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(c) Gisela Schenker
Es ist die alte Leier: Wie soll man Bekanntes liefern und gleichzeitig überraschen? Kein Publikum ist so anspruchsvoll wie dasjenige, das sich von starken Erwartungen getragen nach Neuem sehnt. Und doch gelingt das Kunststück in diesem Jahr gleich mehrfach.
Natürlich vergleichen wir hier Äpfel mit Birnen, aber solange die Nüsse nicht fehlen, sollte das an Weihnachten niemanden stören. Der erste Bewerber reißt die Latte schon im Anlauf: Matthias Höfs und Ensemble bieten „Festliche Trompeten zur Weihnacht“ (Berlin Classics/Edel). Längst abgespielte Sonatenware, dazwischen Posaunenchor-Flair, ihgitt! Das Beste ist die „Nordstern-Suite“ auf Bachs Melodien. Naja.
Dabei muss Nostalgie nicht muffig sein: Die „Lieder zur Weihnacht“, die Peter Schreier 1978 aufnahm, sind noch taufrisch, weil nicht gefühlig (Berlin Classics/Edel). Wer singt heute noch Lieder von Peter Cornelius? Eigentlich nur Christiane Karg! Und zwar auf einem Album, dass das Schreier’sche Bekenntnis zur Kraft des Liedes zeitgemäß erneuert: Licht der Welt. Unterstützt von Gerold Huber und dem Chor des Bayerischen Rundfunks unter Howard Arman bietet sie uns ihr ganz wunderbares, fünfsprachiges Album bescheiden als „Weihnachtsspaziergang“ an (harmonia mundi). In diese kostbare Stimme kann man sich dabei getrost einkuscheln wie in einen Winterpelz, hier friert keiner!
Mit mehr Fortune als die Trompeter versucht sich der Harfenist Xavier de Maistre daran, sein Instrument zur „Christmas Harp“ umzustimmen. Und das geht auf, dank der virtuosen, kraftvollen Paraphrasen berühmter Kollegen wie Salzedo oder Boldachev (Sony). Weniger gut gelungen sind die Arrangements, die Martin Stadtfeld für sein „Christmas Piano“ selbst entworfen hat. Die kurzen Charakterstückchen klingen bei aller Abwechslung im Ausdruck doch etwas biedermeierlich nach „Lied ohne Worte“ und Albumblatt (Sony).
Und schon sind wir bei der Chor-Weihnacht angekommen. Gleich zwei Alben widmen sich dem doppelten, und dennoch sträflich vernachlässigten Jahresjubilar Michael Praetorius (1571-1621). Wann, wenn nicht jetzt? Immerhin hat Praetorius viele Choralkonzerte und vor allem eines der unverwüstlichsten Weihnachtslieder verfasst. Das verkürzt der Dresdner Kammerchor unter Hans-Christoph Rademann zum Albumtitel „Es ist ein Ros“ (Accentus/Note 1). Alles andere als Kurzwaren sind die darauf enthaltenen Chorsätze, von frischen, solofähigen Stimmen strahlend, fein gestaffelt und mit federndem Schwung gesungen. Dabei auch von kleinem Instrumentalensemble farblich gestützt, anders als das SWR Vokalensemble unter Marcus Creed (SWR Classic/Naxos). Creed setzt für dieses Repertoire ganz auf den puristischen und gleichsam zeitlosen Chorklang, den er zu unglaublicher Intonationsreinheit und Einheit des musikalischen Atems formt. Der bei ihm aber auch deutlich größer besetzt ist als bei den Dresdnern, wodurch manche Chorstücke wie das „In dulci jubilo“ mehr Fleisch auf dem Knochen haben und in ihrer Festfreude eben auch etwas akademisch gebremst erscheinen.
Ganz anders und frisch, ja beglückend wirkt da – gerade durch seinen Zeitbezug – die „Herrnhuter Weihnacht“ des Vocal Concert Dresden unter Peter Kopp (Berlin Classics/Edel). Die frommen, aus Mähren geflohenen Bruderschaften fanden an der Oberlausitz eine Siedlungsmöglichkeit „unter des Herrn Hut“, und zwar auf dem Gelände des Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Und dort entfalteten sie ein gnaden- und vor allem musikreiches Wirken, das Kopp mit seinem Album samt Pauken und Trompeten vor Ohren führt. Sein exzellenter Chor macht die Entdeckungsreise zum Erlebnis, bis hin zum Kernstück, der „Christ-Nachts-Music“ von 1765, für die sich der Komponist Christian Gregor auch schon mal eine Händel-Arie ausborgt.
Deutlich später, nämlich schon im Kaiserreich lebte Philipp Wolfrum als Universitätsprofessor und Musikdirektor in Heidelberg. Nie gehört? Sollte man aber, denn Wolfrum war mit Mahler, Humperdinck und Reger befreundet, was die Pole seiner Musiksprache gut eingrenzt. Und Richard Strauss attestiert ihm, er habe „Bachs Können mit Liszts Ekstase“ vereint. Gemeint ist das Oratorium „Ein Weihnachts-Mysterium“, für das sich nun die Hamelner Kantorei und die Nordwestdeutsche Philharmonie unter Stefan Vanselow stark machen. Kurz gesagt: Eine echte Entdeckung! Ausgedehnt schwelgende Sinfonik, Solisten, Weihnachtsliedzitate und Chöre vereinen sich zu einem Panorama prachtvoller, bedeutsam aufgeladener Festlichkeit. Pech für Wolfrum, dass sein zunächst begeistert aufgenommenes Werk vom Epochenumbruch des Ersten Weltkriegs aus dem Musikleben gefegt wurde. Glück für uns! Auch wenn der Tenor seine Mühe hat und die Chorsoprane manche Höhe nur im Ansprung nehmen können – die Frauensoli sind glutvoll und alle Beteiligten hörbar beseelt von ihrem Fund, das steckt an (Christophorus/Note 1).
Werfen wir noch unsern traditionellen Blick nach Großbritannien: Vor zwei Jahren starb mit Stephen Cleobury der verdiente Musikdirektor des Choir of King’s College Cambridge, der Lordsiegelbewahrer englischen Chorklangs. Sein Nachfolger Daniel Hyde hatte nun die Chance, das sehr gut gepflegte und dokumentierte Repertoire der Christmas Carols neu zu interpretieren und überrascht nach dem schlanken und präzisen Dirigat Cleoburys auf „In the Bleak Midwinter“ mit einer Kehrtwende zum Pathos, zuweilen sehr weihevollen Tempi und viel Kirchenhall (King’s College/Note 1). Ganz dem neuen und zuweilen neo-impressionistischen Ideal der angelsächsischen Chorbewegung hat sich hingegen Harry Christophers mit The Sixteen rund um das „Carol of the Bells“ verschrieben, und wie stets chorsängerisch auf sehr hohem Niveau. Ein toller Querschnitt durch hierzulande wenig bekannte, rhythmisch mitreißende, teils jüngste, dabei aber bewusst sehr zugängliche Chorwerke (Coro/Note 1).
Bewusst zugänglich möchte auch das mit großem Paukenschlag beworbene Album „Winter Tales“ sein, eine Art weihnachtlicher Leistungsschau aktueller New-Classics-Künstler des Gelblabels (DG/Universal). Na klar, die verhangenen Wintertage und fernen Weihnachtserinnerungen laden ja ein zu urbaner Melancholie. Doch neben ein paar Perlen, etwa aus der Feder des Cellisten Peter Gregson, findet sich hier vor allem bedeutungsvoll Elektrifiziertes, ein nostalgisch verstimmtes Klavier, das Bachs Hirtensinfonia zur leerlaufenden Spieldosenmusik runterbremst – und der irritierende Altmännergesang von Brian Eno. Brrr! Fehlt nur noch einer: Jonas Kaufmann. War der letztes Jahr erst dran? Stimmt, aber lief so gut, jetzt gibt es dasselbe Album nochmal, zuzüglich sieben neuer Tracks (die vielleicht beim ersten Anlauf aussortiert wurden) und einem dicken Booklet mit Weihnachtsgeschichten und -rezepten (!) vom Jonas. Da sage noch einer, Weihnachten sei das Fest der Überraschungen! („It’s Christmas! – Limited Extended Edition“ – Sony)
Berlin Classics/Edel
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