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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Porporas „Karl der Kahle“ (c) Łukasz Rajchert

Bayreuth Baroque

Hoch-Adel der Barockoper

Endlich wieder Leben in Wilhelmines alter Amüsierbude: Bei diesem Festival strahlt das Markgräfliche Welterbe-Opernhaus im Countertenor-Glanz.

29 Millionen und 52 Jahre. Das sind die beiden Zahlen, die an diesem denkwürdigen Festaktabend vor fünf Jahren ­zählten. So viel gut ausgegebenes Geld hatte der Bayerische Staat als heutiger Eigentümer aufgewendet, um das seit 2012 mit dem UNESCO-Weltkulturerbe-Siegel nobilitierte Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth, das, wir sagen es einmal ganz laut: schönste Barocktheater der Welt, in all seinem Prunk aus Holz, Farbe, Leinwand und Goldglanz zu restaurieren, aufzupolieren und brandsicher zu machen.
Jetzt steht dieses kulturgeschichtliche Kleinod allerersten Ranges fast wieder so licht und bunt da, wie es der geniale Architekt und Ingenieur Giuseppe Galli da Bibiena anno 1748 anlässlich einer Fürstenhochzeit in die kleine 5000-Seelen-Residenzstadt inmitten der oberfränkischen Provinzödnis fürs vokale Divertissement und als Party-Location de luxe gezaubert hat.
Und diesem, für den Ort völlig überdimensionierten, aber rauschhaft herrlichen Theaterwunder wiederum ist es zu verdanken, dass sich ein anderer Künstler überhaupt für das bis heute jenseits jeder großen Eisenbahnstrecke liegende Nest interessierte: Richard Wagner war neugierig, ob er, nachdem seine Pläne für ein Münchner Festspielhaus auf den Isarhöhen fehlgeschlagen waren, hier den Tempel für die eigenen Werke finden könnte. Natürlich war das lange vernachlässigte, aber deshalb so gut erhaltene Logentheater im Frankenwinkel für so viel gesamtkunstwerklichen Größenwahn trotz seiner gewaltigen Bühne wiederum viel zu klein. So schlug Wagner samt seinem königlichen Mäzen Ludwig II. von Bayern weiter oben, auf einem grünen Hügel, Festspielhauswurzeln. Der Rest ist Musiktheatergeschichte.
Das Markgräfliche Opernhaus aber, diese ganze trügerische Pracht unter dem von zwei Posaunengenien getragenen brandenburgischen Adlerwappen am Proszenium, will bespielt sein, erkundet, zum Leben erweckt werden. Nur wenn in Wilhelmines Luxusschatulle Trompetenklang und Countertenorsang (anstelle der verschwundenen Kastraten) zu hören sind, wenn sich auf der Bühne die Roben bauschen und die Gefühle in den Soffitten flackern – dann fügt sich das zum einzigartig schönen, alle Sinne ansprechenden barocken Gesamtkunstwerk.
Und dafür ist – die Wagner-Festspiele oben auf dem Hügel sind da gerade eben vorüber und ihr süßes Lied ist verhallt – im September Bayreuth Baroque zuständig, das noch neue Festival der unbekannten Opern und der Stars des virtuosen Ziergesang. Als idealer Intendant, um ein solches Spektakel gekonnt üppig zu entfesseln, wurde folgerichtig der Sänger, Regisseur, Impresario, Plattenproduzent und Agenturbesitzer Max Emanuel Cenčić berufen.
Der geht nun mit diesen sehr besonderen Festspielen in einer Stadt mit gleich zwei einzigartigen, für die Musiktheatergeschichte immens wichtigen Bühnen in die dritte Saison – und musste gleich die Heilige Cecilia bemühen, um dem unheiligen Coronavirus zu trotzen.
Schon im ersten Jahr begeisterte Max Emanuel Cenčić mit seiner slapstick-vergnügten Inszenierung von Nicola Antonio Porporas vergessenem Mordsspektakel „Karl der Kahle“, das nach dem Motto „Some like it barockklamott“ zum quietschigen Fünf-Stunden-Vergnügen als Siebenmeilenstiefelrennen der Countertenöre plus Sopran-Behübschung mit Final-Charleston wurde. Das Publikum war so begeistert, dass es im zweiten Pandemie-Jahr problemlos nochmal als Reprise gegeben wurde. Und auch für Festival-Ausgabe Nr. 3 hat Cenčić viel vor. Wir haben uns mit dem Star unterhalten, der 2022 zudem sein vierzigjähriges Bühnenjubiläum feiert.

RONDO: Zwei Jahre Intendanz unter Corona – zerrte das an empfindlichen Künstlernerven?

Max Emanuel Cenčić: Natürlich, aber ich muss sagen, ich bin über mich selbst und alle anderen überrascht, wie gut und souverän wir das doch geschaukelt haben. Und wenn auch nur 200 statt 500 Besucher pro Vorstellung in diesen einzigartigen Raum durften, die Nachfrage war überwältigend! Und sie hat mir gezeigt, dass selbst ein Programm mit Raritäten hier genau richtig ist. Die Barockfans sind süchtig nach Seltenem. Und hier werden sie gefüttert. Diese Rechnung ist aufgegangen, das beweisen auch die Reaktionen und Zugriffe auf die diversen Hörfunk-Übertragungen und Video-Streamings. Hier sind noch viele Da-Capo-Arien drin!

Und auch die Geldgeber sind zufrieden?

Sehr. Ich bin froh, dass die Stadt Bayreuth, unterstützt vom Freistaat wie der Oberfrankenstiftung für zunächst drei Jahre jeweils bis zu 1,3 Millionen Euro für Kunstexzellenz in historischer Umrahmung locker gemacht hat. Zudem wurden die pandemiebedingten Verluste und Mehraufwendungen ausgeglichen. Man hat schnell verstanden, dass hier etwas sehr Besonderes entsteht und sich weiterentwickeln soll.

Inwiefern?

Wir wollen noch viel mehr feiern und ins rechte Licht rücken, was die Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth hier geschaffen hat – als zwangsverheiratete preußische Königstocher und ältere Schwester von Friedrich II. am einst hoffnungslos überschuldeten Mini-Musenhof. Den wollen wir wenigstens für zehn Tage, vielleicht auch in absehbarer Zeit drei Wochen mitsamt seinen originellen Schlössern, Kirchen, Parks, Felsen- und Barocktheatern als auf uns gekommenen absolutistischen Abglanz wiederbeleben und für heute bespielbar machen.

Was planen Sie da?

Wir wollen noch mehr in die Stadt hineinwirken, deshalb gibt es jetzt auch Konzerte in Kirchen und in der Eremitage. Ein Dinner mit Musik und Gesang soll neuerlich zeigen, dass die Barockoper auch den Geruchs- und Geschmackssinn in ihre Ästhetik miteinbezogen hat. Ich hatte Zeit, die Spielstätten zu erkunden, und kann mir, wenn es dafür einen Etat gibt, noch viel mehr vorstellen. Es wäre auch schön, wenn das Festival weitere szenische Opern zeigen könnte – als Eigeninszenierung, Koproduktion oder Gastspiel. Angebote gäbe es genug.

Ist es schwer, die Stars in die vermeintliche Provinz zu locken?

Gar nicht. Gerade im ersten Covid-Jahr hatten Könnerinnen wie etwa Joyce DiDonato plötzlich Zeit, und sie alle haben von dem Haus gehört, wollen da unbedingt singen. Schwierig ist die Planung nur, weil der Etat immer erst so kurzfristig feststeht.

Baroque, nicht Barock. Schon die französelnde Wahl des Festival-Teilnamens macht klar: Hier regiert der abgespreizte kleine Finger des Außergewöhnlichen. Korrekt?

Ja, und deshalb machen wir jetzt mit einer grandiosen Oper von Leonardo Vinci weiter, „Alessandro nell’Indie“ von 1730. Das war das erste Mal, dass dieses vielverwendete Metastasio-Libretto vertont wurde. Es wurden, weil es in Rom einen päpstlichen Bann gab, alle Rollen von Männern gesungen. Und so haben wir jetzt mit Bruno de Sá und Jake Arditti wieder zwei Counterkerle im Fummel, historisch absolut korrekt. Es wird ein Sängerfest, versprochen!

www.bayreuthbaroque.de

Auf ein Drittes!

Vom 7. bis 18. September ist die schillernde Welt des ­Musiktheaters alter Zeit zu erleben – jedoch durchaus im ­modernen Gewand. Die dritte Edition steht im Zeichen der römischen Oper. Neben Vincis „Alessandro nell’Indie“ (Regie: Max Emanuel Cenčić, Dirigentin: Martyna Pastuszka) gibt es im Markgräflichen Opernhaus die Festa pastorale „Il ­nascimento dell’Aurora“ von Albinoni, Bononcinis „Griselda“ sowie Stradellas Oratorium „San Giovanni Battista“. Konzerte – auch an historischen Orten wie dem Eremitage-Sonnentempel, der Stadt- und Schlosskirche sowie der ­Ordenskirche St. Georgen – präsentieren Stars wie Franco Fagioli, Bruno de Sá, Jeanine De Bique und Julia Lezhneva.

Matthias Siehler, 21.05.2022, RONDO Ausgabe 3 / 2022



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