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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Trommelt nur barfuss: Die diesjährige Trägerin des Léonie-Sonning-Musikpreises, Evelyn Glennie © James Wilson/sonningmusik.dk

Pasticcio

Schlagkräftige Argumente

Wenn Evelyn Glennie ihre Drums-Sticks wirbeln lässt, löst sie mit ihrer Percussionsartistik beim Publikum stets fassungsloses Staunen und maßlose Bewunderung aus. Weltweit, in den wichtigsten Konzertsälen und auf den bedeutendsten Festivalpodien. Doch auch im Fernsehen hatte die Schottin bereits so manchen legendären Auftritt. Wie im Jahr 2001, als sie in der „Sesamstraße“ dem dauernörgelnden Mülltonnen-Bewohnen Oscar nicht nur zeigte, was man mit zwei kleinen Stöcken so anstellen kann. Sie verriet ihm zudem, wie sie als fast taube Musikerin überhaupt Musik macht: Sie zieht einfach die Schuhe aus und kann barfuss damit die Vibrationen selbst der komplexesten Rhythmen fühlen und verarbeiten.
Im Laufe der letzten drei Jahrzehnte hat sich Glennies Körper so zu einem derart hochsensiblen Resonanzkörper entwickelt, dass sie die irrwitzigsten und komplexesten Schlagzeug-Partituren mit geradezu spielerischer Leichtigkeit hinlegt. Und auf welchem Niveau sie ihr riesiges Percussion-Equipment beherrscht, verdeutlicht alleine die illustre Liste von Musikern, mit denen sie inzwischen zusammengearbeitet hat. So trat sie mit Pultlegende Georg Solti genauso auf wie mit der isländischen Pop-Sirene Björk oder dem Avantgarde-Jazzgitarristen Fred Frith.
Dass es die seit ihrem 8. Lebensjahr nahezu taube Musikerin soweit geschafft hat, liegt aber auch an ihrer früh ausgebildeten Willensstärke. Als sie sich 1982 im Alter von 17 Jahren um einen Studienplatz an der altehrwürdigen Londoner Royal Academy of Music bewarb, musste sie gleich drei Mal die Aufnahmeprüfung hinlegen. Die Jury wollte ihr einfach nicht ihre Schwerhörigkeit abnehmen. 1985, nach nur drei Jahren, machte Glennie ihren Abschluss mit Auszeichnung. Und schon 1989 bekam sie den ersten Grammy für ihre Einspielung von Bartóks „Sonate für zwei Klaviere und Percussion“ verliehen.
Mittlerweile stehen 40 weitere CDs zu Buche. Und wenn Glennie nicht gerade Repertoireklassiker etwa von Steve Reich spielt, hebt sie regelmäßig für sie komponierte Werke aus der Taufe. Fast 200 Kompositionen sind inzwischen zusammengekommen. Und dazu gehört etwa auch James MacMillans „Veni, Veni Emmanuel“ für Schlagzeug und Orchester, das sie am 15. Juni 2023 im Rahmen eines besonderen Konzerts im Kopenhagener Konserthuset spielen wird. Denn an diesem Abend wird Glennie mit dem renommierten „Léonie Sonning Musikpreis“ ausgezeichnet. Damit steht sie aber nicht nur in einer Reihe mit zahllosen, weiteren prominenten Preisträgern, zu denen etwa Igor Strawinski, Yehudi Menuhin und Pierre-Laurent Aimard gehörten. Zum ersten Mal darf sie sich dann auch als Millionärin bezeichnen – dank des stolzen Preisgeldes von einer Million dänischer Kronen.

Guido Fischer



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