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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Uwe Arens/naïve

Zlata Chochieva

Küsse der Sonne

Als Debüt ihrer neuen Label-Partnerschaft setzt die russische Pianistin Mozart-Werke in Beziehung mit Skrjabin.

Wer Aufnahmen von Zlata Chochieva anhört, der ist sogleich fasziniert von ihrem kultivierten schlanken Ton, der Klarheit, die so gar nichts Kühles an sich hat und die an das Spiel ihres Lehrers Mikhail Pletnev erinnert. Mit dieser Mischung aus Klarheit und Samtigkeit hat sie unter anderem Frédéric Chopins Etüden und Sergei Rachmaninows „Études-Tableaux“ auf überragendem Niveau eingespielt.
Geboren wird sie 1985 in Moskau. Ihr Vater arbeitet fürs Fernsehen, die Mutter ist Klavierlehrerin. Zur Musik findet sie über ihren Bruder. Er erhält bereits in jungen Jahren Klavierunterricht, und da die kleine Zlata nicht allein zu Hause bleiben darf, begleitet sie ihn dorthin. Bald beginnt die Lehrerin ihres Bruders damit, die Vierjährige ebenfalls zu unterrichten. „Ich war sehr ehrgeizig und wollte auch die Stücke lernen, die er spielte. So entwickelte sich mein Interesse an der Musik“, erinnert sich die Pianistin. Mit fünf gibt sie ihr erstes öffentliches Konzert, interpretiert Peter Iljitsch Tschaikowskis „Album für Kinder“, siebenjährig absolviert sie den ersten Wettbewerb; da spielt sie bereits Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert Nr. 17 G-Dur. Ihre Vorbilder sind Vladimir Horowitz und Mikhail Pletnev, der später neben Jacques Rouvier auch ihr Lehrer wird, nachdem er einen Konzertmitschnitt von ihr gehört hat und sie als Solistin verpflichtete.
Chochieva hat ein großes Faible für die Werke von Rachmaninow, leider würden seine Kompositionen jedoch von vielen jüngeren russischen Pianisten nicht gut interpretiert: „Sie spielen seine Musik mit zu viel Körpergewicht, deshalb gerät so manches zu laut, zu unpräzise und unklar in der Artikulation.“ Das, was Zlata Chochieva bei den russischen Dampfhammer-Pianisten in Bezug auf Rachmaninow kritisiert, lässt sich auch auf die Musik von Rachmaninows Freund und Studienkollegen Alexander Skrjabin übertragen, denn auch bei der Wiedergabe seiner Werke komme es auf Klarheit und Präzision an, betont Zlata Chochieva: „Skrjabin mochte es nicht, wenn seine Musik rau und schwerfällig gespielt wurde.“
Überhaupt seien Skrjabins Werke gar nicht so experimentell und unstrukturiert, wie manche glauben: „Seine Musik hat immer eine perfekte Form, eine perfekte Struktur. Denn er gliedert Phrasen in seinen Stücken gern symmetrisch in 2 + 2 + 4 Takte. Das ist schon ein sehr klassischer Ansatz.“ Was er unter einer perfekten Form versteht, hat er in anschaulicher Metaphorik einmal folgendermaßen formuliert: „Es muss sich eine Form wie eine Kugel, so vollkommen wie ein Kristall bilden.“ „Ein weiteres Merkmal, das Skrjabin mit der Klassik verbindet“, fährt Chochieva fort, „ist die Länge der Phrasen. Diese sind oft wesentlich kürzer als bei romantischen Komponisten.“ Aufgrund dieser Eigenschaften sieht sie eine Nähe zwischen Skrjabin und Mozart: „Skrjabins Musik ist eine Kombination von Schematismus und höchster Intuition. Präzision, gute Organisation und Leichtigkeit, all das sind Dinge, die ihn mit Mozart verbinden.“
Auch wenn Skrjabin abgesehen von seinem frühen Opernentwurf „Keistut und Birut“ und einer Romanze keinerlei Lied- und Musiktheaterwerke schuf, interessierte er sich doch sehr für das poetische Wort. Da sieht Zlata Chochieva eine weitere Gemeinsamkeit mit Mozart: „Skrjabin erforschte verschiedene Wortkombinationen und deren Klang, dabei ging es ihm gar nicht um eine bestimmte Sprache, sondern nur um die Wörter und deren Klang. In vielen seiner Stücke kann man die Reime eines Gedichtes hören, was dazu führt, dass die Phrasierung in seiner Musik klarer wird. Diesen Sinn für Reime hatte Mozart auch.“

Von wunderbarer Leichtigkeit

Auf ihrem aktuellen Album „Chiaroscuro“ kombiniert die russische Pianistin die beiden Mozart-Variationszyklen „Duport“ und „Unser dummer Pöbel meint“ mit den frühen Skrjabin-Préludes op. 15 und 16 und zwei Sonaten des russischen Meisters: die viersätzige, musikalisch nahe bei Franz Liszt stehende Sonate Nr. 3 sowie die späte einsätzige Sonate Nr. 10. Auch in dieser ist die Sonne wie in so vielen seiner Kompositionen ein zentrales Thema. So charakterisiert Skrjabin die Trillerbewegungen in der zehnten Sonate als Insektenschwarm, „die aus der Sonne geboren“ wurden und „Küsse der Sonne“ verkörpern. Das erinnert stark an den Sonnengesang des Pharao Echnaton, den Sigmund Freud für den Begründer der monotheistischen Religion hielt.
Beim Anhören des Albums wird nach wenigen Takten klar, dass Chochievas Mozart die höchsten Vergleiche aushält, sich vor Größen wie Maria João Pires oder Mitsuko Uchida nicht verstecken muss. Sie interpretiert die Werke mit einem schlanken aber warmen Ton in einem ganz natürlichen Fluss, agogische Gestaltung findet somit nur im Mikrobereich statt.
Chochieva wiederholt Phrasen nie exakt gleich, immer gibt es neue Nuancierungen und Abtönungen, ohne dass dies gesucht klingen würde. Ihr Spiel ist in den bewegten Passagen brillant und von wunderbarer Leichtigkeit geprägt, während sie in den Moll-Variationen die Wehmut und den Schmerz auf ergreifende Weise herausarbeitet.
Auch bei Skrjabin überzeugt Chochievas Zugang. Mit Klangsinn, poetischer Fantasie und stupender Brillanz meistert sie die Préludes. Zwar fehlt es im Kopfsatz der dritten Sonate, vom Komponisten unmissverständlich mit „drammatico“ überschrieben, ein wenig an Dramatik und Pathos; dass Skrjabins eruptive Seite der russischen Pianistin jedoch nicht fremd ist, beweist sie im Allegretto-Satz sowie in seiner zehnten und letzten Sonate, wo sie auf kürzester Strecke fulminante Steigerungen vollbringt, ohne lärmig zu werden, dabei unterstützt sie der wunderbar ausgeglichen klingende Bechstein-Konzertflügel in ihren Bemühungen. „Chiaroscuro“ ist ein bemerkenswertes Album einer großartigen Pianistin, die viel mehr Anerkennung verdient, als ihr bisher zuteilwurde.

Zuletzt erschienen:

Mozart, Skrjabin

„Chiaroscuro“

mit Chochieva

naïve/Indigo

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Mario-Felix Vogt, 21.05.2022, RONDO Ausgabe 3 / 2022



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