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N° 1354
20. - 28.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Felix Broede

Isabelle Faust

Teufels Geigerin

Aus Konzert wurde Kammermusik: Mit Musikerkollegen und Dominique Horwitz hat sich die Violinistin Strawinskis „Die Geschichte vom Soldaten“ vorgenommen.

Es geschah vor sechs Jahren erstmals beim Lucerne Festival, wo die Geigerin Isabelle Faust als „Artiste étoile“ dieser noblen Musikfestspiele die Konzertprogramme etwas aufmischte. Zum Beispiel mit einem sehr besonderen, ein wenig rauen und quietschigen Werk, das ebenfalls in der Schweiz entstanden ist und dessen Text von einem Schweizer stammt: „Histoire du soldat“ oder besser bekannt als „Die Geschichte vom Soldaten“ von dem Waadtländer Dichter Charles Ferdinand Ramuz, zu dem der während des Ersten Weltkriegs in der Schweiz festsitzende Igor Strawinski die schnell weltberühmte Musik schuf. Die „Geschichte vom Soldaten“ ist nicht nur aus diesen Umständen heraus ein Zeitzeugnis des späten Ersten Weltkriegs: da treffen eine kriegsbedingt kleine Besetzung, das Sujet eines vom Teufel verführten Militärs und die oft mit parodistischen Verzerrungen und Anleihen aus Folklore und Jazz arbeitende Musiksprache Strawinskis aufeinander. Die Seele des Ganzen verkörpert die Violine, das Instrument, das der Soldat für ein Reichmachbuch mit Einsamkeitsverpflichtung drangibt. Das musikalische Emblem ist ein Marsch, der den Soldaten durch die Geschichte geleitet, um ihn herum eine Vielzahl von Genres vom kleinen und großen Choral bis zu den Modetänzen der sich anbahnenden Zwanzigerjahre – Strawinski konnte sie in Paris hautnah erleben und studieren. Die Geschichte selbst vermittelt ein Erzähler; direkte Reden der Protagonisten sind eingebaut. Der Stoff stammt aus diversen Märchen und passte doch in die brutal kapitalistische Realität des großen Krieges in seiner Endphase. Denn der Soldat geht mit dem Teufel einen Tausch ein: Geige gegen Zauberbuch. Das macht ihn zwar reich, aber keiner kennt ihn danach mehr. Als er einer Teufelin die Geige entwindet, kann er sie nicht mehr spielen. Erst nachdem er Reichtum und Zauberbuch zerstört hat, heilt sein Geigenspiel eine Prinzessin von ihrer Schwermut. Sie wird seine Frau. Als er mit ihr in seine Heimat ziehen will und dabei die Grenze überschreitet, die er mit dem Teufel vereinbarte, wird er von diesem bereits erwartet. Das Stück wurde für eine Wanderbühne geschrieben, es nimmt die Tradition des Vagantentheaters auf und kreiert eine Form, die der Ästhetik des Großen, Überwältigenden entgegentritt. Der teufelspaktierende Soldat ist ein Mann aus dem Volk, ähnlich wie die Soldaten und Tambourgesellen in Gustav Mahlers „Wunderhorn“-Liedern: An ihm offenbart sich drastisch das teuflische Zusammenspiel zwischen Not, Repression und Sehnsucht nach dem großen Leben. „Das Werk hat mich sofort angesprungen und fasziniert“, sagt Isabelle Faust. „Es war eine wunderbare, kabarettbrettl-schräge, groteske Ergänzung in diesen Luzerner Programmen. Ich habe es zudem sehr gemocht, mit einigen meiner Freunde das gemeinsam zu musizieren, ja theatralisieren zu dürfen. Besonders toll war es natürlich wegen der Mitwirkung von Dominique Horwitz, der das Stück ja schon sehr oft aufgeführt hat, ohne zum Routinier zu werden und der uns alle wie im Rausch mit seinem Fabulier- und Nachahmungstemperament mitgerissen hat.“

Klangtüftelei

Der Plan war nun eigentlich, die Soldatengeschichte mit dem Violinkonzert von Strawinski zu verbinden, schließlich möchte ja auch dessen 50. Todestag aufführungs- wie aufnahmepraktisch für ihr Hauslabel begangen werden. „Ich sollte eine Konzerttournee mit François-Xavier Roth machen“, erinnert sich Isabelle Faust, „dann wollten wir es einspielen, kombiniert mit diesem Minimusiktheater. Und weil Roths Ensemble Le Siècle besonders die Musik dieser Zeit ganz einzigartig auf historischen Instrumenten interpretieren kann, hatte ich den Ehrgeiz – und weil es mich ja immer schon interessiert – für eine teilweise neue Freundeskombination die entsprechend passenden Instrumente auch für die ,Histoire‘ zu finden. Das war eine ganz schöne Sucherei, aber es hat sich gelohnt, und alle hatten viel Spaß bei dieser Klangtüftelei.“ Selbst Dominique Horwitz war begeistert. Und obwohl seine Tracks dreisprachig – im Original auf Französisch, dazu Deutsch und Englisch – und deshalb separat aufgenommen wurden, gibt es nun ein paar, wo sich seine Stimme mit der Musik mischt. Nicht nur hinsichtlich Tempo und Dynamik coachte er neue Truppe, die Musiker konnten aus dem Enthusiasmus seines Spiels mit Farben, Akzenten und Charakteren auch viel für ihr Spiel ableiten. Dann kam es anders: „Wir mussten dann diese CD natürlich anders kombinieren, weil die Konzertaufnahme samt Tournee erst einmal verschoben wurde und sich dafür sicher nun ein weiteres Strawinski-Orchesterstück mit Roth und seiner fantastischen Truppe anbietet. So wurde ,Die Geschichte vom Soldaten‘ nun in ein rein kammermusikalisches Umfeld eingebettet. Da ich ja auch darin die Führungsstimme habe, bot sich die Élegie für Violine solo von 1944 an, die ja sehr selten zu hören ist. Und beim Duo concertant, das heute vor allem in der Ballettfassung von George Balanchine präsent ist, war natürlich ein erneutes Rendezvous mit meinem Klavier-Best-Buddy Alexander ,Sasha‘ Melnikov gesetzt, der damit ebenfalls auf diesem Album als für mich wichtiger Mitspieler auf Augenhöhe vertreten ist.“ Auch eine Weltklassegeigerin wie Isabelle Faust war und ist durch das nunmehr zweite Pandemiejahr in ihren Aktivitäten ausgebremst. Immer und überall ruckeln noch die Spielpläne, und natürlich fallen weiterhin lange geplante Tourneen durch Asien und Amerika aus. Doch die in Berlin Lebende hat sich fleißig mit Noten beschäftigt und lange projektierte Aufnahmeprojekte verwirklicht. „Besonders Kammermusik war ja gut möglich. Und so habe ich schon mal auf Vorrat eine erste CD mit barocken Stücken für Violone solo vor die Mikrofone gebracht. Der zweite Teil mit zeitgenössischer Solomusik ist noch etwas fluide, weil leider Komponisten nicht selten die Angewohnheit haben, mit Bestellungen nicht termingerecht fertig zu werden. Aber lieber warte ich auf Inspiration, statt schnell Zusammengehudeltes zu akzeptieren. Und ich habe ja zum Glück Werklisten mir lieber Stücke, aus denen ich mich trotzdem bedienen kann. Dann gibt es eben irgendwann eine dritte Folge.“ Ebenfalls bereits eingespielt: die immens schweren Kafka-Fragmente von György Kurtág. Die vierzig Lieder in vier Teilen für Sopran und Violine von unterschiedlicher Länge, die von der flüchtigen Notiz bis zum Entwurf einer Erzählung reichen, enthalten meist eine philosophische Dimension; sie rührt an existenzielle Fragen Kafkas, die sich der Komponist zu eigen gemacht hat. „Dafür hatte ich jetzt eine wunderbare, ausgeruhte Anna Prohaska zur Verfügung. Ich denke, da ist etwas Besonderes gelungen.“

Neu erschienen:

Strawinski

Die Geschichte vom Soldaten u. a.

mit Horwitz, Faust, Melnikov, Coppola, Friedrich u. a.

harmonia mundi

Erscheint Mitte September:

Bach

Die Brandenburgischen Konzerte

mit Akademie für Alte Musik, Faust, Tamestit

harmonia mundi

Brandenburgische Konzerte

Und noch ein Doppel-Album hat Isabelle Faust miteingespielt, das dieser Tage veröffentlicht wird. Die Brandenburgischen Konzerte als eines der Leib- und Magen-, wie auch Signaturwerke der Akademie für Alte Musik Berlin wurde bereits 1997 legendär festgehalten. Für die im 300. Jahr der Partitur anstehende Neujustierung gegenüber dem Klassiker hat sich das Ensemble „ein paar Freunde als Gäste“ ins Studio eingeladen. Nämlich Isabelle Faust für die Soli im 3. Konzert und ihren guten Vertrauten Antoine Tamestit für die Bratschenbeiträge im 3. und 6. Konzert. „Das war eine große Ehre, aber auch Verpflichtung für uns. Ich bin ja gar keine Vom-Blatt-Spielerin und setzte mich sonst auf Orchestertouren nie bei Sinfonien dazu, um keinen herauszubringen …“

Matthias Siehler, 04.09.2021, RONDO Ausgabe 4 / 2021



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