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N° 1354
20. - 28.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Werktreue als Gebot: Maestro Riccardo Muti beim Partiturstudium © Silvia Lelli / www.riccardomuti.com

Pasticcio

Konditionswunder mit 80!

Auch wenn Riccardo Muti das Lächeln selbst auf dem Konzertpodium längst gelernt hat, strahlt er mit seinen 80 Jahren weiterhin unbedingte Autorität aus. Wobei seine Miene eben nicht immer sofort verrät, ob er vom Spiel eines Orchestermusikers nun begeistert ist oder er ihm nach dem Konzert die Leviten lesen wird. Natürlich haben so manche Geschichten und Anekdoten das Klischee vom selbstbewussten Zuchtmeister Muti genährt. Wie etwa die aus dem Jahr 2001, als er bei einer Aufführung von Verdis „La Traviata“ an der Mailänder Scala einem Tenor untersagte, mit einem hohen C brillieren zu wollen. Danach stand die halbe Opernation Italien Kopf und beschimpfte Muti wüst. Aber der gebürtige Neapolitaner zeigte sich auch von diesem Gegenwind völlig unbeeindruckt und verwies einfach auf die Partitur Verdis. Und siehe da: in besagter Arie war nirgendwo jene hohe Note zu finden, mit der traditionell Tenor-Generationen das Publikum um den Verstand singen. Gerade solche falschen Gewohnheiten bringen den auf Werktreue setzenden Muti auf die Barrikaden. Gleichgültig, ob es sich dabei speziell um seinen musikalischen Gottvater Verdi handelt oder grundsätzlich um die Opern- und Konzertklassiker. In seinem Perfektionismus eifert Muti so dem großem Vorbild Arturo Toscanini nach. Während sein Gespür für die Klangfacetten auf Herbert von Karajan zurückgeht, der ihn 1971 zu den Salzburger Festspielen geholt hatte. Und genau die Kunst dieser beiden Dirigentenpersönlichkeiten hat Muti längst derart verinnerlicht, dass er selber für viele junge Dirigenten zum Leitstern geworden ist.
Seit fast einem halben Jahrhundert ist Muti eine der am höchsten angesehenen Musikerpersönlichkeiten unserer Zeit und hat dementsprechend viele wichtige Karrierestationen vorzuweisen. Der Ex-Student von Nino Rota (!) leitete viele Jahre die Mailänder Scala, das Londoner New Philharmonia sowie das Philadelphia Orchestra. 2010 übernahm er mit dem Chicago Symphony Orchestra den vielleicht besten US-amerikanischen Klangkörper. Und seitdem er dort im Amt ist, ist auch die Orchesterkasse dank regelmäßiger Ticketverkaufsrekorde prallgefüllt. Am vergangenen Mittwoch feierte Muti nun seinen 80. Geburtstag. Doch kürzer wird er deswegen noch längst nicht treten – was ihn auch mit einem anderen Dirigentenkollegen verbindet, der nur vier Tage jünger ist und am 1. August auf seinen Achtzigsten anstößt.
Gemeint ist der katalanische Alte Musik-Star, Dirigent, Gambist und Ensemblegründer Jordi Savall. Und wie bei Muti hat man auch bei ihm den Eindruck, dass mit jedem weiteren Lebensjahr die Produktivität und Neugier noch zunimmt. Was im Grunde eigentlich gar nicht mehr möglich erscheint. Schließlich hat Savall allein auf Hunderten von Aufnahmen unzählige Klangrouten dokumentiert, die ihn solistisch oder mit seinen Ensembles La Capella Reial de Catalunya und Hespèrion XXI in die Musikwunderkammern des 16. bis 18. Jahrhundert geführt haben. Auf seinem eigenen Label bringt er großartig aufgemachte CD-Bücher heraus, die sich etwa mal dem Borgia-Clan oder der (Musik-)Geschichte von Städten wie Istanbul und Jerusalem widmen.
Solche musikalischen Brückenschläge, bei denen trotzdem jede Klangsprache unbedingt ihre Identität behalten muss, haben Jordi Savall daher mehr als nur die obligatorischen Schallplattenpreise eingebracht. So wurde er 2008 von der UNESCO zum „Artist of Peace“ geadelt und von der Europäischen Union in den diplomatischen Dienst berufen – als Botschafter für den interkulturellen Dialog. „Die Musik“, so Savall, „ist die spirituellste und universellste Kunst, weil man mit ihr in eine Tiefe gelangt, die von keiner Ideologie berührt wird.“ Weiter so.

Guido Fischer



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