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N° 1353
13. - 22.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Boaz Arad

Ana de la Vega

Erwachsenwerden an der Seine

Die Australierin hat mit „My Paris“ eine sehr persönliche Hommage an die Welthauptstadt der Flöte aufgenommen.

Ich erreiche Ana de la Vega per Zoom-Call in Kiama, einem Ort, der etwa zwei Stunden südlich von Sydney liegt. „Auf dem Land“, wie sie sagt. Die Geschichte der Flötistin klingt filmreif: Sie wächst auf einer Farm in Australien auf, die Eltern sind unmusikalisch, wie sie sagt. Mit sieben Jahren erlebt sie den magischen Moment, der ihr Leben verändert: Sie spielt im Garten der Farm, als sie Wolfgang Amadeus Mozarts C-Dur-Konzert für Flöte und Harfe in einer Aufnahme mit Jean-Pierre Rampal aus dem Radio tönen hört und ist wie vom Donner gerührt: „Ich hatte vorher nie etwas zu tun gehabt mit klassischer Musik, und dann hörte ich diesen unglaublichen Klang. Ich wusste gar nicht, was ich hörte, ich hatte auch niemals zuvor eine Flöte gesehen. Ich fragte meine Eltern: Was ist das? Das will ich auch tun.“
Als klar wird, dass die Faszination keine kindliche Laune ist, leihen die Eltern ein Instrument für die Tochter, die tatsächlich einen Lehrer findet, der ihr ersten Unterricht erteilt. Ana de la Vega erreicht ihn zu Pferd, denn Reiten ist ihre zweite Leidenschaft. Sie bringt es schließlich sogar bis zur Turnierreiterin und gibt das professionelle Reiten erst auf, als sie nach Sydney geht, um dort Musik zu studieren.
Ihr großes Vorbild bleibt Jean-Pierre Rampal, jener Mann ihrer ersten Flötentöne, der nach wie vor als Galionsfigur der glorreichen französischen Flötentradition gilt. Ein Ideal am anderen Ende der Welt. Und dann beschließt sie, nach Paris zu gehen: „Ich musste unbedingt diesem Klang folgen und ich wusste, ich würde ihn nur in Paris finden. Ich buchte ein One-Way-Ticket, aber ich hatte überhaupt keinen Plan. Ich verstand kein Wort Französisch, hatte dort keine Freunde und keinen Lehrer.“ Sie ist sofort verliebt in die Stadt, wenn auch überfordert: „Es war ein Kulturschock, ich war ein kleines Mädchen von einer australischen Farm in einer sehr großen Stadt.“ Sie ist einsam, aber tapfer, lernt erste Brocken Französisch jeden Abend in der gleichen Bar. „Ich war sehr naiv, aber in Paris bin ich schnell erwachsen geworden“, sagt sie mit einem vieldeutigen, sympathisch rauen Lachen.
Sie bahnt sich ihren Weg, studiert schließlich bei Raymond Guiot und Catherine Cantin und schafft es, sich als Solistin zu etablieren. Bereits ihre Debüt-CD wird 2018 von der Kritik hoch gelobt. Nun hat sie eine Hommage an jene Stadt eingespielt, die sie zur Musikerin reifen ließ: „My Paris“. Werke von Debussy, Ravel, Saint-Saëns, Poulenc und Bizet sind dabei. Aber auch drei Komponistinnen, Cécile Chaminade, Lili Boulanger und Maria Theresia Paradis. „Und natürlich Mozart, denn ohne ihn wäre ich ja nicht nach Paris gegangen. Ich versuche, mit diesem Album den Duft, das Aroma von Paris einzufangen, wo ich groß geworden bin. Paris öffnete mein Herz und meinen Geist.“ Obwohl die erste Zeit in Paris sehr schwierig gewesen sei, sie habe die enorme Distanz zur Heimat im Herzen gefühlt. Und heute, lebt sie lieber in der Stadt, oder auf dem Land? „Ich gehöre aufs Land, ich habe das in meinen Knochen und brauche das Gras unter den Füßen. Ich hoffe, ich kann eine Balance finden zwischen meiner Herkunft und dem Leben in der Stadt.“

Debussy, Fauré, Massenet, Chaminade

„My Paris“

mit de la Vega, Rivinius

Pentatone/Naxos

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Regine Müller, 21.05.2022, RONDO Ausgabe 3 / 2022



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