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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Tibor Bozi

Daniel Hope

Zartheit, wild und rau

Alfred Schnittke ist schon auf der ersten CD des Violinisten von 1999 vertreten. Jetzt hat der vielseitige Künstler ihm ein ganzes Album gewidmet.

Es gibt für alles ein erstes Mal. Zum Beispiel für eine Alfred-Schnittke-CD. Obwohl Daniel Hope diesem von ihm damals besonders geschätzten Komponisten bereits auf seiner ersten CD, 1999 für Nimbus war das, mit der 1. Violinsonate und dem Concerto grosso Nr. 6 eine machtvolle Hommage bereitet hatte. Und es gibt auch ein erstes Mal für ein Interview auf einem Friedhof, ebenfalls mit Daniel Hope. Er hat diesen freundlichen, atmosphärischen, freilich ein wenig unterkühlten Ort im Freien gewählt, um sich und sein Gegenüber in Zeiten der Pandemie nicht zu gefährden. Schließlich hat der gefragte Geiger, umtriebig wie er ist, auch gegenwärtig mit Streams und anderem ordentlich zu tun. Zum Glück ist es ein relativ heiterer Wintertag, in Berlin nicht die Regel. Wir haben uns auf einer Bank auf dem Luisenkirchhof III im Berliner Westen niedergelassen, Rosel Zech, Brigitte Mira, Günter Neumann liegen hier, nebenan, auf dem Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Friedhof, auch Joseph Joachim, der berühmte Geigenvirtuose und Gründungsrektor der Berliner Musikhochschule, und der einstige Filmliebling Henny Porten. Außerdem hat Daniel Hope bei der Recherche zu seinem Buch „Familienstücke“ herausgefunden, dass sich hier das Grab seines 1921 verstorbenen Ururgroßvaters Julius Valentin befindet. Gleich neben der Kapelle wacht eine verschleierte Frauenstatue über die Gruft, an der kein Name mehr zu lesen ist. Der Fabrikbesitzer Julius Valentin, der auch im Aufsichtsrat der AEG saß und mit Emil Rathenau befreundet war, ließ sich eines der qualitätsvollsten Erbbegräbnisse des Friedhofs errichten. Hier lässt es sich trefflich über die Zeit sinnieren. „Seit 30 Jahren steht die Musik von Alfred Schnittke eigentlich kontinuierlich auf meinen Konzertplänen“, meint Daniel Hope. „Meine erste Platte hat ziemlich mutig Violin-Orchesterwerke von Schnittke, Weill und Takemitsu zusammengefasst. Das war damals als Debüt ein Wagnis.“ Seither hat der vielgefragte, sich aber ebenso gern selbst mit neuen, ungewöhnlichen Projekten ins Gespräch bringende Geiger immer wieder interessant zusammengestellte Alben herausgebracht. Nicht stets zur Freude seiner Plattenfirma: „Aber die kennen mich inzwischen, sie wissen, dass es wichtige CDs gibt, und dann spiele ich für eine ausgeglichene Bilanz auch ein populäreres Programm ein.“ So finden sich in seiner Diskografie klassische Hollywood-Filmmusik, ein berührendes Album mit Musik aus Theresienstadt, Bach, Mendelsohn, Mozart, Vivaldi und die von Max Richter „neu“-komponierten, besser: klangübermalten „Vier Jahreszeiten“. Das Wort „Konzeptalbum“ mag Daniel Hope dabei gar nicht so gern: „Das hört sich so kalkuliert an. Ich sammle und ordne, was mir wichtig ist. Für manches Projekt ist es dann bisweilen jahrelang nicht die richtige Zeit, plötzlich aber passt es. Da habe ich ein gutes Gespür, glaube ich.“

In aller Munde vergessen

Jetzt war also Zeit für Schnittke. Wieder einmal. Denn auch wenn der 1998 in Hamburg gestorbene russisch-deutsche Komponist besonders in den Neunzigern in der Klassik in aller Munde war, mit seinem riesigen, heterogenen Werk erst einmal wirklich entdeckt, von Gidon Kremer vielfach eingespielt, von John Neumeier mit dem Ballett „Peer Gynt“ beauftragt wurde, in kurzer Zeit drei Opern, „Leben mit einem Idioten“, „Gesualdo“ und „Historia von D. Johann Fausten“ von ihm uraufgeführt wurden – dann ist das heute schon wieder lange her. Daniel Hope findet, es könnte ruhig mehr Schnittke auf den Konzertplänen stehen, auch wenn die Veranstalter dem sich gern verweigern. Also hat er jetzt abgeholfen. Mit einem Album, das eher unakademisch sich keineswegs auf die „seriösen“ Schnittke-Werke für Geige konzentriert, die drei Violinkonzerte, drei Sonaten und die Concerti grossi, und das auch die vielfältige Kammermusik für dieses ihm so wichtige Instrument nicht bündelt. Hope mixt, er mag es bunt und vielfältig, so wie auch Alfred Schnittke komponierte. Allzu schnell freilich füllen sich so 80 Spielminuten. „Seine Musik ist wild und rau, temperamentvoll, und ungestüm, überraschend fein und zärtlich auch“, so spricht Daniel Hope über die Töne des von ihm Vielbewunderten, den er in seinen letzten Jahren auch noch persönlich kennengelernt hat. „Alfred Schnittke liebte die Geige, er hat so viel für sie geschrieben. Immer liegt das gut auf dem Instrument und in der Hand, die Geige entsprach wohl seiner komplexen Persönlichkeit. In den ihr gewidmeten Werken findet sich seine Polystilistik, auch urplötzliche Gewalt, das ist immer spannend, oft schwer zu greifen, denn er hat so viele Gesichter.“ Hier nun findet sich also, im gemeinsamen Dialog mit dem klugen, ebenfalls mit Schnittke vertrauten Pianisten Alexey Botvinov, neuerlich die erste Sonate; als eine Art persönliche Bilanz auch. Dazu Filmmusik-Bearbeitungen, ein wichtiger Teil des Schnittke-OEuvres, der ihm das Überleben in der UdSSR garantierte, gleichzeitig aber auch dokumentiert, was für einen hohen Stellenwert diese dort besaß. Da gibt es „verkleidete“ Musik mit Pasticcio-Charakter, teilweise auch mit Anspielungen auf die großen Werke wie die Concerti grossi, das tief persönliche, todtraurige Madrigal in Memoriam Oleg Kagan und die makabre „Stille-Nacht“-Paraphrase. Alfred Schnittke, den wollte der junge, ehrgeizige Daniel Hope auch unbedingt selbst kennenlernen, seit er seine so ganz andere Musik aufgesogen hatte – die erste eines Zeitgenossen, nach den vielen toten Komponisten, die junge Klassikkünstler zunächst einmal als Kanon studieren müssen. Eine Annäherung an Schnittke, zunächst ein Ding der Unmöglichkeit. Immer wieder wird er abgewiesen, vertröstet. Dann steht Hope plötzlich vor einem Hamburger Klingelschild. Und ist drin. Mit dem schon schlaganfallgeschädigten Schnittke schaut er die Sportschau. Dann entspinnt sich über mehrere Jahre ein fruchtbarer Dialog – „endlich war da jemand, den ich konkret zu seinen Noten befragen konnte“. Zu einem von Hope mitausgerichteten Festival in London 1994 konnte er schon nicht mehr kommen. Doch ein Hope-Idol ist er geblieben. Zeit für ein Fazit. Es wird kalt auf der Friedhofsbank. „Alfred Schnittkes Musik hat etwas Erschreckendes“, kommt Daniel Hope ins Grübeln. „Sie ist so intensiv, so fratzenhaft. Vladimir Jurowski hat mir bei Auftritten in Moskau beigebracht, diese Wut zu kanalisieren, sie nicht ungefiltert auf das Podium fließen zu lassen. Trotzdem bleibt sie ein Attentat auf das Wohlfühlen. Das passt jetzt vielleicht gerade. Das Hören hat sich verändert, weil unser aller Situation anders ist.“

Neu erschienen:

Schnittke

Werke für Violine und Klavier

mit Hope, Botvinov

DG

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Zwischen den Welten

Daniel Hope, geboren 1973 in Durban, Südafrika, ist ein irisch-deutscher Geiger, der in England aufgewachsen ist. Ein Mann zwischen den Welten, katholisch getauft, protestantisch konfirmiert, die jüdischen Großeltern flohen aus Deutschland, seine Eltern, im Widerstand gegen das Apartheid-Regime, gingen mit ihm aus Südafrika nach London. Er wuchs sozusagen im Vorzimmer von Yehudi Menuhin auf. Kurz war er Mitglied der letzten Formation des Beaux Arts Trios. Als Solist ist er weltweit unterwegs, ist aktiv als Initiator musikalischer Projekte, Buchautor, Moderator in Fernseh- und Hörfunksendungen. Seit 2016 leitet er das Zürcher Kammerorchester. Im Lockdown streamte er seine Serie „Hope@Home“ auf dem Fernsehsender arte.

Matthias Siehler, 13.02.2021, RONDO Ausgabe 1 / 2021



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