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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Das Eröffnungskonzert (c) Michael Pinzolits

Herbstgold

Alter Glanz, frisch poliert

Im Geiste Haydns lockt Geigenvirtuose Julian Rachlin ins milde Klima der einstigen Fürstenresidenz Eisenstadt.

„Ein Begräbnis erster Klasse“ hatte sich Joseph Haydn zu Lebzeiten gewünscht – und tatsächlich muten die Bilder vom Leichenzug des Verstorbenen hochherrschaftlich an, die da im eindrucksvollen Mausoleum der Eisenstädter Bergkirche zu bestaunen sind. Nur dass diese Aufnahmen aus dem Jahr 1954 stammen, 145 Jahre nach dem Tod des berühmtesten Komponisten seiner Zeit: Da nämlich erst wurde der Kopf des Tonsetzers, der kurz nach seiner Beerdigung von Anhängern der Schädellehre Franz Joseph Galls aus dem Grab gestohlen worden war, wieder ins Burgenland überführt und mit seinen übrigen Gebeinen in dem reich verzierten, von Fürst Paul III. Anton Esterházy in Auftrag gegebenen Marmorsarkophag in der Kalvarienbergkirche bestattet.
Aus heutiger Sicht ein gelungener PR-Coup der Eisenstädter wie auch des jahrhundertealten Adelsgeschlechts, denn Haydn ist untrennbar mit beiden verbunden: 1761 war er als 29-Jähriger in den Dienst der Familie Esterházy getreten, 1766 dann von Fürst Nikolaus I., „Der Prachtliebende“, zum Hofkapellmeister ernannt worden. Über vier Jahrzehnte prägte der Mann mit der markanten Perücke nicht allein das Musikleben am fürstlichen Hofe – „ich erhielt Beyfall, ich konnte als chef eines Orchesters Versuche machen, […] verbessern, zusetzen, wegschneiden, wagen“ – sondern bescherte seinem Dienstherrn auch eine weit über die Grenzen des Habsburger Reiches bekannte Glanzperiode des Musik- und Theatergeschehens im hiesigen Schloss der Esterházys. Und damit auch Eisenstadt, denn seit König Ferdinand 1622 diese Herrschaft an das ungarische Adelsgeschlecht verpfändet hatte und in der Folge Fürst Paul I. seinen Wohnsitz nach Eisenstadt verlegte, ward das kleine Städtchen zum Zentrum des fürstlichen Wirkens geworden.

Große Namen zu Gast in Eisenstadt

Ein Pfund, mit dem sich im bis heute k.u.k.-verliebten Österreich auch in demokratischen Zeiten punkten lässt – und so strahlt der vormalige Glanz hier im Burgenland tatsächlich fort: zum einen durch die aus dem fürstlichen Erbe hervorgegangenen Privatstiftungen, die nicht allein das pracht- und prunkvolle Barockschloss als Museum wie Konzertort für das Publikum geöffnet haben, dazu ebenso den Schlossgarten, dessen berühmte Pflanzensammlung schon vor 200 Jahren Neugierige aus ganz Europa anzog. Zum anderen indes durch den historischen Brückenschlag zum einstigen Hofkapellmeister: Haydn begegnen Besucher nämlich in Eisenstadt auf Schritt und Tritt.
Sei es nun in dessen seinerzeitigem Kräutergarten, wo die Komponisten-Familie ehemals selbst Gemüse und Gewürze für die heimische Küche anbaute, aber auch Lilien, Iris und Rosen für Duftwässerchen; in der Franziskanerkirche, an deren Orgel der Musiker in die Tasten griff, daneben auch werbewirksam in der Fußgängerzone im Haydn-Kontor mit Bio-Ölen zum eigenhändigen Abfüllen oder in verblichenen Namens-Schriftzügen an Häuserfassaden vormaliger Cafés und Gasthöfe, denen der Musiker offenbar kein Unternehmensglück bescherte; und natürlich im ehemaligen Wohnhaus der Familie, wo der Alltag des Meisters nicht allein in der wieder frei gelegten, sehr aufwändigen und bunten Wandbemalung oder seinem Hammerklavier auflebt, sondern sein Feldbett auch mit ganz alltäglichen Problemen konfrontiert: „Warum schlafe ich so schlecht?“
Und natürlich beim Haydn-Festival – pardon, beim „Herbstgold“: Denn seit 2017 glänzen die Festspiele auch im Namen. Waren es zuvor eher die dramaturgische Haydn-Fokussierung, Gesamtaufnahmen seiner Sinfonien und Baryton-Trios oder Symposien mit Haydn-Experten aus aller Welt, die für Aufmerksamkeit sorgten, setzen die Veranstalter nun auf bekannte Namen und ein breiteres Publikum. Und mit dem Geiger und Bratscher Julian Rachlin seit dem vergangenen Jahr auch auf ein echtes Aushängeschild als künstlerischem Leiter: Als „weltbekannter Künstler“ sei der 37-Jährige eine „Identifikationsfigur“, freute sich Karl Wessely, Geschäftsführer der Esterházy Stiftungen, schon bei dessen Ernennung. Ein ebenso charmanter wie höflicher Musiker, der während der zwei „Herbstgold“-Wochen in diesem September nicht allein mit Frack und Umschlagmanschette an den Glanz vergangener Adelszeiten anknüpfte, sondern auch das Publikum zu umarmen wusste wie beim Abschlusskonzert mit der Filarmonica della Scala im berühmten Haydnsaal des Schlosses: „Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass wir 6500 Besucher hatten – Sie sollten stolz sein auf Ihr Festival hier!“
Und es ist dem in der Kulturwelt gut verdrahteten Rachlin tatsächlich gelungen, große Namen in die Hauptstadt des Burgenlandes zu holen: Angefangen von Hollywood-Star John Malkovich, der mit dem Geiger und Kollegen heuer in einer tönenden Persiflage die Musikkritik(er) aufs Korn nahm; über den gefeierten Tenor Juan Diego Floréz, der für einen Liederabend in der 15.000-Seelen-Gemeinde Station machte – bis hin zu Manfred Bockelmann, Bruder des verstorbenen Rachlin-Freundes Udo Jürgens, der ein Kunstprojekt gestaltete (s. Infokasten). Geschickt schlägt der redegewandte Streicher im Programm zudem Brücken zu anderen Musik-Genres: sei es nun in einer Jazznight mit dem Gitarristen Biréli Lagrène, der vom Publikum gefeierten Roma-Musik des Janoska Ensembles und des Traditional Gypsy Orchestra samt folkloristischer Tanzeinlagen oder auch der Oper, wie mit Mozarts halbszenisch inszeniertem und sanft aktualisiertem Singspiel „Bastien und Bastienne“.
Eine bunte Mischung, die ankommt: Die Zahl der Besucher stieg um 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr – während die anfängliche Kritik an der programmatischen Beliebigkeit und den fehlenden historischen Bezügen weitgehend verstummt ist. Vorhaltungen, die für Stefan Ottrubay ohnehin kein Thema sind: Seit jeher sei das Schloss „ein Forum für musikalische Begegnungen, für den lebhaften kreativen Austausch“ gewesen, entgegnet der Direktionsrat der Esterházy-Stiftungen. „Mit diesem Festival geben wir nicht nur Eisenstadt und seiner Umgebung, sondern der ganzen Region einen besonderen Impuls.“
Ein Impuls, den der Ort zweifellos brauchen kann, denn jenseits der Sommersaison zieht es bislang kaum Auswärtige in die selbsternannte „kleinste Großstadt der Welt“. Dass die Kultur hier für eine Attraktivitätssteigerung durchaus hilfreich sein kann, hatten einst schon die Esterházys erkannt, als der Fürst Joseph Haydn nach Eisenstadt holte und eng an sein Schloss band. Gut möglich, dass dies auch 200 Jahre später mit Rachlin und seinem Festival noch einmal funktioniert.

Weitere Infos:
www.herbstgold.at

Kunst (be-)greifen

Einst besaßen die Esterhazys die drittgrößte Kunstsammlung im Habsburger Reich – bis der Konkurs die Fürsten Ende des 19. Jahrhunderts zwang, ihre Schätze zu versteigern. Doch vor 15 Jahren haben die Esterhazy Privatstiftungen einen neuen Anlauf unternommen: in Sachen zeitgenössischer Kunst. Ihre Ausstellung „Haydn Explosiv“ 2009 zum 200. Todestag des Komponisten sorgte schon für Aufmerksamkeit, seit 2018 wird die Festspiel-Musik allherbstlich um eine „visuell-haptische Greifbarkeit“ erweitert. Heuer ein modernistisches „Sternenruhefeld“ mit fünf bunten „Sternenlustern“ und Holzbänken auf dem Schlossvorplatz sowie das Fahnen(masten-)Projekt „En Passant“ Manfred Bockelmanns.

Christoph Forsthoff, 01.10.2022, Online-Artikel



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