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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) AR

Ralf Frenzel

Opernkarten vom Finanzamt

Eigentlich ist der Verleger auf die schönen Seiten des Lebens abonniert, beim Stichwort „Kulturförderung“ wetzt er aber die Messer. Und serviert einen Gegenvorschlag.

RONDO: Herr Frenzel, Sie sind gelernter Koch, Sommelier und Verleger von Büchern und Magazinen zu den Themen Genuss und Essen. Ich nehme an, Ihr Kulturbegriff erschöpft sich nicht mit einem Streichquartett im Frack?

Ralf Frenzel: Nein, Kultur ist für mich eine ganzheitlichere Angelegenheit. Ich bedauere oft sehr, dass neben Musik, Theater und Kino nicht selbstverständlich auch Essen und andere Facetten der Lebensqualität allgemein als Kultur aufgefasst werden. Essen und Kultur bestimmen sich aus der Herkunft – wo anders gekocht und gegessen wird, herrscht auch eine andere Kultur.

RONDO: Woran machen Sie die Trennung der Sphären Kultur und Essen denn fest?

Frenzel: Das können Sie überall sehen. Warum gibt es ausgerechnet bei Galerieeröffnungen den schlechtesten Wein und lappige Schnittchen, warum werden in Kulturtempeln wie Salzburg und Bayreuth Dosenwürste warm gemacht? Esskultur ist nicht nur 3-Sterne-Küche, es geht um Liebe zum Produkt auf allen Ebenen, um Respekt vor unseren Lebensmitteln und ihrer Erzeugung. Das fängt beim Butterbrot an und reicht bis zur haute cuisine.

RONDO: Nun ärgern Sie sich aber gerade vor allem über die Ausrichtung unserer Kulturpolitik. Kritisieren Sie die Maßnahmen in Corona-Zeiten?

Frenzel: Ich ärgere mich ehrlich gesagt schon länger, seit 2008. Damals in der Weltwirtschaftskrise schafften es Lobbyisten der Autobranche, der Regierung eine Abwrackprämie einzureden mit dem Hinweis, sie seien der größte Arbeitgeber. Dabei kommen Sie, wenn Sie die Beschäftigten aus Kultur, Veranstaltungs-, Hotel- und Gastrobranche zusammenzählen, auf viermal mehr Betroffene. Die Automobilindustrie verfügt über ein wahnsinniges Vermögen, die müssen gerade Milliarden an Strafe zahlen und brechen dennoch nicht ein. Verstehen Sie mich richtig, ich will den Autobauern und ihren Beschäftigten ja gar nichts wegnehmen! Im Vergleich zeigt sich mir hier vor allem eines: Die Kultur ist im politischen Berlin nicht ansatzweise so gut vertreten, untereinander erfolgreich vernetzt, noch für die Entscheider so stark im Fokus wie die Industrie. Das muss sich ändern. Man bedauert zwar die Misere, aber hat offenbar nicht das Gefühl, dass man mit einem kräftigen Akzent in der Kultur einen Anstoß von gesellschaftlicher Relevanz setzen würde – und noch dazu viel mehr in der Mitte der Gesellschaft.

RONDO: Was ist denn Ihr Vorschlag, um der Kultur auf die Beine zu helfen?

Frenzel: Wichtig wäre es, Anreize zu schaffen, damit der Verbraucher Lust hat, in Kultur zu investieren. Stellen Sie sich vor, jeder Bürger bekäme einen Freibetrag von 2.500,-€ auf der Lohnsteuerkarte für jede Form von kulturellen Aktivitäten, für Besuche in Konzerten, Museen und Restaurants.

RONDO: Kultureinrichtungen der öffentlichen Hand wirtschaften vornehmlich mit den staatlichen Subventionen, Ticketverkäufe spielen im Gesamtetat die kleinere Rolle. Finden Sie dieses Verhältnis problematisch?

Frenzel: Sehen Sie, die Buchmesse freute sich gerade über eine Subventionszusage von 20 Millionen Euro. Zwanzig! Entschuldigen Sie, das sind für solch eine Großveranstaltung doch Peanuts! Subventionen alleine sind nicht nachhaltig. Schauen Sie sich beispielsweise die Fleisch-Industrie an, deren Probleme und Missstände resultieren meines Erachtens aus der Subventionierung. Das ist der falsche Ansatz, denn sonst hätten wir nicht Massen- und Billigware, sondern Qualität. Es kann nicht sein, dass die Kulturbranche am Gnaden-Tropf der Subventionen hängt. Was mich beschäftigt, ist die Frage: Wie können wir eine wertbasierte Daseinsberechtigung für Kultur schaffen? Wie können wir unsere geistige Nahrung unter Schutz stellen und langfristig sichern?

RONDO: In einem im April veröffentlichten Appell bezeichneten Sie den Besuch von Restaurants, Cafés, Konzerten und Theatern als „emotionale Grundversorgung“. Nun sind Geschmäcker doch recht verschieden. Könnte ich den Freibetrag denn auch bei kleinen kommerziellen Angeboten nutzen, etwa dem Pop-Club in meiner Stadt?

Frenzel: Warum sind immer alle so schnell dabei, Definitionen zu setzen und ausgrenzen zu wollen? Lassen Sie uns jetzt erst einmal anfangen. Natürlich muss ein Angebot für den „Genussfreibetrag“ ein bestimmtes Level erfüllen. Ich rede nicht vom Saxofonisten im Park und auch nicht vom Takeaway, sondern von Service-orientierten, seriösen Angeboten wie Konzerthäusern, Besuchsrestaurants und ja, natürlich auch Clubs. Stellen Sie sich nur mal vor, was das bedeutet: 80 Millionen Einwohner, die 2.500,- € investieren, das wären 200 Milliarden Euro, eine gewaltige Bewegung. Und übrigens genau das Hundertfache des gerade aufgestockten Kulturbudgets im Haushalt der Bundesregierung. Eine gewaltige Bewegung wäre da möglich.

RONDO: Ihr Vorschlag würde Kulturpolitik auch darin korrigieren, mit Subventionsvergaben bestimmte Kulturvorstellungen zu begünstigen. Denn die Bürger geben Ihr Geld nach eigenem Geschmack aus. Chance oder Risiko?

Frenzel: Den dabei entstehenden Wettbewerb ums Publikum fände ich sogar gut und wichtig. Es müssen doch die Guten belohnt werden, nicht die Schlechten angeschoben, das ist in der Gastronomie nicht anders, ein schlechtes Restaurant steht auch leer. Wir reden hier wohlgemerkt aber nicht über gefühlte Elite, sondern über Leistung. Wichtig ist auch, dass wir einen deutlich größeres Augenmerk auf die Bildung in Sachen Kultur und Genuss setzen. Diese Fähigkeiten werden schon in der Schule nicht ausreichend vermittelt. Gutes Essen und Ernährung müsste überhaupt einmal fixer Bestandteil des Unterrichts werden. Und die Kultur müsste sich jetzt aggressiv zu Wort melden. Ich würde als Gastronom Politikern bis auf weiteres Hausverbot erteilen, damit sie den Wert unserer Arbeit für das tägliche Dasein erkennen.

RONDO: Bisher flossen Hilfsgelder vor allem an Ensembles, über Projektaufrufe. Was tun wir, wenn bis zum Ende der Hygieneauflagen die freien Künstler den Job gewechselt haben oder die kleinen Betreiber Pleite sind angesichts reduzierter Auslastungen? Erlebt unsere Kulturlandschaft noch die Früchte Ihrer Vorschläge?

Frenzel: Das hängt davon ab, wie schnell sie aufgegriffen werden. Ich ziehe meinen Hut vor allen, die in der Krise Flexibilität und Einfallsreichtum unter Beweis gestellt haben, die spontan Streaming-Konzerte oder als Gastronomen Lieferservices angeboten haben. Und das mit einer Liebe zum Detail, als säßen die Leute zuhause dennoch in ihrem Lieblingsrestaurant. Und die Gäste haben Gutscheine gekauft, um das zu unterstützen. Mit einem Freibetrag könnte man den freien Künstlern ebenso helfen. Buchen Sie Ihren Lieblings-Saxofonisten, Ihr Lieblingsensemble für ein Hauskonzert, den Innenhof oder Ihr Stadtteilfest. Und reichen Sie die Honorarnote oder Bewirtungsbelege mit der Steuererklärung ein, dann wird diese Kulturausgabe über die Lohnsteuer rückerstattet.

RONDO: Soweit der Plan – wie können Sie ihn bei den richtigen Stellen deponieren?

Frenzel: Erst einmal müssen wir uns Gehör verschaffen, die Kultur war in der Krise viel zu brav. Das Problem unserer Branche muss intensiver diskutiert werden. Auch, in dem man den Politikern klarmacht, welche Wirtschaftskraft dahintersteckt. Stattdessen steht der Sektor Genuss unter Generalverdacht: Gastronomen fördern die Schwarzarbeit, ihre Gäste sind allesamt Spesenritter. Während man sich rechtfertigen muss, warum ein Abend im Restaurant pro Person 150,-€ kostet, sind für ein Fußballspiel 300,-€ pro Person kein Problem. Ich finde, es muss ein Ruck durch die Gesellschaft gehen, damit Essen und Kultur die Wertschätzung bekommen, die angemessen ist. Und auch die Sichtbarkeit.

Der Unternehmer Ralf Frenzel ist gelernter Koch, Sommelier, Herausgeber und Verleger. Zu seiner Unternehmensgruppe gehören die CPA! Communications- und Projektagentur, der Tre Torri Verlag GmbH, Tre Torri Digital TV sowie „FINE – Das Weinmagazin“.

Minimalforderung

Mit dem Corona-Lockdown kam das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben zum Erliegen. Doch während in der Industrie die Bänder längst wieder laufen, leidet das kulturelle und Gastgewerbe noch immer sehr unter den Einschränkungen. Öffentliche Konzert- und Opernhäuser spielen unter den gebotenen Gesundheitsauflagen in kleiner Besetzung und ohne Pausen vor Kammerpublikum – und mit erheblichen Verlusten. Am schlimmsten trifft es freie Musiker, deren Konzertengagements urplötzlich weggebrochen sind, private Veranstalter ohne Perspektive für einen Betrieb im Bereich schwarzer Zahlen und auch das Gastgewerbe – mit einem Wort: Geselligkeit und Kulturgenuss. Die Infektionswege des Virus zielen auf die conditio humana.

Carsten Hinrichs, 17.10.2020, RONDO Ausgabe 5 / 2020



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