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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Volker Weibold

Markus Poschner

Bruckner war schon zu Lebzeiten ein Solitär und Avantgardist

Das Bruckner Orchester Linz geht mit Bruno Hartls Schlagzeugkonzert und Anton Bruckners 4. Sinfonie, der „Romantischen“ auf Tour.

Ursprünglich war die Tournee des Bruckner Orchesters für das Frühjahr 2020 geplant, Chefdirigent Markus Poschner ist froh, dass die damals geplanten Städte bei der nachgeholten Runde fast alle gehalten werden konnten. Neben Bruckners Vierter spielt Martin Grubinger Bruno Hartls Konzert für Multi-Percussion op.23.

RONDO: Was verbindet das hoch virtuose Schlagzeugkonzert mit Bruckners „Romantischer“?

Markus Poschner: Das Hartl-Konzert ist neben seiner Virtuosität ein sehr mystisches Stück, es beschäftigt sich intensiv mit den Charakteren der einzelnen Schlagzeug-Instrumente, jedem Instrument ist eine eigene Klangwelt angedockt, und trotzdem ist alles ineinander sehr gut verschraubt, in einer wunderbaren Balance.

Ist das Mystische vielleicht die Verbindung zu Bruckner?

Bruckners Musik ist grundsätzlich eine Art Rätsel. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, mit falschen Traditionen aufzuräumen. Es sind zwei österreichische Komponisten, die viel miteinander zu tun haben, weil beide eng verwoben sind mit der Volksmusik. Dann gibt es die Parameter Rhythmus und Klangwelten, die bei Hartl im Vordergrund stehen. Das sind die, mit denen auch Bruckner gepunktet hat.

Was macht Bruckner zum Sonderfall?

Dass er sehr stark ein Wirgefühl vermittelt, aber nicht so wie Beethoven. Denn bei Bruckner spricht nicht ein lyrisches Ich, das vom Dunkel ins Licht geführt wird und einen Konflikt durchleben muss, das Prinzip der Wiener Klassik. Bruckner hat einen völlig eigenen und zu seiner Zeit querstehenden Zugang zur Musik gehabt. Er ist jemand, der entwickeln lässt, der expandiert, klar von Schubert inspiriert. Er war schon zu Lebzeiten ein Solitär und Avantgardist. Zutiefst missverstanden, vom Misserfolg geplagt, hat er erst sehr, sehr spät im Leben Anerkennung bekommen. Aber das gehört alles zu seiner Welt dazu.

Wo steht die Bruckner-Exegese heute?

Die historische Aufführungspraxis ist schon weit gediehen, aber bei Bruckner ist die Sache komplizierter als bei anderen, denn er hatte eine so lange Schaffensperiode und jedes Werk gehorcht letztlich anderen Gesetzmäßigkeiten.

Was halten Sie von den gängigen Bruckner-Mythen?

Man hört immer ‚Gottesmusikant‘ oder es ist von ‚Kathedralen des Klangs‘ die Rede und seine Kunst sei weihevoll, erhaben, auch pathetisch. Das ist alles richtig, aber eben nicht nur. Diese Attribute treffen nur einen Ausschnitt seiner Kunst.

Wie steht es mit der Vierten?

In der frühen Schaffensperiode, in die auch die Vierte gehört, sind ganz andere Mechanismen am Werk. Gerade die Mittelsätze sind stark geprägt von der oberösterreichischen Volksmusik. Und als oberösterreichisches Orchester fühlen wir uns dafür zuständig, außerdem sitzen wir in Linz mit dem Bruckner Institut auf den Quellen und haben in den letzten Jahren einen ganz eigenen Zugriff erarbeitet, den auch unser großes CD-Projekt dokumentieren wird.

Es geht also um Entschlackung von Weihrauch und Gewicht?

Unbedingt, immer noch wird zur Bedeutungsvermehrung gerne das Tempo reduziert. Dabei erinnern die frühen Sinfonien noch sehr stark an Sturm und Drang, Mendelssohn und Berlioz, bei der Vierten ist der langsame Satz eine Hommage an Beethovens Siebte! Bruckner hat sich bei den frühen Sinfonien stark an Vorbildern orientiert. Und natürlich hat ihn die Schrammelmusik beeinflusst, die er selbst jedes Wochenende am Tanzboden gespielt hat. Kirche und Wirtshaus, das sind seine beiden Pole! Das ist die Welt, die Bruckner ausmacht, eine Welt der Extreme. Und diese Extreme interessieren mich. Die kann ich oft nicht erkennen in der Aufführungspraxis der letzten 50 Jahre, die Bruckner als den Richard Wagner der Sinfonik betrachtete. Und das ist unsere Mission.

Gibt es Vorbilder?

Bislang gibt es nur ganz zaghafte Versuche, Bruckner zu entschlacken, ich bin eher in den 1920er Jahren fündig geworden, Aufnahmen mit Klemperer oder Toscanini sind erstaunlicherweise viel wahrhaftigere Interpretationen. Ich will die deutsche, schwere Tradition hinterfragen, es gibt genug Material, das dokumentiert, wie Bruckner ursprünglich interpretiert worden ist.

Das Bruckner Orchester Linz auf Tournee: (Bruckner: Sinfonie Nr. 4, Hartl: Konzert für Multi-Percussion, op. 23; mit Grubinger, Poschner)

20.3. – Düsseldorf, Tonhalle
21.3. – Essen, Philharmonie
22.3. – Köln, Philharmonie
23.3. – Mannheim, Rosengarten
24.3. – Regensburg, Audimax

Regine Müller, 12.03.2022, Online-Artikel



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