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N° 1354
20. - 26.04.2024

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am 27.04.2024



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Die »Nachtigall« ist eine Ziege

Seit 1963 zeichnet der »Preis der deutschen Schallplattenkritik« fachlich und unabhängig die Spitzenaufnahmen der Phonoindustrie aus. Mit dem Glamour der Echo-Verleihungen konnte das als Verein organisierte Gremium mangels Finanzen natürlich nie konkurrieren, aber seit diesem Jahr gibt es für die Preisträger immerhin eine hintersinnige Trophäe des Künstlers Daniel Richter zu ergattern. Robert Fraunholzer hat ihn zu seiner Skulptur, der »Nachtigall«, interviewt und hörte was trapsen.

Nimmt die Kommerzialisierung der Klassik immer schlimmere Formen an? Man könnte es glauben. Selbst arrivierte Künstler wie Anne-Sofie von Otter, Paul McCreesh oder Marc Minkowski meiden neuerdings große Firmen auf der Flucht vor Star-Hype und schnöder Massenkompatibilität. Klassik-Fachblätter, die vom Käufer immer noch einen stattlichen Kaufpreis kassieren, funktionieren heute oft nur noch nach dem Motto: »Die Veranstalter zahlen, wir drucken.« Zeiten, wo Journalisten-Reisen von den Medien selber bezahlt wurden, dürften demnächst wohl ganz der Vergangenheit angehören. Seit Jahren gibt es aber eine Auszeichnung, die sich konsequent allen kommerziellen Erwägungen verweigert, die gewissermaßen den ‚Gegenpreis‹ zum offiziösen Echo darstellt: den Preis der deutschen Schallplattenkritik (seit 1963). In diesem Jahr hat sich die von einem unabhängigen Verein getragene Auszeichnung endlich zu einem neuen Namen bequemt. Und erstmals zu einer Preis-Skulptur.
Die »Nachtigall«, geschaffen von dem deutschen Maler Daniel Richter (der 2010 bei den Salzburger Festspielen als Bühnenbildner von »Lulu« für Furore sorgte), klingt vom Namen her zuckersüß. Doch das täuscht. Bei der Goldplastik, die vor allem vor dem schwarzen Anzug des diesjähriges Hauptpreisträgers Murray Perahia »gut sichtbar« sein sollte, so Richter, handelt es sich um die erste Skulptur des inzwischen sündhaft teuer gewordenen Künstlers. »Bildmäßig gesehen ist das Ding zweierlei: die Picasso-Ziege und der Dagobert Duck’sche Geldhaufen.«
Daniel Richter gilt nicht erst seit der Salzburger »Lulu« als klassikaffin. »Vielen Leuten öffnet sich die Welt über Musik: bei mir über Underground und Radaumusik im weitesten Sinne. Parallel habe ich aber immer Klassik gehört. Ich habe mich selber reingearbeitet.« Das sei über Schostakowitsch und Strauss gelaufen. »Von da aus wird’s leichter, und geht von Lachenmann und Rihm wieder runter zu Bartók. Ich habe ein Faible für die Musik des 20. Jahrhunderts.«
Inzwischen bekam auch der zweite Jahres- Preisträger, der Schriftsteller und Sänger Sven Regener seine Ehren-»Nachtigall« (für »Element Of Crime«). Ende September folgte als dritter Preisträger der britische Produzent Simon Perry – langjähriger Chef des Klassik-Labels »Hyperion«. Die vielen Münzen, die Daniel Richter dafür »mit einer Heißklebepistole zusammengeklebt« hat, werden übrigens nach dem Guss säuberlich wieder getrennt und in den Geldkreislauf zurückgespeist. »Nicht dass der Euro geschwächt wird!«, so Daniel »Dagobert« Richter.

Robert Fraunholzer, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 5 / 2011



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