home

N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Jake Turney

Die Kanneh-Masons

Sieben auf einen Streich

Bei diesen Geschwistern wird Camille Saint-Saëns’ „Karneval der Tiere“ zur familiären Angelegenheit. Sie können die Partitur fast unter sich ausmachen.

Kleine Besetzungen sind in Corona-Zeiten groß im Kommen. Tut man sich in Kammerformation doch leichter, die geltenden Abstandsregeln einzuhalten. Und noch leichter wird es, wenn man dabei auch noch aus einem Haushalt kommt. Sicher, nicht jede Familie ist mit musikalischem Talent so reich gesegnet wie die Kanneh-Masons, deren sieben Kinder nun zusammen angetreten sind, um in den legendären Abbey Road Studios ihr erstes gemeinsames Album einzuspielen. Lediglich unterstützt von einer Handvoll Gastmusiker für die Bläserstimmen. Denn im Hause Kanneh-Mason dominieren die Saiteninstrumente. Losgetreten hat dies einst die älteste Tochter Isata, die für ihre Debüt-CD mit Klavierwerken von Clara Schumann jüngst als „Nachwuchskünstlerin des Jahres“ mit dem Opus Klassik ausgezeichnet wurde. „Als Kind schaut man immer zu seinen großen Geschwistern auf“, wie ihr Bruder Braimah erzählt. „Deshalb haben wir alle erst einmal mit Klavier angefangen, bevor einige von uns dann andere Instrumente für sich entdeckt haben.“ Im Fall des 22-Jährigen hat etwa die Geige längst die Spitzenposition eingenommen. Und ergänzt durch den zweiten Bruder Sheku am Cello, sind die drei großen Kanneh-Masons so inzwischen regelmäßig als Kammermusik-Trio zu erleben und auch mit ihren Solo-Projekten gut im Geschäft. Geschwisterrivalität scheint es dabei nicht zu geben. „Selbst wenn einige von uns dieselben Instrumente spielen, sind wir allein durch den Altersunterschied alle an unterschiedlichen Punkten unseres Lebens und unserer Karriere.“ Das Trio nun zum Septett zu erweitern, war daher eigentlich nicht geplant, sondern einfach eine Konstellation, die sich in der momentanen Situation ganz natürlich entwickelt hat. Wenn man dem Lockdown der Kulturbranche also zumindest etwas Positives abgewinnen möchte, war es für die Kanneh-Masons eindeutig die Chance, endlich wieder gemeinsam zu musizieren und diese „Jamsessions“ auf digitalem Wege mit der Welt zu teilen. „Wir waren nicht nur zum ersten Mal seit langem wieder alle gleichzeitig zuhause, sondern haben ebenfalls alle zusammen dieselben Stücke geprobt und auf ein gemeinsames Ziel hingearbeitet. Mit der Aufnahme wollten wir vor allem zum Ausdruck bringen, wie wichtig uns Musik und das Miteinander sind.“ Nicht zuletzt auch als Botschaft für das Publikum von morgen, dem die sieben Geschwister mit ihrem Album nun auch den Einstieg in die Welt der klassischen Musik erleichtern möchten. Ähnlich wie es einst bei ihnen selbst geschah.

Dreadlocks im Lockdown

„Ich glaube, ich muss etwa acht oder neuen Jahre alt gewesen sein, als wir von unseren Eltern eine Aufnahme von ‚Peter und der Wolf‘ bekommen haben, von der wir alle komplett besessen waren. Wir haben sie jeden Morgen gehört, bevor wir zur Schule mussten. Als Kind ist man es zwar gewohnt, Geschichten erzählt zu bekommen. Aber verbunden mit den Instrumenten war es einfach etwas Magisches.“ Ein Seelenverwandter von Prokofjews Peter ist da natürlich auch Saint-Saëns’ „Karneval der Tiere“. Weltweit ein Favorit für Kinderkonzerte und hier mit neuen augenzwinkernden Zwischentexten von Kinderbuch-Autor Michael Morpurgo ergänzt, die von Oscarpreisträgerin Olivia Colman mit herrlich britischem Understatement vorgetragen werden. Prominente Unterstützung, für die Braimah Kanneh-Mason sehr dankbar ist. „Wir sind alle mit den Büchern von Michael Morpurgo aufgewachsen. Er ist ein wunderbarer Geschichtenerzähler, aber in seinen Texten steckt immer auch eine Botschaft. Wir hatten großes Glück, dass er Zeit und Lust hatte, mit uns zu arbeiten. Und es war besonders für meine jüngeren Schwestern Konya, Jeneba, Aminata und Mariatu wahnsinnig aufregend, als er uns bei den Aufnahmen besucht hat. Michael und seine Frau waren quasi unser Publikum, was der Aufnahme noch einmal eine ganz andere Energie gegeben hat.“ Abgerundet wird die CD übrigens noch von einer weiteren Morpurgo-Geschichte mit dem Titel „Grandpa Christmas“. Gelesen vom Autor selbst zusammen mit der Jüngsten im Bunde, der elfjährigen Mariatu Kanneh-Mason. Und selbstverständlich ebenfalls mit klassischen Musikstücken unterlegt, bei denen die Geschwister noch einmal die Chance haben, ihre Solo-Qualitäten unter Beweis zu stellen. Angefangen von Dauerbrennern wie dem „Hummelflug“ oder dem „Tanz der Zuckerfee“, aber auch mit weniger Vertrautem von Castelvuovo-Tedesco oder Eric Whitacre. „Das war eine interessante Aufgabe für uns. Wir haben alle die Geschichte gelesen und uns dann überlegt, welche Stücke als Ergänzung oder Überleitung passen könnten.“ Nicht vergessen werden darf allerdings auch die überraschende Zugabe, bei der sich die sieben Kanneh-Masons für Bob Marleys „Redemption Song“ entschieden haben. „Das hat sich während dem Lockdown ergeben, weil es eine Nummer ist, die wir in dieser Zeit oft gehört haben. In einem unserer Live-Streams haben Sheku, Mariatu und Jeneba dann ein Arrangement davon für zwei Celli und Klavier gespielt, das wir später erweitert haben. Ursprünglich nur für eine Probe, aber wir hatten so viel Freude daran, dass es einfach mit auf die CD musste.“

Neu erschienen:

Saint-Saëns, Whitacre, Castelnuovo-Tedesco, Marley u. a.

„Carnival“

mit Isata, Sheku Braimah, Konya, Jeneba, Aminata und Mariatu Kanneh-Mason, Colman, Morpurgo

Decca/Universal

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Alpen-Zoo

Spaß hatte Saint-Saëns ganz offensichtlich, als er sich im Frühjahr 1886 nach einer wenig erfolgreichen Deutschland-Tournee in ein kleines österreichisches Dorf zurückzog und dort seinen „Karneval der Tiere“ zu Papier brachte. Dennoch wurde die „Grande fantaisie zoologique“ am Faschingsdienstag desselben Jahres lediglich in privatem Rahmen uraufgeführt und zeit seines Lebens nie publiziert, da der Komponist hier zahlreiche Kollegen wie Offenbach, Berlioz, Rossini oder Mendelssohn zitierte bzw. parodierte, ihnen gegenüber aber nicht respektlos scheinen wollte. Lediglich beim berühmten „Schwan“ machte er eine Ausnahme. Heute zählt der „Karneval“ zu seinen populärsten Stücken.

Tobias Hell, 31.10.2020, RONDO Ausgabe 5 / 2020



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Hausbesuch

Charles Gounod

Erleuchtung in Rom

Nicht populär genug? Nun ruft die Stiftung Palazzetto Bru Zane anlässlich seines 200. […]
zum Artikel

Musikstadt

Lüttich

200.000 Einwohner, zwar nur noch eine Ersatzkathedrale, aber seit 1820 ein Opernhaus: Das […]
zum Artikel

Pasticcio

St. Petersburger Schatztruhe

Wer kennt diesen freudigen Aha-Effekt nicht, wenn man sein angehäuftes Sammelsurium ausmistet. […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Der Komponist Giacomo Orefice (1865–1922) wuchs in einer jüdischen Familie im norditalienischen Vicenza auf und ist vor allem für sein Opernschaffen bekannt. Auch als Pädagoge macht er sich einen Namen, sein berühmtester Schüler war der Filmkomponist Nino Rota. Orefices bekanntestes Musiktheaterwerk ist „Chopin“, für das er die Klavierwerke des polnischen Komponisten orchestrierte. Seine eigene Klaviermusik umfasst überwiegend romantische Charakterstücke, die von Gedichten, […] mehr


Abo

Top