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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Interview · Blind gehört

(c) Marco Borggreve

Blind gehört - Anna Prohaska

„Ach, wie schön“

Anna Prohaska, geboren 1983 in Neu-Ulm, ist eine der wichtigsten deutschsprachigen Sopranistinnen der Gegenwart. Ihr Großvater war der Dirigent Felix Prohaska, sie selbst wuchs in Wien-Hietzing in jenem Haus auf, in dem Johann Strauß „Die Fledermaus“ komponierte. Später zog sie mit ihren Eltern nach Berlin. Ausgebildet von Eberhard Kloke, Norma Sharp und Brenda Mitchell, ist sie seit 2006 Ensemblemitglied der Staatsoper Unter den Linden. Von Kollegen wird sie (in Bezug auf ihre Persönlichkeit) als „ein Traum“ bezeichnet. Und genauso ist sie auch im Blindtest. Sie lebt in Berlin.

Forsch, relativ flott. Aber nicht megaschnell. Das kann nicht Nikolaus Harnoncourt sein, dafür ist es zu langsam dirigiert. Ein traditionelles Orchester der mittleren bis jüngeren Generation, würde ich sagen. Geht in Richtung Yannick Nézet-Séguin oder Gustavo Dudamel. Mir fällt der viele Hall auf, das muss am Saal liegen. – Die Berliner Philharmoniker? Aber doch nicht Abbado! Das ist keine alte Aufnahme. Könnte Muti sein oder Levine. Welser-Möst? Thielemann?! – Was, Daniel Barenboim?! Er dirigiert das heute langsamer. Verlangt aber zugleich mehr Akzente, mehr Kontraste. Ich habe Susanna oft genug unter seiner Leitung gesungen. Und würde es nicht erkannt haben! Irgendwie pflegeleicht klingt das. Heute ist er aufregender.

Mozart

Le nozze di Figaro (Ouvertüre)

Berliner Philharmoniker, Barenboim

Erato/Warner, 1991

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„La bohème“, mit einem Tenor aus der älteren Zeit. (Verdreht die Augen vor Verzücken ...) Kein Italiener. Das könnte fast Jussi Björling sein, ist es aber nicht. – Was, ist es doch?! Meine Eltern werden mich umbringen. Björling ist ein Lieblingstenor von beiden. Mein Vater, ein Schellack-Fetischist, schwärmt auch für Tito Schipa, meine Mutter mehr für Giuseppe di Stefano. Naja, ich finde es auch schon sehr schön, das muss ich zugeben. Tolle Intonation. Der Sänger hat es nicht nötig, die Töne ‚von unten‘ her anzugehen – was die Sache leichter machen würde. Ein apollinischer Glanz liegt über allem. Eine Noblesse eben. Und nicht der drohende, dionysische Ausbruch wie bei Franco Corelli. Ohne Schmalz. Mit nur wenig Schmackes. Das hier ist: Goldschnitt. Ich bin dafür.

Puccini

La bohème („O soave fanciulla“)

Björling, Schymberg

EMI/Warner, 1941

Dies ist ganze eindeutig Elisabeth Kulman. Ich liebe sie, und ich weine tausend Tränen, dass sie ihre Gesangskarriere an den Nagel gehängt hat. Eine ganz tolle stilistische Bandbreite besaß sie, von Bach bis Wagner. Wir haben einige, traumhafte Johannes-Passionen zusammen gemacht, sowohl vorm Mikro wie auch Live. Eine tolle Fricka war sie sowohl im „Rheingold“ wie in der „Walküre“. Keinerlei Tremolo oder leicht ‚wobbliges‘ Vibrato. Wenn ich an sie denke, frage ich mich immer: Ist es wirklich nötig, dass man sich vom Betrieb aufreiben lässt? Warum muss ich mich immer wieder beweisen?! – sei es gegenüber der Kritik, gegenüber der Konkurrenz, den Casting-Direktoren und so weiter. Dieser Kampf um der Karriere willen … Unser Beruf ist doch schon ohnehin so geartet, dass wir nicht durchsumpfen und am Morgen danach ein geniales Bild malen können.

Sommer

Sapphos Gesänge

Kulman, Bamberger Symphoniker, Weigle

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Historisches Ensemble, Richtung Süden. Ach, das ist bestimmt Il Giardino Armonico unter Giovanni Antonini, ja?! Ich höre so gern seinen Beethoven und Haydn, komplett neu. Er hat die Werke auf ganz unmanierierte Art revolutioniert. Maskulin, sehnig finde ich das, aber doch gleichzeitig sehr flexibel. Antonini ist einer meiner drei Top-Lieblingsdirigenten. Liegt vielleicht auch daran, dass er, von der Flöte herkommend, mit Luft arbeitet und von Sauerstoff was versteht. Er vermag es daher auch, auf Sänger zu warten. Wovon er sehr gern und oft spricht, ist der „spazio“, also der Raum, den es um eine Note herum geben muss, damit sie sich maximal gut entfalten kann. Organisch klingt das dann. Noch anders gesagt: Antonini bietet instrumentale Perfektion, aber nicht glattpoliert. Sondern tänzerisch, impulshaft. Ohne Plinki-Plonki.

Haydn

Sinfonie Nr. 39 g-Moll Hob. I:39

Il Giardino Armonico, Antonini

Alpha/Note 1, 2013

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Christian ist das. Lustig. Ich find’, das ist ein vollkommen anderer Ansatz als etwa bei Fischer-Dieskau, obwohl das so gern bestritten wird. Bei mir haben sich beim Singen auch eine Weile immer Christine Schäfer und Doro (Dorothea Röschmann, Anm. d. Red.) eingeschlichen, warum auch nicht. Wenn’s vorüber geht ... Der Komponist Hugo Wolf wäre heute schwierig unterzubringen. „Wer hat Angst vor Hugo Wolf?“, fragt man sich. Ich mag freilich die Liederabende, die einem einzigen Komponisten gewidmet sind, gar nicht so sehr. Ich kann auf CDs viel mutiger und bunter sein als ich es gegenüber Schallplattenfirmen durchsetzen könnte. Wenn aber ein Album da ist, kriege ich den Abend auch live verkauft. Selbst kleine Festivals wollen Leichtgängiges, heutzutage. Gut, dass es noch Säle wie den Boulez Saal in Berlin gibt, wo man in hohem Maß freie Hand hat. Kleiner Saal, trägt super. Besonders für Lied.

Wolf

Italienisches Liederbuch („Ihr seid die Allerschönste“)

Gerhaher, Erdmann, Huber

Sony, 2013

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Oh, auf Deutsch! Die Stimme kommt mir bekannt vor. Ist das Hilde Güden? Ich kenne die Erich Kleiber-Aufnahme ganz gut, wo sie Susanna singt. Einen ganz kleinen Knödel höre ich da auch. Aber einen Wiener Semmelknödel!, wenn ich so sagen darf. Schon extrem gut. Man versteht auch den Text genau. Ich bin immer ein ‚Güden-Girl‘ gewesen – daran kann man die österreichischen Soprane unterscheiden. Bartoli, zum Vergleich, macht es dramatischer, andere sind mehr Soubrette. Und damit das, was ich früher auf jeden Fall einmal war. Ich singe ja immer noch gern Ännchen im „Freischütz“ und solch federleichtes, aber gesangstechnisch superschweres Zeug. Man fällt eher negativ auf, wenn man zu lange dabeibleibt. Also, etwa nicht Güden?! – Was, Irmgard See­fried!? Hm. Da habe ich wieder etwas dazugelernt. Toll macht sie das, ich kenne sie nur nicht gut genug. Da habe ich doch etwas, um’s nachzuhören ...

Mozart

Die Hochzeit des Figaro („O säume länger nicht“ – Rosenarie)

Seefried, Wiener Philharmoniker, Furtwängler

EMI/Warner, 1953

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Schreckliches Libretto, aber sehr schöne Oper. Hier singt Gerald Finley. Den wollen wir aber ein bisschen länger hören. Jerry ist wunderbar. Da wird er sich freuen, hoffentlich, dass ich ihn gleich erkannt habe. Was ich da höre, nenne ich goldene Wahrhaftigkeit, die aus der Kehle strömt. Nichts Verschwurbeltes, nichts Aufgesetztes oder Verknödeltes. Das kämpft nicht, hat Leichtigkeit, ist profund. Und: Text, Text, Text. Einfach ein großer Sänger. Auch ein sehr guter Jago übrigens. Seine „Dichterliebe“, ich muss es sagen, hat mein Leben verändert. Kein sozusagen luftiges Tremolo, aber ein umso herrlicheres Timbre. Sehr umgänglicher Mann übrigens. Der geht nachher auch noch ein Glas Wein mittrinken.

Weber

Euryanthe („What Refuge Here“)

Finley, London Philharmonic Orchestra, Gardner

Chandos/Note 1, 2010

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Das ist die zweite Fassung eines Titels von Henry Purcell. Diejenige mit den Koloraturen. Ist das vielleicht Sylvia McNair? – Das zaubert mir sofort ein Lächeln ins Gesicht. Die c-Moll-Messe von Mozart mit ihr: Es gibt nichts Schöneres. Das ist Ruhe, ja geradezu „Serenitas“. Eine fantastische Freundlichkeit liegt in dieser Stimme. Ich kenne kein angenehmeres Timbre, und das allein schon ist eine total seltene Angelegenheit. Es gibt Stimmen, die gehen einem an die Nerven. Scharfe Stimmen etwa, ‚tremolöse‘ Stimmen. Und dann solche, wo man sich in den in Klang hineinlegen kann. Sie müssen nicht mal groß sein. Ach, wie schön.

Purcell

„If Music Be the Food of Love“

McNair, The Academy of Ancient Music, Hogwood

Philips/Universal, 1995

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Neu erschienen:

Kurtag

Kafka-Fragmente

Faust, Prohaska

Harmonia Mundi/Bertus

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Robert Fraunholzer, 03.09.2022, RONDO Ausgabe 4 / 2022



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