home

N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Marian Lenhard

Jakub Hrůša

Exzess mit Understatement

Nicht Anleihen an Mahler oder Bruckner, sondern nur den Komponisten selbst will Hrůša bei Hans Rotts 1. Sinfonie zum Klingen bringen.

„Wir haben das einfach aufgenommen. Es war jetzt künstlerisch die Zeit dafür, und die Pandemie hat immerhin für solche Projekte Freiräume gelassen. Natürlich lag es auch nahe, nach unserer bereits mehrjährigen Beschäftigung mit sowohl Gustav Mahlers wie auch Anton Bruckners Sinfonien. Das Label aber war an dem Band sehr interessiert und so feiern wir jetzt dort unser gemeinsames Debüt. Mal sehen, was daraus wird.“
So kann man sich natürlich eine feine Sache auch kleinreden, aber Jakub Hrůša neigt ohnehin eher zum Understatement. Denn so wird man auch gern unterschätzt. Das tut gegenwärtig allerdings niemand mehr, der den erst 41-jährigen Tschechen mit „seinem“ Orchester, den Bamberger Symphonikern, vernommen hat. Und denen ist gerade „solche“ Musik, wie die bis heute als ein seltsamer Dinosaurier im Repertoire stehende 1. Sinfonie in E-Dur von Hans Rott zumindest stilistisch schon immer eine Herzensangelegenheit gewesen. Als ehemalige Deutsche Philharmonie Prag ist ihnen die Musik des deutsch-tschechisch-österreichischen Klangraums besonders nahe. Und der Brünner Hrůša passt dabei nicht nur historisch perfekt in diesen Rahmen.
Längst hat Jakub Hrůša bei allen berühmten Orchestern weltweit seinen Einstand gegeben. Aber noch viel wichtiger: Er wurde immer auch gleich wieder eingeladen. Weil diesen ruhigen, freundlichen, aber nachdrücklichen und sehr professionellen Dirigenten Wichtiges auszeichnet: Zufriedenheit. Spaß am eigenen Tun. Bescheidenheit, aber auch Unbedingtheit in entscheidenden Fragen. Fähigkeit zur Freundschaft. Großzügigkeit ohne viel Aufhebens zu machen. Dabei sind das nicht unbedingt Eigenschaften, um zu einem wirklich geschätzten Dirigenten heranzureifen.
Jakub Hrůša unternimmt augenblicklich aber genau dieses. Ohne Hast und Skandale, ohne überehrgeiziges Taktieren, noch nicht einmal mit einem auf den ersten Blick besonders ausgeprägten Persönlichkeitsstil. Hrůša ist ein Phänomen an aufhorchen lassender Unauffälligkeit. Einer, der sein Ego ganz weit hinten in der Seele angesiedelt hat, es aber durchaus herauszuholen versteht, sehr stur werden kann, wenn ihm etwas nicht passt.
Dabei ist er das rare Beispiel eines Allrounders, der fast alles auf gleich hohem Niveau zu spielen und zu interpretieren versteht. Und der dabei nie Extreme auslotet, sondern den, so weit möglich, objektiven Blick auf eine Partitur wagt. Der niemals routiniert klingt. Ob Jakub Hrůša Beethoven und Haydn, Mendelssohn Bartholdy und Brahms, Tschaikowski und Mahler, Smetana, Dvořák, Janáček, Martinů oder Strauss, Strawinski, Schönberg und Widmann dirigiert oder jetzt Hans Rott – man hat immer und sofort das Gefühl, dass es richtig ist, dass die Proportionen stimmen, dass einer nie überzogene, zu eigenwillige Schlüsse aus dem skrupulösen Partiturstudium zieht.
Die von ihm feingetunten Bamberger Symphoniker können sich freuen, diese inzwischen weltweit gefragte, gerade auch bei den Salzburger Festspielen mit Janáčeks „Káťa Kabanová“ gefeierte Begabung bis mindesten 2026 zu hüten.

Vogelruf und Ländlerzitat

„Man muss Hochachtung vor Rott haben, darf sich aber nicht von seinem Aufwand beeindrucken lassen“, so beschreibt Jakub Hrůša seine Vorgehensweise, dessen 60-Minuten-Opus zu disponieren, den fetten Orchestersatz durchsichtig und klangbiegsam zu halten.
Johann Nepomuk Karl Maria Rott, geboren 1858 in Braunhirschengrund, allzu früh gestorben schon 1884 in Wien, war eine zutiefst tragische Gestalt. Gustav Mahler war in seiner Kompositionsklasse, er war der Orgel- und Lieblingsschüler Anton Bruckners. Trotzdem schied er ohne Diplom und Medaille aus der Kompositionsschule. 1876-78 hatte er eine Organistenstelle an der Wiener Piaristenkirche, widmete sich aber ansonsten seiner Sinfonie in E-Dur. Brahms mochte sie nicht, Dirigent Hans Richter verschob eine in Aussicht gestellte Aufführung aus Zeitgründen. Auch um ein Stipendium hatte Rott vergeblich ersucht.
1880 verließ er Wien, um eine Stelle als Chorleiter in Mülhausen anzutreten. Auf dem Weg dorthin manifestierte sich seine schwere psychische Krankheit – seinerzeit als „halluzinatorischer Irrsinn und Verfolgungswahn“ bezeichnet. Rott bedrohte einen rauchenden Mitreisenden mit dem Revolver, da er überzeugt war, Brahms habe den Waggon mit Dynamit präpariert. Seine letzten vier Jahre bis zum Tuberkulosetod mit 25 verbracht er in diversen psychiatrischen Kliniken. Er komponierte noch fallweise, vernichtete aber auch viele seiner Werke. Hugo Wolf soll Brahms den Mörder Rotts genannt haben.
Rotts durchaus auch an Wagner erinnernde Sinfonie in E-Dur, die er mit 19 Jahren in Angriff genommen und mit 22 vollendet hatte, wurde erst in den Achtzigerjahren in einer Bearbeitung von Paul Banks veröffentlicht und 1989 vom Cincinnati Philharmonia Orchestra uraufgeführt. Mit ihrem organistischen Orchestrierungsverfahren (besonders in den Ecksätzen) erinnert sie stark an Bruckner, nimmt aber auch etwa mit Vogelrufen oder transzendenten Momenten Mahlersche Verfahrensweisen vorweg. Entstanden ist sie gleichzeitig mit dessen Kantate „Das klagende Lied“ – neun Jahre vor der Uraufführung von dessen 1. Sinfonie.
Am deutlichsten wird die Mahler-Übereinstimmung aber im Scherzo: Es ist voller Stereotypen aus Walzern und Ländlern, ja Mahler zitiert aus diesem Satz in den dritten Sätzen seiner 2. und 5. Sinfonie. „Trotzdem haben wir versucht, hier nicht Mahler oder Bruckner zu imitieren, sondern Rott seinen ganz eigenen Klangraum zu geben, meint Jakub Hrůša. „Er fordert freilich vor allem die Bläser so stark, dass ich sie zwischen den Sätzen ausgetauscht habe. Rott war nicht nur sehr ambitioniert – er hatte eine visionäre musikalische Fantasie und schreckte auch nicht davor zurück, mit Konventionen zu brechen. Man fragt sich, was Rott geleistet hätte, wäre sein Leben nicht von so tragischer Kürze gewesen.“

Neu erschienen:

Rott

Sinfonie Nr. 1 E-Dur

Bamberger Symphoniker, Jakub Hrůša

DG/Universal

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Matthias Siehler, 15.10.2022, RONDO Ausgabe 5 / 2022



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Hausbesuch

Opernfestspiele Heidenheim

Hat sich bewehrt

Trotz Corona-Absage ihres regulären Programms haben die Opernfestspiele Heidenheim auch im Juli […]
zum Artikel

Volt & Vinyl

Volt & Vinyl

Wow!

Das Klangprofil leistungsstärkster Orgeln so authentisch wie möglich einzufangen und dann auch […]
zum Artikel

Da Capo

Wuppertal

Als der Wuppertaler Generalmusikdirektor Toshiyuki Kamioka sich vor zwei Jahren zum […]
zum Artikel


Abo

Top