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N° 1297
18. - 24.03.2023

nächste Aktualisierung
am 25.03.2023



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(c) Simon Fowler

Philippe Jaroussky 

Zärtlicher Wahnsinn

Auf ihrem neuen Album widmen sich der Countertenor und Christina Pluhar einer reizvollen Gattung der französischen Barockmusik.

Nein, diesmal möchte Philippe Jaroussky nicht in der aufgewühlten Dramatik des barocken Opernrepertoires baden, die vielen Fans dank seiner Stimme erst so richtig prickelnd erscheint. Auch wenn der Titel des neuen Albums „Passacalle de la Follie“ (Passacaglia des Wahnsinns) an Raserei, eifersüchtiges Augenrollen und unkontrollierbares Koloraturenfeuerwerk denken lässt, steht hier die Sanftmut im Vordergrund: Das Thema, das sich Frankreichs prominentester Countertenor und seine musikalische Mitstreiterin Christina Pluhar ausgesucht haben, ist die so genannte Air de Cour, eine besondere Form des französischen Kunstlieds, die Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts in Mode kam und besonders die Hofhaltung Ludwigs XIII. mit zärtlich schmeichelnden Klängen durchzog. Dem jungen Sonnenkönig sollen sie gar den Schlummer versüßt haben. In intimer Begleitung der Laute oder kleiner Instrumentalensembles handelten diese schlicht gehaltenen Arien meist von der Liebe und den damit zusammenhängenden Gefühlen, garniert mit höfischen oder pastoralen Szenen. Einige Komponisten spezialisierten sich sogar auf dieses Genre. Ihre Namen, etwa Pierre Guédron, Antoine Boësset oder Michel Lambert, finden sich auch auf dem Album.
„Ich möchte eine neue Richtung einschlagen, weg von den virtuosen Opernrollen hin zu etwas einfacherem“, sagt Philippe Jaroussky – ein Weg, den er bereits zuvor mit Projekten wie dem französischen Lieder-Album „Green“ (2015) beschritten hatte. Die Airs de Cour spukten ihm schon vorher im Kopf herum. In Christina Pluhar, Lautenistin, Harfenistin und Leiterin des für seine Musizier- und Improvisierlust bekannten Alte-Musik-Ensembles L’Arpeggiata, fand Jaroussky eine willige Abnehmerin für seine Idee, ein Album daraus zu machen. Nicht das erste, das die beiden in gemeinsamer Arbeit während intensiver Nachmittagssitzungen ausbaldowert haben. „Ich liebe diese Treffen mit Christina zu Hause bei Tee und Kuchen“, sagt der Sänger, der sich immer wieder beeindruckt zeigt von der Spürnase der Ensembleleiterin für vergessene Schätze der Musikgeschichte. Aber auch ihre unkonventionelle, bei aller historischen Informiertheit von Aufführungspraktiken der Jazz- und Popmusik beeinflusste Herangehensweise an die Musik kommen seiner Neugier und Experimentierfreudigkeit entgegen.
„Das Album ist auch so etwas wie ein Geschenk zu unserem Jubiläum“, sagt Philippe Jaroussky. „Wir arbeiten nun schon seit 20 Jahren zusammen, und wir kennen uns schon seit mindesten 25 Jahren.“ Mit „Passacalle de la Follie“ möchten die beiden Partner ihren bisherigen gemeinsamen künstlerischen Weg feiern, wenn auch nicht auf die laute, sondern auf die feinsinnige und intime Weise. Wer weiß, welche Ideen sie bei ihren nächsten Sitzungen im Pariser Zuhause von Christina Pluhar aushecken? Einen kleinen Hinweis gibt Jaroussky zum Schluss. „Ich möchte gerne einmal etwas Spanisches machen, weil ich die Sprache liebe und selber fließend spreche.“ Das fordert die Zusammenarbeit mit einer polyglotten Musikerin wie Christina Pluhar ja geradezu heraus.

Erscheint am 17. Februar:

Pierre Guédron, Antoine Boësset, Étienne Moulinié u.a.

„Passacalle de la Follie“

Philippe Jaroussky, L’Arpeggiata, Christina Pluhar

Erato/Warner

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Stephan Schwarz-Peters, 25.02.2023, RONDO Ausgabe 1 / 2023



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