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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) privat

Julian Rachlin

Messerscharfe Entspannung

Was braucht ein Musiker zum Glücklichsein? Ein gutes Hotel, einen wunderbaren Konzertsaal, eine ordentliche Gage – „und ein fantastisches Essen“, lacht Julian Rachlin. Für letzteres sorgt der Geiger daheim meist selbst – und steht dafür auch schon einmal einen Tag lang in der Küche.

RONDO: Was ist Ihr Lieblingsgericht?
Julian Rachlin (lacht): Das ist so, als wenn Sie mich fragen würden, wer mein Lieblingskomponist ist … Wie kann ich mich zwischen Mozart und Brahms, Schumann, Beethoven und Tschaikowski, Bach, Mahler und Bruckner entscheiden? Ein jeder von ihnen ist auf seine Art und Weise genial – und genauso ist es mit der Küche: Es gibt in fast jedem Land der Welt faszinierendste Gerichte.
Vielleicht lässt es sich mit der Antwort auf die Frage „Wer ist dein Lieblingskomponist?“ formulieren: Der Komponist, den ich heute Abend spiele – und mein Lieblingsgericht ist das, was ich heute koche.

Dann variiere ich ein wenig – welches Gericht kochen Sie denn besonders gern selbst?
(Lacht) Das ist gut … Da ich in Wien aufgewachsen bin, bin ich natürlich mit der dortigen Küche sehr vertraut, und entsprechend bereite ich sehr gern ein gutes Gulasch zu – was dann allerdings mindestens sechs bis sieben Stunden braucht. Ohnehin koche ich immer mit ganz, ganz viel Zeit und einer sehr großen Hingabe zum Detail, denn die allerwichtigste Voraussetzung fürs Kochen ist die Qualität einer jeder einzelnen Zutat. Selbst wenn es „nur“ eine Pasta ist, müssen die Nudeln handgemacht sein und die Tomatensoße muss über längere Zeit ganz leicht dahinsieden. Das bekommt man in kaum einem Restaurant, dass man sich unglaublich viel Zeit nimmt für ein Gericht – doch dann schmeckt es ganz anders.

Nun ist Zeit für einen Musiker, der für seine Konzerte viel durch die Welt reist, eher ein knappes Gut – warum verbringen Sie diese wenige Freizeit da noch mit Küchenarbeit?
Weil es für mich absolute Meditation ist – der Weg ist das Ziel. Das Wirken in der Küche hat ein meditatives Element, was schon beim Schnitzeln der ganzen Zutaten beginnt, denn die meiste Zeit beim Kochen verwendet man ja mit der Vorbereitung: Die eigentliche Kreation kommt erst zum Finale, das Zusammenfügen, die richtigen Proportionen, die dem Gericht dann den Stempel des Kochs verleihen – doch das ist erst das letzte Achtel des gesamten Vorgangs. Ganz ähnlich übrigens wie in der Musik …

… inwiefern?
Ein neues Werk beginnst du ja nicht mit der Interpretation zu lernen, sondern es sind die trockenen Übungen, die stundenlangen Tonleitern und Etüden, die dich ein Leben lang begleiten. Und genauso ist es in der Küche: Erst wenn die Zutaten zerschnitzelt sind und du jeden Schritt genau vorbereitet hast, erst dann beginnt die kreative Arbeit. Doch genau deswegen liebe ich das Kochen: einfach um abzuschalten – und nicht, um etwas schnell zu erledigen.

Sie sprechen von Abschalten und Meditation – lassen Sie sich da beim Kochen helfen oder haben Sie lieber absolute Ruhe in der Küche und entsprechend dann auch „freie Bahn“?
Ich koche oft und sehr gern allein, doch ebenso gern auch mit meiner Frau zusammen. Entweder ist sie die Chefin oder ich, da wechseln wir uns ab – einer führt und der andere assistiert als Sous-Chef. Oder es kocht eben einer von uns allein, und zwar entweder nur für uns zwei oder auch für Freunde. Und manchmal holen wir uns auch einen richtigen Koch ins Haus, um von ihm zu lernen – und im Gegenzug ist er dann zu allen unseren Konzerten eingeladen und kann alles über Musik erfahren.

Und wie werden hernach die Resultate der heimischen Küchenarbeit genossen?
Wir lieben ein Abendessen ohne jeden Anlass! Eigentlich essen wir nur zweimal am Tag: Frühstück und Abendessen – aber das wird dann wirklich zelebriert. Und besonders am Abend gehören da Kerzen ebenso dazu wie ein sehr schönes Gedeck und ein wunderbarer Wein. Solch ein Dinner ist nichts, was schnell-schnell zu gehen hat – und eine Zubereitung etwa in der Mikrowelle ist für uns ein rotes Tuch!

Das klingt nach einer wirklichen Liebe zum Kochen wie zum Essen – wie ist diese Leidenschaft bei Ihnen entstanden?
Meine Mama kocht fantastisch, auch meine Großmutter hat schon wunderbare Mahlzeiten zubereitet – der Papa kann zwar ein paar Gerichte, aber er ist nicht der große Koch. Zudem ist mein ältester und bester Freund, der Geiger Aleksey Igudesman, bereits seit seinen Teenagerzeiten ein leidenschaftlicher Koch, von dem ich unglaublich viel gelernt habe. Und schon damals hat er am Herd stets experimentiert: Er hat nie nach Kochbuch gekocht, nie nach Rezept, sondern immer ganz frei – so kreativ wie in der Musik ist er auch beim Kochen.
Ich bin da ganz anders: Wie im Beruf brauche ich eine Partitur, denn ich bin niemand, der ein Gericht erfindet. Dafür habe ich aber ein gutes Feingefühl für das Essen.

Ein Feingefühl, das Sie offenbar fleißig schulen, sind Sie doch bei dem österreichischen Hauben-Koch Reinhard Gerer in die Schule gegangen – wie kam es dazu?
Wien ist ja nun einmal eine sehr musikalische Stadt – und da auch die Köche dort oft sehr musikaffin sind, freuen sie sich, wenn Musiker zu ihnen kommen. Der Reinhard Gerer hat damals in den 80er und 90er Jahren im „Korso“ gekocht, dem ersten Lokal in Wien, das im Gault-Millau vier Hauben bekommen hat – als erster großer Haubenkoch Österreichs war er eine lebende Legende. Und irgendwann haben wir uns dann kennengelernt und es ist eine richtige Freundschaft entstanden, denn er liebt klassische Musik und besonders die Violine über alles. Meine Frau und ich haben unglaubliche Abende mit ihm verbracht, wo wir musiziert haben und er gekocht hat – und natürlich habe ich ihm auch tausend Fragen gestellt! Und eines Tages habe ich den Reinhard dann gefragt, ob ich ihm assistieren dürfte …

… wollten Sie aus Ihrem Musikerberuf aussteigen?
(Lacht) Nein, aber ich hatte gerade eine Operation hinter mir und reichlich Zeit, denn ich konnte keine Konzerte spielen. Also habe ich ihm angeboten, in seiner Küche mitzuhelfen. Er hatte damals ein ganz kleines Restaurant, die Speisekarte umfasste lediglich zehn Gerichte: Eine Woche lang habe ich erstmal nur zugeschaut, elf Stunden jeden Tag – das war seine Bedingung – und dann hat er angefangen, mir kleine Aufgaben zu geben für die Zubereitung der Speisen. Natürlich wusste er, dass ich kochen kann, denn ich hatte viele seiner Speisen jahrelang nachgekocht und ihn auch dazu eingeladen: etwa zu seiner legendären Ente mit Weinkraut und einem ausgehöhlten, im Ofen gegarten Apfel, der mit Pflaume, Marzipan und Rum gefüllt ist. Und so habe ich dann drei Wochen bei ihm im Restaurant gekocht und war zwei Wochen sein Sous-Chef, denn er hat gesehen, dass es funktioniert.

Wie Sie schon selbst erzählt haben, nimmt die Vorbereitung beim Kochen viel Raum ein und dazu gehört auch das Schnippeln der Zutaten mit sehr scharfen Messern. Gab es da bei Ihnen nie die Angst, dass mal ein Schnitt daneben gehen könnte und Sie dann die Geige für eine Weile ruhen lassen müssten?
Ganz im Gegenteil: Je schärfer das Messer, desto kleiner das Risiko, sich zu verletzen! Die Leute haben immer Angst vor scharfen Messern – dabei sollten sie sehr viel mehr Angst haben, wenn ihr Messer nicht scharf ist, denn dann gehen die Sachen schief. Natürlich muss man die Schneidetechnik lernen: Es kommt auf den Winkel an, was macht die linke, was die rechte Hand – doch dann dient ein scharfes Messer nur dazu, dass man sich nicht schneidet. Meine Messer lasse ich regelmäßig von einem Spezialisten schleifen – und ich kaufe sie eigentlich immer in Japan. Selbstredend gibt es auch in Europa tolle Messer, doch in Japan haben sie einfach eine ganz andere Schneidekultur und entsprechend groß ist die Auswahl. Doch natürlich lassen sich japanische Messer auch in Europa bestellen, und man muss dafür nicht unbedingt nach Japan reisen …

„Herbstgold“
Schloss Esterházy Eisenstadt
11.-25. September 2022 www.herbstgold.at

Christoph Forsthoff, 03.09.2022, Online-Artikel



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