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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Ben Wolf

Jonathan Tetelman

Zu Höherem geboren

Mit italienisch-französischem Repertoire kann man hier erleben: das Debüt eines herausragenden Tenors.

Mit „Fedora“, einem Krimidrama im glanzvollen Umfeld der russischen Aristokratie, schuf Umberto Giordano seine zweite Erfolgsoper neben „Andrea Chénier“. In der Hauptrolle des Grafen Loris Ipanoff trat bei der Mailänder Uraufführung 1898 ein junger, unbekannter Tenor namens Enrico Caruso an die Rampe – und verließ das Theater noch am selben Abend als Star. Kann sich Musikgeschichte wiederholen? Beim Besuch der Oper Frankfurt könnte man es fast meinen. Hier steht „Fedora“ in Christof Loys Inszenierung auf dem Programm. Einen ganzen Akt lang lässt sich das Stück Zeit, bis der schillernde Tenorprotagonist Ipanoff die Szene betreten darf: Es erscheint ein groß gewachsener, gutaussehender Mann mit dunklen Haaren, ein Frauenschwarm, wie ihn die Oper in der inneren Vorstellung oft hervorbringt, den man allerdings – da Tenöre traditionell gern klein und untersetzt sind – in der Bühnenrealität selten zu Gesicht bekommt.
Dass Jonathan Tetelman die optischen Anforderungen an einen Opernhelden erfüllt, ist offensichtlich. Doch wie sieht es mit den musikalischen aus? Auch hier genügen ein paar Takte, und man ist von seinen Fähigkeiten überzeugt. Selbst in einem so hervorragend besetzten Ensemble wie dem Frankfurter sticht seine Stimme heraus, ein vollendeter Spinto-Tenor mit weichem Klang, wie Weißgold strahlend in der Höhe. Trotz seiner beweglichen Leichtigkeit verfügt dieses Organ über viel Substanz und gewaltige Reserven: eine Kraft, die manchmal wie eine Druckwelle aus Jonathan Tetelman herausschießt – herausschießen muss, weil sie so stark ist – und doch nie in Geschrei umschlägt, sondern den Raum auf ganz natürliche Weise flutet. Selbst in einem riesigen Saal wie dem der New Yorker Met, der mehr als doppelt so viele Zuschauer wie die Frankfurter Oper fasst, würde diese Stimme ihre Wirkung nicht verfehlen. Kein Wunder, dass sich derzeit sämtliche Häuser der Welt um den 33-jährigen Amerikaner chilenischer Herkunft reißen.
Dank seines neuen Albums kann man Tetelmans Stimme nun auch ohne zu reisen im heimischen Wohnzimmer genießen: „Arias“ heißt – schlicht und selbsterklärend – das Debüt des Tenors. Zu hören sind Ausschnitte italienischer und französischer Opern, Arien aus Giuseppe Verdis „Il trovatore“, „La forza del destino“ und „I due Foscari“ sowie Meisterwerke weniger bekannter Komponisten wie Francesco Zandonai oder Andrea Cilea. Nicht zu vergessen: die Duett-Schmankerl mit den prominenten Kolleginnen Vida Miknevičiūtė und Elīna Garanča, mit der Tetelman so etwas wie einen eigenen „Carmen“-Schwerpunkt bestreitet. Bereits im vergangenen Jahr waren die beiden mit diesem Programm auf Tournee. Damals mit von der Partie: Garančas Mann Karel Mark Chichon, der als Dirigent auch auf dem neuen Album zu hören ist, am Pult des von ihm geleiteten Orquesta Filarmónica de Gran Canaria.

Auszeit als DJ

Ohne Zweifel bedeutet „Arias“ einen großen Schritt in einer Karriere, die kaum ungewöhnlicher hätte verlaufen können. Hätte man Jonathan Tetelman vor einem Jahrzehnt prophezeit, er würde eines Tages als Tenor auf der Bühne stehen, hätte er vermutlich nur ungläubig den Kopf geschüttelt. Zu dieser Zeit beendete er gerade sein Gesangsstudium an der Manhattan School of Music, und zwar im Stimmfach Bariton, das ihm eine an sich reizvolle Perspektive zu eröffnen schien. „Ich fand schon immer die Baritoncharaktere interessanter“, sagt Tetelman im Rückblick, „die Bad Guys machen einfach Spaß.“ Zu seinem „Leidwesen“ schälte sich allerdings mit der Zeit ein Tenor aus der lyrischen Baritonstimme heraus. „Es kam immer mehr Höhe dazu, ich wusste auf einmal gar nicht mehr, wer ich war“, sagt Jonathan Tetelman. Von der eigenen Stimme geradezu überrollt, tat er das Beste, was man in einer solchen Situation tun kann: Er nahm sich eine Auszeit. In einem New Yorker Nachtclub heuerte er als Promoter und DJ an und überbrückte so das, was er rückblickend als seine „Quarterlife-Crisis“ bezeichnet. „Mir war nun klar, dass ich ein Tenor war und dass ich hart dafür arbeiten würde, dieses Ziel auch auf der Bühne zu erreichen.“
Zurück an der Musikhochschule durchlief Jonathan Tetelman mit extremer Disziplin eine vokale Transformation und fand so endlich zu seiner wahren Sängeridentität. Von Anfang an reizte ihn dabei das italienische Fach, Hausnummern wie Verdi bis Puccini zogen ihn magisch an. „Ich liebe Mozart, aber irgendwie habe ich ihn übersprungen, meine Stimme war schon zu groß dafür“, sagt der im Gespräch erfrischend offene und eloquente Sänger. Schon zu Beginn seiner Laufbahn sorgte er als Rodolfo-Einspringer für Piotr Beczała bei einer „La bohème“-Produktion in Tanglewood für Aufsehen. Bald darauf eroberte er – von Berlin bis London, von Barcelona bis Dresden – in den entscheidenden Partien die bedeutendsten Opernhäuser der Welt, sorgte als Alfredo Germont („La traviata“), Mario Cavaradossi („Tosca“) oder Pinkerton („Madama Butterfly“) für zunehmende Aufmerksamkeit. „Meinen ersten großen Tenorauftritt hatte ich übrigens in der ‚Fledermaus‘“, sagt er – und fügt mit einem Lachen hinzu: „Seitdem möchte ich nie wieder auf Deutsch singen – die Sprache ist zu kompliziert für mich.“
Dass er sich neben der italienischen Oper auch mit französischem Repertoire, seiner zweiten großen Leidenschaft, auf seinem Debüt präsentieren kann, ist für ihn ein besonderes Glück. „Hier kann ich all das zeigen, was mich als Sänger ausmacht.“ In der Tat enthält die Zusammenstellung nur Stücke, mit denen Tetelman bereits öffentlich zu hören war oder die für die nächste Zeit in seinem Terminkalender vorgesehen sind. Bei aller Freude über Verdi, Bizet, Mascagni und all die anderen gibt es jedoch einen Komponisten, der fehlt: Giacomo Puccini. Doch was nicht ist, kann auf einem späteren Album noch folgen.

Erscheint am 5. August:

„Arias“

Jonathan Tetelman

DG/Universal

Stephan Schwarz-Peters, 04.06.2022, RONDO Ausgabe 3 / 2022



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