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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Stephan Rabold

Seong-Jin Cho

Händels Geist

Auf seinem ersten Ausflug in die Welt des Barock kombiniert der Pianist Musik von Georg Friedrich Händel mit Variationen von Johannes Brahms.

Sein Triumph beim Internationalen Chopin-Wettbewerb bedeutete 2015 den Durchbruch für Seong-Jin Cho. Gleichzeitig schien dadurch aber für viele der künftige Weg des koreanischen Pianisten vorgezeichnet. Und folgerichtig war auch sein Debüt bei seinem neuen Exklusivlabel gleich Frédéric Chopin und dessen erstem Klavierkonzert gewidmet, dem nach Ausflügen zu Debussy oder Mozart zuletzt noch die Nummer zwei folgte.
Nun geht es für den Koreaner allerdings in neue Klangsphären. „The Handel Project“ vereint drei Stücke aus den acht „Suites de pièces pour le clavecin“ von 1720 mit Variationen aus der Feder von Johannes Brahms, der den barocken Meister aus der Sicht seiner Epoche neu beleuchtete. Für Cho eine Kombination, die interessante Reibungsenergien freisetzt. Nicht zuletzt dadurch, dass er beide Komponisten auf einem modernen Konzertflügel interpretiert. „Ich wollte mich schon lange intensiver mit der Musik des Barock beschäftigen. Vor allem mit Bach. Das ist der Mount Everest, den jeder Pianist erklimmen möchte. Aber um ehrlich zu sein, dafür fühle ich mich im Moment noch nicht bereit.“ Und so wurde nun Händel zur ersten Etappe auf dieser Entdeckungsreise. Seine Suiten entdeckte Seong-Jin Cho vor etwa zwei Jahren und ließ sich von der Schönheit dieser Stücke sofort gefangen nehmen. Umso unverständlicher ist es für ihn, dass Händel – ganz im Gegensatz zu Bach – bei Klavierabenden nur selten aufgeführt wird und meist eher in den Händen von Originalklang-Spezialisten liegt. „Bei Bach haben wir uns daran gewöhnt, dass man ihn sowohl auf dem modernen Konzertflügel als auch auf alten Instrumenten spielt. Warum also nicht auch Händel? Ich hoffe, dass es mir gelingt, diese Stücke bei einem breiteren Publikum bekannt zu machen und auch andere Pianistinnen und Pianisten anzuspornen, sich mehr mit ihnen zu beschäftigen.“ Quasi in den Fußstapfen von Swjatoslaw Richter, der bereits in den 1970er Jahren damit begonnen hatte, neben Bach oder Scarlatti auch Händel erfolgreich in seine Recitals aufzunehmen.
Und selbst, wenn Händels Schaffen für Tasteninstrumente, das er zwischen 1720 und 1733 in zwei Bänden veröffentlichte, im direkten Vergleich weniger umfangreich ausfallen mag, war die Auswahl für Chos neue Album dennoch ein längerer Prozess. „Ich habe mir zuerst die Noten besorgt und alle Suiten komplett zu Hause durchgespielt. Die drei, die es auf das Album geschafft haben, waren einfach diejenigen, die mich von Anfang an am meisten berührt haben. Vor allem die Suite Nr. 8 in f-Moll. Sie ist wahrscheinlich eines der dramatischsten Stücke der Sammlung, das ich unbedingt ins Programm aufnehmen wollte.“

Von der Strenge zur Freiheit

Mindestens ebenso wichtig war natürlich die Wahl des richtigen Instruments. Ganze fünf Flügel wurden im Vorfeld der Aufnahmen in Berlin von Cho getestet. Zusätzlich zu einem kurzen Versuch auf dem Cembalo, der allerdings eher dazu diente ein Gefühl dafür zu bekommen, welchen Klang Händel beim Komponieren der Suiten im Ohr hatte. „Vielleicht wage ich mich später irgendwann auch einmal ans Cembalo oder an den Hammerflügel. Aber das ist noch einmal eine ganz andere Welt. Ich versuche einfach das barocke Gefühl auf mein Instrument zu übersetzen. Ein moderner Flügel gibt einem, was die Dynamik betrifft viel mehr Optionen. Diesen Vorteil versuche ich für meine Interpretation zu nutzen.“
Chos Entscheidung ist dabei keineswegs als Opposition gegen die historische Aufführungspraxis zu verstehen. Im Gegenteil, gerade die Einspielungen mit Originalklang-Spezialist Trevor Pinnock am Cembalo gelten ihm als absolut maßstabssetzend. Doch dies wertet eine moderne Perspektive nicht ab. „Händels Musik lässt uns viele Möglichkeiten. Man kann ihn sogar romantisch gestalten und mit dem Einsatz des Pedals spielen. Ich verurteile niemanden, der das tut. Aber ich habe stattdessen versucht, ganz aufs Pedal zu verzichten, weil es das beim Cembalo eben nicht gibt und es sich für mich so einfach richtiger anfühlt.“
Ein wichtiger Gesprächspartner war ihm hierbei auch Cembalist Sebastian Wienand, mit dem er sich in Basel austauschte. „Ich bin kein Barockspezialist und habe von ihm in dieser Hinsicht viel gelernt, gerade was die Verzierungen angeht. Die Barockmusik ist einerseits sehr streng, lässt einem andererseits aber auch viele Freiheiten. Da gibt es genaue Regeln, was zum Beispiel das Tempo einer Gavotte oder eines Menuetts betrifft, doch die dynamischen Angaben sind viel sparsamer als etwa bei Beethoven. Und nur weil es vielleicht weniger Noten sind als bei Liszt oder Rachmaninow, macht das die Sache nicht einfacher. Ganz im Gegenteil.“
Ähnlich respektvoll spricht der Koreaner über Brahms’ „Händel-Variationen“, die das Album abrunden. Wobei er den im ersten Überschwang geäußerten Ausspruch, es handle sich um „die besten Variationen, die je geschrieben wurden“, schnell wieder ein wenig relativiert. „Sagen wir lieber, es ist mein persönlicher Favorit. Was nichts daran ändert, dass ich auch die Goldberg- oder die Diabelli-Variationen wahnsinnig schätze. Aber was Brahms hier gelungen ist, ist tatsächlich etwas ganz Besonderes. Sogar Richard Wagner hat sich lobend da­rüber geäußert. Und dies, obwohl wir wissen, dass er für Brahms sonst nicht viel übrighatte.“ Wer will ihm bei solch prominenter Rücken­deckung widersprechen? Dass der Bearbeiter dem Original treu bleibt, steht für Cho dabei außer Frage. „Es mag sein, dass es am Ende etwas mehr nach Brahms als nach Händel klingt. Aber ich finde, es gelingt ihm sehr gut den Geist des Originals zu bewahren und gleichzeitig seine eigene Persönlichkeit zu zeigen.“ Ein Spagat, den auch Seong-Jin Cho als Interpret zu bewältigen hatte, und der ihn in beiden Hälften des Albums neue Aspekte entdecken ließ. Der erste Schritt ist also getan und Bach vielleicht ein wenig näher gerückt.

Neu erschienen:

Georg Friedrich Händel, Johannes Brahms

„The Handel Project“

Seong-Jin Cho

DG/Universal

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Tobias Hell, 11.02.2023, RONDO Ausgabe 1 / 2023



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