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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Sergi Jasanada

Joyce DiDonato

Naturkunderbunt

Nach „In War & Peace“, zwei Händel-Rollen und der „Winterreise“ startet der Mezzostar sein jüngstes Albenprojekt. Es ist grün und heißt „Eden“.

RONDO: Wo treffen wir Sie gerade an?

Joyce DiDonato: Ich sitze in meinem Haus in Spanien und genieße die Sonne, bevor es wieder losgeht. Ich hatte ja unlängst Agrippina und Irene hintereinander, das war schon sehr speziell. Beide Frauen könnten nicht unterschiedlicher sein, und das ist wieder nur ein Beispiel für das Genie von Händel. Ich habe sehr viel Spaß mit diesem Jekyll & Hyde-Trip, der mich noch die ganze Saison ein wenig in Atem hält.

…neben Ihrem anderen großen Projekt „Eden“. Erzählen Sie ein wenig: Warum heißt es eigentlich nicht „Paradise“?

Ich weiß es nicht, habe keine Antwort. „Paradies“ ist vielleicht christlicher? „Eden“ bezieht sich jedenfalls auch sehr stark auf die Natur, um die es mir hier besonders geht, und auf die ich musikalisch den Fokus lenken möchte.

Hatten Sie das schon immer als Folgeprojekt von „In War and Peace“ geplant, ihrem letzten Solo-Album nebst Konzerttour, das ja auch mehr als nur normale Arienabende beinhaltete?

Die Idee kam mir in Brüssel, so etwa einen Monat, nachdem es mit „In War and Peace“ begonnen hatte. Das ist jetzt circa fünf Jahre her. Das Thema hat sich immer wieder geändert und anders fokussiert. Aber ich wusste, dass ich dieser konzertanten Produktion eine weitere folgen lassen wollte, und dass sie von unserem Umgang mit dem Planeten handeln sollte, im Guten wie im Schlechten. Vor zwei Jahren, nach dem „In War and Peace“-Ende, hatte ich es dann auch endlich inhaltlich festgezurrt. Dann kam die Pandemie, und es wurde für mich immer notwendiger, diese meine Botschaft zu verbreiten.

Hat die Pandemie denn jetzt auch den Start verzögert?

Nein, bis jetzt zum Glück nicht, es war immer für dieses Frühjahr geplant. Denn ich hatte ja noch die beiden großen Händel-Rollen plus Aufzeichnung zu futtern, und ich mache es vom Rhythmus her immer so: Ich wechsele Oper sehr bewusst mit Konzerten, das hält mich frisch. Ich brauche zudem die Zeit der Vorbereitung, auch den Raum. Da muss ich suchen und ausprobieren, das entsteht nicht mal schnell auf einem Zettel mit ein paar Arientiteln. Und auch in diesen Abenden stelle ich ja etwas dar, gibt es einen bisweilen sogar szenischen Bogen. Ich habe sogar dazwischen noch sehr ausgewählt die „Winterreise“ gesungen, die ja in meiner Interpretation auf der Konzertbühne auch ein szenisches Moment beinhaltete. Aber da war ich allein mit meinem Pianisten.

Nicht aber bei den anderen Projekten…

Für die Händel-Opern und die beiden Themenprogramme bin ich furchtbar gern wieder mit meinen goldenen Äpfelchen von Il Pomo d’Oro zusammengekommen. Wir sind ein wunderbares Team, ganz besonders auch mit deren Dirigenten Maxim Emelyanychev. Das fühlt sich so natürlich an, vor allem, weil bei ihm kein Konzert Routine ist, alles immer wieder wie spontan neu beginnt. Und schon die gemeinsamen Aufnahmen vorab in dem kleinen Konvent bei Lonigo in den Hügeln hinter Verona, die sind ein Vergnügen. Wie ein Klassenausflug, mit vertrauten Freunden.

Hat Covid das Projekt thematisch beeinflusst?

60 Prozent des Repertoires standen bis dahin fest. Es gab offensichtliche Titel, die wir unbedingt drin haben wollten, beispielsweise „The Unanswered Question“ von Charles Ives, ein gerade für Amerika so wichtiges Stück, bei dem ich die Trompete ersetze, die menschliche Stimme, welche quasi als Mahnerin im Raum steht. Es war sofort klar, dass dies als Initiationsmoment den Auftakt setzen sollte. Auch weil es – mit einem Barockorchester und Mezzo, einen wichtigen Augenblick der Irritation bringt, auch die zwei Mahler-Lieder waren irgendwie gesetzt. Und natürlich am Ende, als Zugabe, nicht mehr als Teil der sozusagen „Erzählung“, dann „Ombra mai fu“. Denn wann ist ein Baum schöner besungen worden? Und wir wussten auch, dass wir eine Uraufführung haben wollten, hatten dafür Rachel Portman an Bord. Sie aber hat ihr Stück erst vor einem Jahr beendet und das etwa ist natürlich durch die Covid-bedingte Verlangsamung und Reflektion beeinflusst worden.

Wie manipulativ sind Sie im Konzert?

Ich kenne schon die Macht der Musik, glauben Sie mir. Ich möchte die Reise des Publikums nicht diktieren, aber ich vermag schon, sie auf einen Pfad zu lotsen, ihnen ein Gefühl mitzugeben, wenn sie den Saal wieder verlassen. Und dafür muss ich schon den Start sehr genau wissen. Die Leute wollen durch starke Gefühle herausgefordert werden, das ist ein entscheidendes Thema. Sie wollen etwas erleben, mitgehen, auch wenn sie die ganze Zeit an ihrem Platz sitzen. Ich darf sie nicht gehen lassen, muss ihre Aufmerksamkeit stets von neuem fesseln. Ich muss das aber auch so entwerfen, dass sie Zeit haben, schon während des Konzerts ihre Gefühle auch zu verarbeiten. Dann ist der Eindruck nämlich stärker. Ein wenig so wie in einer Achterbahn!

Gibt es auch wieder ein spezifisches Kostüm, Requisiten?

Nur sehr zurückhaltend. Wir wollen Eden nicht zeigen, die Natur ist so groß, die kann ich als Imitat nicht ins Konzert holen, aber ich kann von ihr singen, sie besingen. Das vermag die Kraft der Musik als Welt für sich selbst. Und das Publikum soll selbst darüber nachdenken, was jeweils seine Beziehung zur Natur ist und wie sich die vielleicht verbessern lässt.

Sie singen hier von der Natur, was versuchen Sie konkret zu tun?

Wir versuchen, auf der Tour so grün wie möglich zu reisen, sogar mit Emissionsausgleich. Aber anderseits finden wir es auch wichtig, mit diesem Programm persönlich zu den Menschen zu kommen und nicht nur als Album. Ich frage mich immer, was hinterlasse ich irgendwo, wenn ich wieder gehe. Was ist mein Erbe? Das ist mir sehr wichtig. Und deshalb gibt es auch ein starkes Education-Programm zu diesen Konzerten, das genauso wichtig ist wie diese, online wie live. Samen müssen gepflanzt werden, real wie in übertragener Weise. Das ist nicht perfekt, aber ich kann so immerhin gut schlafen. Und andere können es mir nachmachen.

Kann Musik die Welt retten?

Das sie tut sie doch andauernd! Mit ihren Gefühlen. Ich bin eine Idealistin, eine Optimistin und versuche mir auch immer noch ein wenig Naivität zu bewahren, die ich kultiviere. Auch wenn das weniger wird, wenn ich die Welt sehe und wie sie sich entwickelt. Aber ich bin stur und will diese Naivität nicht aufgeben, sondern eher fördern. Gerade angesichts von Konsum und Gier. Und ich möchte, dass die klassische Musik mehr ihren verantwortlichen Platz in der Welt einnimmt, sich nicht nur auf den Lorbeeren der Kunst ausruht. Wir müssen der Menschheit dienen. Wir sind harmonisch, schön, wahrhaftig. Kunst repräsentiert das Beste der Menschen. Und das muss sie einsetzen! Dann können wir die Leute mitten ins Herz treffen. Wie bei einer Operation. Solches passiert nicht in Schulen, schon gar nicht in der Politik. Also muss die Kunst das leisten. Wir müssen radikal und rücksichtlos sein. Denn wir können die Welt ändern.

Erscheint am 25. Februar:

Ives, Marini, Mahler, Mysliveček, Copland, Valentini, Cavalli, Gluck, Händel, Portman

„Eden“

DiDonato, Il Pomo d’Oro, Emelyanychev

Erato/Warner

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Joyce DiDonato

wurde 1969 in Prairie Village, Kansas geboren. Eigentlich wollte sie Pädagogin werden, heute ist sie neben Cecilia Bartoli die führende Mezzosopranistin der Welt. Ihr Repertoire reicht von Georg Friedrich Händel, Wolfgang Amadeus Mozart, Gioachino Rossini und über die Belcanto-Opern des frühen 19. Jahrhunderts, Berlioz’ „Didon“ bis zu Richard Strauss und zeitgenössischen Opern von Jake Heggie und anderen. Ihr erstes Engagement erhielt sie an der Santa Fe Opera. In der Spielzeit 2000/01 gab sie ihr Debüt an der Mailänder Scala, 2005 debütierte sie an der Metropolitan Opera, wo sie heute einer der größten Stars ist. Neben ihrer künstlerischen Arbeit geht sie zahlreichen karitativen Aufgaben nach.

Matthias Siehler, 12.02.2022, RONDO Ausgabe 1 / 2022



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