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Alban Bergs „Wozzeck“ an der Wiener Staatsoper (hier: Christian Gerhaher) (c) Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Von Alban Bergs „Wozzeck“, einem der robustesten, unkaputtbarsten Werke von allen, war zu erwarten, dass es für Christian Gerhaher die Oper seines Lebens wird. Das atonale Idiom und der Ernst der Sache kommen der Intellektualität des Baritons entgegen. Tatsächlich ist die Stimme für das große Haus der Wiener Staatsoper fast zu dezent, um gegen die Walküren-Juchzer von Anja Kampe (Marie) und den vorzüglichen Sean Panikkar als Tambourmajor anzukommen. Simon Stones Fitness-Geräte, Würstelstände und Arbeitsamt-Flure bleiben als Regie-Aktualisierung äußerlich. Philippe Jordan kann mit dem Orchester der Wiener Staatsoper süffig punkten. Doch reicht das? In Wien sind die Messer wegen der Verlängerung von Staatsoperndirektor Bogdan Roščić scharf gewetzt. Dissonanter Schluss nicht ausgeschlossen …
Im Café Imperial, der musikpolitischen Schaltstelle von Wien, denken wir heute über neue Namen nach. Anlass: Die Wiener Symphoniker suchen einen neuen Chef (nachdem bei Andrés Orozco-Estrada vorzeitig die Sicherung durchging). Warum nicht Lorenzo Viotti? Warum nicht Tugan Sokhiev?! Letzterer dirigiert gelegentlich auch die Wiener Philharmoniker. Macht das was? Dass man denen nicht zu nahekommen will, ist eine Wiener Spezialität. Und ein Grundproblem. Zum Vergleich: Die Berliner Philharmoniker haben das Niveau aller anderen Berliner Orchester angestachelt und gehoben. Man fürchtet sie nicht. Die Wiener Philharmoniker dagegen haben das Niveau ihrer Wiener Kollegen eher grundsätzlich gesenkt – und sie entmutigt. (Was ihnen die Zukunft des eigenen Schlendrians aufs Schönste sichert ...) Machen wir uns gerade unbeliebt? „Wer ängstlich abwägt, sagt gar nichts”, so der Berliner Autor Theodor Fontane. Er hat recht.
Erstaunliche Debüts in Gestalt uralter Werke gibt es an der Wiener Staatsoper noch zu bestaunen. Zum Beispiel „L’Orfeo“. Nicht einmal Nikolaus Harnoncourt durfte hier seinen Concentus Musicus jemals dirigieren. Jetzt debütiert dieser mit Monteverdi unter Leitung von Pablo Heras-Casado (mit Georg Nigl, ab 11.6.). Das Stück inszeniert Tom Morris, und zwar als „Hochzeitsparty“, wie das Haus meldet. An der Volksoper kommt mit Brittens „Der Tod in Venedig“ die letzte Opern-Premiere der Ära von Robert Meyer heraus (mit Rainer Trost, ab 14.5.). Die neue Spielzeit eröffnet Nachfolgerin Lotte de Beer mit einer neuen „Dubarry“ (mit Annette Dasch, ab 3.9.).
Das Wiener Konzerthaus ist super aufgestellt. Hier spielt Olli Mustonen das 3. Klavierkonzert von Bohuslav Martinů (20.5.). Klaus Mäkelä dirigiert sämtliche Sibelius-Sinfonien (21.-23.5.), Anna Prohaska singt ihr „Paradies“-Programm (21.6.). Selbst Tom Jones tigert vorbei (3.7.), gefolgt von Iggy Pop (7.7.). Daneben holt der Musikverein unter seinem Intendanten Stephan Pauly stark auf. Mitsuko Uchida spielt ein sehr interessantes Klavier-Recital mit Kurtág, Mozart und Schumanns „Davidsbündlertänzen“ (29.5.). Christian Thielemann bringt die Sächsische Staatskapelle für, immerhin: Mendelssohn Bartholdy und Zemlinsky (30.5.) – sowie für Bruckners Neunte (31.5.). Simon Rattle kommt mit dem Chamber Orchestra of Europe (5.6.), Lorenzo Viotti (s. o.) steht probeweise vor den Wiener Symphonikern (17./18.6.). Andris Nelsons dirigiert sogar Weinberg bei den Wiener Philharmonikern (18./19., 22.6.). Und Zubin Mehta reist noch einmal mit dem Maggio Musicale-Orchester an (19.6.). Christian Gerhaher singt Brahms (21.6.). Alles keine neue Namen. Und doch hoffnungsfrohe Aufbrüche. Ober, zahlen!
Robert Fraunholzer, 28.05.2022, RONDO Ausgabe 3 / 2022
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