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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Christian Meuwly

Beatrice Berrut

Die Faszination des Fin de Siècle

Auf ihrem neuen Album „Jugendstil“ präsentiert die Schweizer Pianistin eigene Transkriptionen epochaler Werke von Gustav Mahler und Arnold Schönberg.

RONDO: International haben Sie sich vor allem als Interpretin der Klaviermusik von Franz Liszt einen Namen gemacht. Wie haben Sie Gustav Mahlers Sinfonien und Arnold Schönbergs Streichsextett „Verklärte Nacht“ für sich entdeckt?

Beatrice Berrut: Ich habe immer sehr viel Liszt gespielt, zuletzt war ich besonders auf sein Spätwerk konzentriert. Wenn man schaut, wie sich seine Klangsprache fortentwickelt hat, kommt man rasch zu Richard Wagner, Mahler und dem frühen Schönberg. Das spätromantische deutsch-österreichische Repertoire ist für mich der absolute Gipfel der Musik! Mahlers Sinfonien faszinieren mich schon lange. In diese reiche, sinnliche und spirituelle Musik bin ich richtig verliebt.

Originalkompositionen Mahlers für Pianisten muss man mit der Lupe suchen. Sinfoniesätze wie das Adagietto aus der Fünften gibt es allerdings schon als Klavierbearbeitungen. Was hatten Sie bei Ihren Transkriptionen im Sinn?

Ich habe versucht, aus Sätzen wie dem Adagietto oder dem Tempo di Menuetto aus der dritten Sinfonie klangschöne Klaviermusik zu machen. Werkgetreue Transkriptionen zu erstellen, hat mich weniger interessiert. Aus dem dramaturgischen Konzept der Sinfonien herausgelöst, nimmt ein Satz wie das Adagietto plötzlich den Charakter eines Klavierstücks im Sinne von Johannes Brahms an. Diese Sichtweise erschien mir ganz natürlich. Mahler spielte ja selbst Klavier und nutzte es auch für die Komposition seiner Sinfonien. Ich bin also zur Ausgangsbasis zurückgekehrt.

Gab es auch Stellen, an denen Sie erst ins Grübeln kamen?

Im Andante moderato der Sechsten Sinfonie kommen auch Kuhglocken zum Einsatz. Diese Wirkung habe ich am Klavier erzielt, indem ich Glockenspielharmonien eingearbeitet habe. Bei einer wunderbaren Passage in C-Dur, wo die Streicher hohe Töne lange aushalten, habe ich versucht, den Orgelklang zu imitieren, um den geheimnisvollen, spirituellen Charakter dieser Musik zu bewahren.

Welche dramaturgische Idee steht hinter der Anordnung der Stücke auf dem Album?

Ich wollte mich ein bisschen aus dem Korsett der Interpretin befreien. Das Tempo di Menuetto habe ich zwischen Adagietto und Andante moderato gesetzt, um einen Kontrast zu schaffen. Danach komme ich zu dem gewagtesten Teil des Albums, nämlich der Paraphrase von „Verklärte Nacht“.

Inwieweit haben Sie sich hier von Liszt beeinflussen lassen?

Die Musik von Liszt ist für mich längst zu einer zweiten Muttersprache geworden. Sein Einfluss wird vor allem in dem Schönberg-Stück deutlich. Bei meiner Klavier-Paraphrase der ursprünglichen Fassung für Streichsextett musste ich mich völlig von der Partitur entfernen, sonst hätte es nicht funktioniert. In meiner Bearbeitung spiegelt sich die große h-Moll-Sonate von Liszt wider. Zwischen den beiden Werken erkenne ich viele Ähnlichkeiten. Sie dauern jeweils eine halbe Stunde, in deren Verlauf sich innere Metamorphosen vollziehen – von anfänglicher Düsternis bis hin zur Erlösung. Ich bin davon überzeugt, dass auch Schönberg die Liszt-Sonate beim Komponieren im Kopf hatte.

Erscheint am 18. Februar:

Schönberg, Mahler

„Jugendstil“

mit Berrut

La Dolce Volta/hm-Bertus

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Corina Kolbe, 26.02.2022, RONDO Ausgabe 1 / 2022



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