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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Blind gehört

(c) Paul Marc Mitchell

Blind gehört – Chen Reiss

„Na, der kann was erleben!“

Chen Reiss kennt ihre Idole rasch heraus. Und blickt gern über den Tellerrand auf ältere Aufnahmen. Die israelische Sopranistin, geboren 1979 in Herzlia, ausgebildet an der Thelma Yellin High School of the Arts in Giv’atajim (bei Tel Aviv) sowie in New York, debütierte 2002 an der Bayerischen Staatsoper und sang oft an der Wiener Staatsoper. Gegenwärtig konzentriert sie sich auf ihre Konzert-Karriere. Mehrere Solo-Alben erschienen bei Onyx, zuletzt „Fanny & Felix“ mit Liedern von Fanny und Felix Mendelssohn Bartholdy. Mit ihrer Familie lebt sie in London.

Sehr schön. Ich denke, das ist Lucia Popp, ich bin ein großer Fan von ihr. Dieses warme Timbre! Dennoch ist die Stimme instrumental geführt, also ins Orchester integriert. Sie ist überhaupt nicht manieriert, sondern bleibt immer klar, bei schlichter Wahrung der gesanglichen Linie. Frisch auch, die Vokale sind herrlich! Und trotzdem bleibt immer ein leicht slawisches Aroma spürbar. Überhaupt nicht kalt, nicht distanziert oder gar steril. Wunderbar. Im Orchester daneben hört man den goldenen Klang, der für die Wiener Philharmoniker typisch ist. Also wird es wohl die alte Studio-Aufnahme unter Georg Solti sein. Popp ist eines meiner Idole. Gruberová finde ich auch toll. Zwischen den beiden wird wohl auch das liegen, was ich künftig hoffentlich singen werde. Also: Strauss oder Belcanto. Warten wir’s ab.

Humperdinck

„Hänsel und Gretel“ („Suse, liebe Suse“)

Lucia Popp, Brigitte Fassbaender, Wiener Philharmoniker, Sir Georg Solti

Decca/Universal, 1978

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Zu dieser Stelle haben wir in Wien immer getanzt. Zuerst unter William Christie, später mit Chris­tophe Rousset. Nur: Wer singt denn hier? Es gäbe da sicherlich Karina Gauvin. Das hier könnte aber vielleicht eher Lynne Dawson sein. – Händel ist saftig, und hier außerdem sehr expressiv, ohne stilistisch je aus dem Rahmen zu fallen. Lynne Dawson hier singt mit Vibrato, was beim Barockrepertoire heute eher ungewöhnlich ist. Ich mag es sogar lieber so, die Musik kriegt mehr Großzügigkeit. Also, rundheraus: Ich liebe Vibrato. Und Rollen wie diese Ginevra finde ich einfach traumhaft.

Händel

„Ariodante“ („Vezzi, lusinghe, e brio“)

Lynne Dawson, Les Musiciens du Louvre Grenoble, Marc Minkowski

Archiv/Universal, 1997

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Cecilia Bartoli. Übrigens mit einem ganz tollen Pianisten (verdreht die Augen vor Entzücken). Bartoli ist vielleicht meine absolute Lieblingssängerin. Und zwar wegen der Sprache, mit der sie stets kreativ, witzig und originell umgeht. Sie färbt die Wörter in genialer Weise. Ihr Mozart, auch ihr Haydn gehen daher stark unter die Haut – und direkt ins Herz. Den Pianisten kann ich nicht erraten. Charles Spencer, mit dem ich viel zusammengearbeitet habe, ist das jedenfalls nicht. Wir sind sogar befreundet. – Was, doch Charles Spencer?! Nein! Aber diese Aufnahme kenne ich gar nicht. Die hat er mir auch verschwiegen. Na, der kann was erleben! Ein toller Pianist jedenfalls, das stimmt, denn er gibt einem sehr viel Freiheit. Er weiß, schon bevor ich etwas ändere, immer genau Bescheid. In der Nähe von Prag hat er ein Château gekauft. Deswegen begleitet er kaum noch.

Rossini

„La pastorella“

Bartoli, Spencer

Decca/Universal, 1990

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Das ist sehr schwer zu singen. Nicht wegen der Langsamkeit, sondern wegen der dabei unendlich langen Phrasen. Wunderschön macht diese Sängerin das. Nur ein bisschen körperlos. Fast so wie eine Oboe, so instrumental klingt das. Sehr schöne Stimme aber, das muss ich sagen. Auch mühelos. Das muss alles sehr delikat und zart klingen, und diese Stimme kann das. Also, wer hat denn das gut gesungen? Sicherlich Barbara Bonney, aber sie ist es nicht. Man muss total ruhigen Atem behalten bei dieser Musik, und gleichzeitig muss es sauber und präzise bleiben, um zu berühren. Ich weiß, dass auch Mojca Erdmann das sehr schön gesungen hat, aber die es auch nicht. – Ist es doch?! Na, aber …

Mozart

„Zaide“ („Ruhe sanft, mein holdes Leben“)

Mojca Erdmann, La Cetra, Andrea Marcon

DG/Universal, 2010

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Da haben wir jetzt das Schwierigste, was es gibt! Man benötigt ein großartiges Legato, aber auch Leichtigkeit und Beweglichkeit. Sehr schwer ist auch, das richtige Tempo zu finden. Um nämlich weder zu schleppen noch in Hetzerei zu verfallen. Es ist eigentlich Kammermusik, aber jeder Bläser, der einem im Nacken sitzt, hat den Ehrgeiz und die Fähigkeit eines Solisten. Diese Aufnahme hier ist mir fast zu langsam. Aber sehr, sehr schön gesungen. Das ist wieder nicht Barbara Bonney. Sie singt es auf meiner Lieblingsaufnahme. – Margaret Marshall? Ich kenne, ehrlich gesagt, nur den Namen. Ein königliches Timbre. Den Namen muss ich mir merken.

Mozart

„Große Messe c-Moll“ („Et incarnatus est“)

Margaret Marshall, Academy of St Martin in the Fields, Sir Neville Marriner

Philips/Universal, 1979

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Wunderbar, schon wieder eine meiner Lieblingsarien. Nur dass ich leider sagen muss: Bei Tenören bin ich nicht gut. Ich höre hier: eine ausgezeichnete Aussprache. Die Stimme ist für heutigen Geschmack etwas zu nah am Mikrofon aufgestellt. Man möchte heute mehr Raum hören. Der Sänger hat seine Stimme wahnsinnig toll fokussiert. Ich wüsste gern, wie der auf der Bühne geklungen hat. Übrigens: Wer wäre ich, hier irgendwas zu kritisieren?! Damals herrschten andere Ideale, auch die Gesangstechnik wurde anders gelehrt. Nein, ich find’s gut. Und die Stimme ist natürlich sehr besonders. – Richard Tucker? Ich erinnere mich, dass er viel in Israel gesungen hat. Man bevorzugt heute dunklere Stimmen, aber das Helle war gerade für ihn gesund. Mag sein, dass Tucker auch in einer jüdischen Gesangstradition stand, beeinflusst vom Stil der jüdischen Kantoren. Manche sagen, jüdische Musik entwickele sich erst heute. Wenn ich Mendelssohn höre, so höre ich persönlich keine jüdische Musik, sondern deutsche.

Puccini

„Tosca“ („Recondita armonia“)

Tucker, Cleva

RCA/Sony, 1959

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Eine alte Aufnahme. So singt man heute nicht mehr. Wir tun es mit ‚mehr Körper‘. Man hört heute beim Singen auch mehr Luft. Das könnte vielleicht Graziella Sciutti sein? Es hat jedenfalls einen ganz erstaunlichen, vehementen Charme und Witz. Da ist Pfeffer drin. Und das passt zur Rolle der Despina super. Auch das schnelle Tempo, sehr schnell! Es ist unterhaltsam und überaus ausdrucksvoll. Erfrischend. Ich hätte nie gedacht, dass man früher ein so flottes Tempo anschlägt. – Was, Herbert von Karajan?! Und die Solistin ist Lisa Otto? Ich will Ihnen was sagen: Zauberhaft.

Mozart

„Così fan tutte“ („Una donna a quindici anni“)

Lisa Otto, Philharmonia Orchestra, Herbert von Karajan

Warner, 1954

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Das Wienerische – ich habe dort lange genug gelebt – sitzt in der Nase. Die Sprache auch. Hebräisch zum Beispiel sitzt viel tiefer. Wenn ich Hebräisch rede, wird meine Stimme rasch müde. Ich tue es aber trotzdem. Wienerlieder hat mir der österreichische Bass Kurt Rydl immer vorgesungen. Wer ist denn das hier? – Hermann Leopoldi? Ein ganz Berühmter. Auch seine Stimme ist sehr hell. Wienerlieder kann ich nicht singen. Aber den lieben langen Tag gern hören.

Leopoldi

„In einem kleinen Café in Hernals“

Hermann Leopoldi

Preiser/Naxos, 1932

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Robert Fraunholzer, 26.11.2022, RONDO Ausgabe 6 / 2022



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Der Komponist Giacomo Orefice (1865–1922) wuchs in einer jüdischen Familie im norditalienischen Vicenza auf und ist vor allem für sein Opernschaffen bekannt. Auch als Pädagoge macht er sich einen Namen, sein berühmtester Schüler war der Filmkomponist Nino Rota. Orefices bekanntestes Musiktheaterwerk ist „Chopin“, für das er die Klavierwerke des polnischen Komponisten orchestrierte. Seine eigene Klaviermusik umfasst überwiegend romantische Charakterstücke, die von Gedichten, […] mehr


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