtexten angesagt ist, scheint die Fortführung der Konvention anderswo überhaupt kein Problem darzustellen – insofern sind die Kino- Live-Übertragungen von Aufführungen der New Yorker Metropolitan Opera wichtige Ergänzungen. Wer also endlich mal eine »Aida« im monumentalen Ägypten-Setting und eine »Turandot« in vollem China-Pomp sehen möchte, liegt mit den beiden neuen DVDs aus dieser Serie richtig. Beide Produktionen liefern die Stücke genau so, wie sie im Opernführer beschrieben werden. Die auf einer Produktion aus den späten achtziger Jahren basierende »Aida« bietet freilich kaum mehr als einen bombastischen Rahmen für eine vokale Stehparty: Johan Botha, der bei der Übertragung auch stimmlich nicht seinen besten Tag hatte, lässt von den Seelennöten Radames’ kaum etwas erahnen, und nur Violeta Urmanas leidenschaftliche Aida lässt hin und wieder eine Ahnung aufscheinen, dass auch unter diesen Bedingungen packendes Musiktheater möglich gewesen wäre.
Franco Zeffirellis ebenfalls aus den Achtzigern stammende »Turandot«-Inszenierung schneidet da schon deutlich besser ab. Das liegt sicher auch daran, dass im Gegensatz zur arg statuarisch geratenen »Aida« hier deutlich mehr szenische Abwechslung geboten wird, vor allem aber war die Übertragung ein musikalisch besserer Abend. Die Russin Maria Guleghina besitzt zwar keine hochdramatische Superröhre, macht aus der chinesischen Prinzessin jedoch eine interessante, zwischen Aggressivität und Verletzlichkeit ausbalancierte Figur. Auch Marcello Giordanis lebhafter Kalaf und Marina Poplavskayas fragile Liù sind glaubwürdige Figuren, dazu sorgt Andris Nelsons, der mit dieser Serie sein Met-Debüt absolvierte, dafür, dass die musikalische Hochspannung nicht abreißt.
Aber auch die Met würde eine Produktion wie Nicolas Joels 1981 entstandene Inszenierung von »Samson und Dalila« heute nicht mehr herausbringen. In ihrem bonbonfarbigen Kitsch, den Tempeltänzerinnen und den angeklebten Bärten der Juden eine echte Seventies-Trash-Orgie mit einem Plácido Domingo im Zentrum, der geradewegs aus einem billigen Sandalenschinken zu kommen scheint. Das kann man zwar nicht ernst nehmen, Spaß macht die Sache schon – die Dauergrinsstarre von Shirley Verretts Dalila passt auf ihre Art sogar ganz gut zu dieser Veranstaltung. Der »Samson« ist Teil einer Box mit drei einzeln schon länger erhältlichen Mitschnitten, die jetzt zu Ehren von Domingos 70. auf den Markt gekommen ist. Mit Meyerbeers »Africaine« (ebenfalls aus San Francisco) und Ponciellis »La Gioconda« (aus Wien) wird der Geburtstagstribut durch zwei Raritäten komplettiert, die Domingo im vollen Saft zeigen. Die Inszenierungen sind in beiden Fällen ziemlich plüschig, aber hier kann Domingo nicht nur vokal, sondern auch als Darsteller punkten.
Dieser Eindruck wird auch auf zwei weiteren Veröffentlichungen bestätigt. Eine weitere Arthaus-Box vereint mit »Lohengrin«, »Trovatore « und einer von Carlos Kleiber dirigierten »Carmen« drei Aufzeichnungen aus der Wiener Staatsoper, und selbst in der berüchtigten aquarienhaften »Trovatore«-Inszenierung von Herbert von Karajan findet Domingo Möglichkeiten, das romantische Feuer Manricos zu zeigen. Kultverdächtig ist die Aufführung ohnehin ihrer Starbesetzung wegen (Cappuccilli, Kabaivanska, Cossotto, Van Dam), die einem Tränen der Wehmut in die Augen treibt. Selbst dem Lohengrin verleiht Domingo ein anrührend menschliches Profil, dass die von Claudio Abbado dirigierte Produktion darüber ein paar vokale Schwachpunkte (wie Dunja Vejzovics Ortrud) besitzt, verschmerzt man.
Der Künstleroper «Goya”, einem Spätwerk des Postveristen Gian Carlo Menotti, können freilich auch die sängerdarstellerischen Fähigkeiten eines Domingo nicht aufhelfen. Die 2004 aufgezeichnete Produktion des Theater an der Wien tut zwar mit ansprechendem Cast (Michelle Breedt als lookalike der Herzogin von Alba) und umsichtiger Inszenierung von Londons neuem Opernchef Kaspar Holten viel, um das Werk zur tiefsinnigen Künstleroper aufzuwerten, doch bleiben die Figuren musikalisch eben doch flach, und das Wogen der Emotionen nimmt allzu oft einen pauschalen musicalhaften Ton an.
Jörg Königsdorf, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 5 / 2011
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