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N° 1353
13. - 23.04.2024

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am 20.04.2024



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(c) Nikolaj Lund

Heidelberger Frühling

Treue zur Idee

Der Heidelberger Frühling feiert Jubiläum. Anlass für den Festival-Intendanten Thorsten Schmidt auf 25 bewegte Jahre zurückzuschauen.

Wer braucht schon einen auffälligen Geburtstag, um seine Bedeutung hervorzuheben? Der Heidelberger Frühling sicher nicht – als längst über die Region hinausstrahlendes Festival, das jährlich knapp 50.000 Besucher in der Universitätsstadt am Neckar empfängt. Dennoch gehört es sich, einer so verdienstvollen Institution zum Jubiläum zu gratulieren, die selbst mit einem Jubiläum begann; einem doppelten sogar. Thorsten Schmidt erinnert sich: „Als ich damals als Orchester-Geschäftsführer nach Heidelberg kam, gab es schon die Idee eines Brahmsfestes. Das war im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum 800-jährigen Stadtjubiläum.“ Ein passendes Umfeld, um an den Todestag des großen deutschen Komponisten zu erinnern, der sich zeitgleich zum 100. Mal jährte. „Brahms bildete damit das Zentrum unserer allerersten Ausgabe im Jahr 1997“, sagt Thorsten Schmidt, der die Planungen damals im Dienst des Philharmonischen Orchesters Heidelberg koordinierte. Heute leitet er den Heidelberger Frühling noch immer, seit 2001, als sich das Festival vom Orchester abkoppelte und in eine selbstständige Firma überführt wurde, als Intendant.
Wie kein anderer kennt sich Thorsten Schmidt in der Geschichte, aber auch in der Philosophie des Festivals aus. Unvergesslich sind ihm die Aufbruchsjahre, inspiriert durch die vom legendären Frankfurter Kulturdezernenten Hilmar Hofmann ausgerufene Devise „Kultur für alle“. „Wir wollten sehr stark niederschwellig sein“, erzählt Schmidt, „Das hieß: raus aus den Kulturtempeln und ein Publikum aufsuchen, das sich sonst nicht in die großen Säle verirrt.“ Von Beginn an spielten neue Präsentationsformen für Konzerte eine besondere Rolle beim Heidelberger Frühling. Neue Musik in der Backstube? Man probierte es aus und landete einen vollen Erfolg. Ideen gab es reihenweise. Was weniger vorhanden war, war Geld. „Am Anfang hatten wir nicht einmal einen Etat.“ So war man auf die Hilfe von Kollegen und Freunden angewiesen, um ein Programm auf die Beine zu stellen. Auch junge Nachwuchskräfte von der Musikhochschule waren eine große Stütze.

Unbedingt im Anspruch

Das Engagement und die unkonventionellen Ansätze zahlten sich aus: Das Festival etablierte sich in der Stadt, schon bald hatte sich ein Stamm aus treuen Besuchern gebildet. „Bis zum fünften oder sechsten Jahr kannte ich jeden einzelnen im Publikum persönlich“, sagt Thorsten Schmidt. Mit der Loslösung vom Orchester wuchs das Festival und mit ihm das Publikum. Auch die programmatische Ausrichtung veränderte sich, nicht zuletzt bedingt durch einen Lernprozess, den die Festivalveranstalter durchmachen mussten. „Im Kern sind wir unseren Ideen treu geblieben, doch wir haben sie teilweise in neue Formen gegossen“, so der Intendant. Zu den besonderen Markenzeichen der ersten Ausgaben gehörte, dass man ausschließlich Konzerte präsentierte, die eigens für den Heidelberger Frühling konzipiert wurden. „Unsere Vorgabe war: Wir wollen kein einziges Tourprogramm. Doch dann hatten wir 2002 mit Matthias Goerne und Barbara Hendricks die ersten großen Stars zu Gast, und wir mussten erstmals Programme akzeptieren, die auch woanders laufen.“
Diese Weiterentwicklung brachte den Heidelberger Frühling einen großen Schritt nach vorn. Thorsten Schmidt: „Wir hatten festgestellt, wenn wir große Namen nach Heidelberg bringen, ist auch die Aufmerksamkeit eine ganz andere.“ Im Jubiläumsjahr zum Beispiel geben sich hier von Igor Levit bis Martin Grubinger, von Vilde Frang bis Antoine Tamestit berühmte Klassik-Stars die Klinke in die Hand. Doch bei allem Glanz hat sich genauso der Ruf des Festivals als Plattform für junge Nachwuchskünstler erhalten, nicht zuletzt durch die 2011 ins Leben gerufene Festival-Akademie. Nach wie vor prägend ist daneben die ausgefallene Konzertdramaturgie, die sich nicht mit der bloßen Präsentation von Musikstücken zufriedengibt, sondern auch großen Wert auf Vermittlung legt. „Wir haben schon in den ersten Jahren Formate ausprobiert, die über ein ganzes Wochenende gingen, mit Workshops und anderen begleitenden Formaten. Darüber hinaus wollten wir dem Publikum Gelegenheit geben, sich nach den Veranstaltungen bei einem Glas Wein mit uns auszutauschen.“
Eine besondere Gelegenheit, diese Programmschiene auszubauen, bot die Zusammenarbeit mit dem Komponisten und Klarinettisten Jörg Widmann, dem der Heidelberger Frühling von 2004-2006 einen dreijährigen Schwerpunkt widmete. Als Folge entwickelte sich die enge Zusammenarbeit mit bestimmten Künstlerpersönlichkeiten zu einem prägenden Moment für das Festival. Nach der Begegnung mit Widmann war es zunächst Thomas Hampson, der ab 2006 nicht nur als Sänger auftrat, sondern auch als Pädagoge junge Gesangsstudenten in Meisterkursen und Symposien unterrichtete. Seit 2011 leitet Hampson die „Lied Akademie“: eine der zahlreichen Aktivitäten, mit denen sich der Heidelberger Frühling in besonderem Maße um die Pflege des Kunstlieds verdient macht. Größter Clou war in diesem Zusammenhang die Gründung des Internationalen Liedzentrums Heidelberg 2016, unter dessen Dach neben anderen Projekten auch der von Thomas Quasthoff geleiteter Wettbewerb „Das Lied“ und ab Juni 2022 mit „Neuland.Lied“ ein eigenes Festival ausgetragen werden.
Auch andere Programmschienen wie die Reihe „Kammermusik plus“ oder das „Heidelberger Streichquartettfest“ haben sich emanzipiert und aus dem regelmäßig zwischen Ende März und Ende April terminierten Hauptprogramm abgekoppelt. Die Vielfalt wächst und wächst. Darüber hinaus wird die Jubiläumsausgabe des Heidelberger Frühling – rund 120 Veranstaltungen unter dem Motto FESTspiel – mehrere Binnenzyklen präsentieren, etwa die niedrigschwellige Konzertserie re:start, die junge Künstler an ungewöhnliche Orte der Stadt führt, oder die unter besonderen dramaturgischen Gesichtspunkten gestaltete Reihe „Standpunkte“. Kuratiert wird sie von niemand Geringerem als Igor Levit, seit 2011 ein besonders enger Freund und Begleiter des Heidelberger Frühling und neben seiner kuratorischen Tätigkeit auch jedes Jahr als Solist dort vertreten.
Im Rahmen der „Standpunkte“ erwartet das experimentier- und entdeckungsfreudige Publikum im Jubiläumsjahr ein besonderer Leckerbissen: das ebenso verstiegene wie faszinierende Klavierschaffen des Eigenbrötlers Kaikhosru Sorabji (1892-1988). Als Spezialist für die supervirtuosen, hyperkomplexen Werke des britischen Komponisten parsischer Abstammung tritt der Pianist Jonathan Powell in Erscheinung. Er führt über mehrere Tage hinweg den gewaltigen, geschlagene acht Stunden einnehmenden Variationszyklus „Sequentia cyclica super Dies irae ex Missa pro defunctis“ auf, den Sorabji ohne Rücksicht auf seine Spielbarkeit 1948/49 komponierte. „Ein Festival sollte eben auch das zeigen, was im Repertoire nicht präsentiert werden kann“, sagt Thorsten Schmidt. Auch 25 Jahre nach seiner Gründung ist der Heidelberger Frühling dieser Devise treu geblieben.


FESTspiel für alle

Die Jubiläumsausgabe des Heidelberger Frühling startet am 26. März und endet am 24. April. Zu den prominenten Gästen zählen in diesem Jahr die Geigerinnen Vilde Frang (mit einem Kammermusikprogramm am Eröffnungswochenende) und Antje Weithaas (gemeinsam mit Mahan ­Esfahani am 29. März in der Aula der Alten Universität), die Schlagzeuger Alexej Gerassimez (7. April) und Martin Grubinger (10. April), die Organistin Iveta Apkalna (1. April) sowie die Pianisten Elisabeth Leonskaja (10. April), Gabriela Montero (11. April) und Fazil Say (14. April).
www.heidelberger-fruehling.de

Stephan Schwarz-Peters, 12.02.2022, RONDO Ausgabe 1 / 2022



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