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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Tobias Schwerdt

Heidelberger Frühling

Kommt zusammen

Am Neckar geht der Heidelberger Frühling in sein 27. Erfolgsjahr, nun mit Igor Levit als Co-Künstlerischem Leiter. Und passendem Motto: „Zusammen“.

Bald ist es so weit: Am Neckar blühen wieder die Bäume und in diversen städtischen Spielstätten wehen zwischen dem 17. März und dem 15. April 2023 das blaue Band – und die grüne-Logo-Fahne des Heidelberger Frühlings. Das wunderbar erblühte und gewachsene Musikfest konnte letztes Jahr – nach zwei wegen der Pandemie ausgefallenen Jahrgängen – erfolgreich 25-jähriges Bestehen und seine 26. Saison feiern. Doch hier wird nicht gerastet. Hier wird immer auch in die Zukunft geschaut, denn nach dem Festival ist schließlich immer vor dem Festival!
Gründer und Langzeitintendant Thorsten Schmidt bettet sich eben nicht auf durchaus vorhandene Lorbeeren, sondern will den Frühling fit für sein Morgen machen. Dafür wartet er dieses Jahr erstmals mit einer bereits verkündeten Neubesetzung auf, die doch im Grunde einen jahrelangen Vorlauf hatte und sich bereits organisch entwickeln konnte: Igor Levit wird Co-Künstlerischer Leiter des Festivals.
Dem seit langem international erfolgreichen Pianisten hat die Pandemie zwar viel Zeit zum Nachdenken, auch zum sich Neuerfinden gelassen, er hat in dieser Zeit aber mit seinen Hauskonzerten via Handy und Twitter (die inzwischen sogar in Buchform ihre Betrachtung fanden) auch seine Popularität enorm steigern können. Das kann den Festspielen freilich nur recht sein. Denn Levit ist seit vielen Jahren eng mit dem Heidelberger Frühling verbunden. Seit 2011 tritt er regelmäßig als Künstler im Festival auf, 2013 war er Artist in Residence. Die programmatische Arbeit des Festivals hat er in der Vergangenheit als Künstlerischer Leiter der Kammermusik Akademie sowie als Kurator des Kammermusikschwerpunkts „Standpunkte“ bereits in Teilen mitgestaltet.

Klangräume für Kontroverses

Und so resümiert der Pianist den neuen Schritt: „Der Heidelberger Frühling ist für mich ein Freiheits- und Lernort. Für Künstlerinnen und Künstler genauso wie für das Publikum. Ich verdanke dem Heidelberger Frühling einen Gutteil meines künstlerischen Selbstverständnisses. Hier wurde mir von Anfang an das Vertrauen geschenkt und die Sicherheit gegeben, die mich als Künstler haben wachsen lassen. Anderen Musikerinnen und Musikern solche Chancen zu eröffnen, das gehört für mich zum Kern meiner neuen Aufgabe als Co-Künstlerischer Leiter des Heidelberger Frühlings.“
Und auch Thorsten Schmidt ist ganz offen: „Igor Levit steht wie kaum ein anderer Künstler für die Gründungszielsetzungen und die Vision des Heidelberger Frühlings. Im Mittelpunkt seiner wie unserer Arbeit stehen in erster Linie der Mensch, die Überwindung der Grenze zwischen Bühne und Publikum und die Frage nach der Rolle der Kunst in unserer Gesellschaft. Mit dem Zusammengehen zweier Generationen in der künstlerischen Leitung, den unterschiedlichen Perspektiven, Herangehensweisen und Erfahrungen, möchten wir die kommenden Jahre des Festivals gemeinsam gestalten und prägen.“
Und so lag es natürlich nahe, dass das Motto des Heidelberger Frühlings 2023 „Zusammen“ lautet. Und das soll auch noch die nächsten vier Jahre weiterwirken. Denn es bezieht sich natürlich auf den allgemeinen Weltenzustand aus Post-Pandemie, Inflationen, Kriegsgefahr, Klimawandel und Diversitätsbemühungen. Aber es meint natürlich auch das Zusammenspielen und – wirken, wie es die Komponisten für ihre Kunstwelten erdacht und erhört haben. „Aus lauter Ichs formen wir ein Wir und nennen es Gesellschaft“, so sieht Igor Levit diesen nicht nur auf das Musikalische beschränkten Prozess.
Und Schmidt wird schärfer: „Das neoliberale Paradigma, das vornehmlich an individueller Bedürfnismaximierung ausgerichtet ist, funktioniert nicht mehr. Probleme sind nur gemeinsam zu lösen.“
„Die zentrale Aufgabe eines Festivals ist es ja,“ findet Thorsten Schmidt, „über alles, was wir tun, also über Programme, über die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler, über Begegnungsmöglichkeiten im Umfeld der Veranstaltungen, Kommunikationsräume zu schaffen, in denen Erlebtes nachklingen und teils kontrovers diskutiert werden kann. Wir schaffen also einen Mikrokosmos auf Zeit, der eine soziale Gemeinschaft gestaltet.“
83 Konzerte an 25 Spielorten stehen diesmal auf dem Programm. 12 davon sind als Stadtteil-Konzerte des sich neuformierenden Festivalcampus-Ensembles kostenfrei. Zu Gast bei der 27. Ausgabe sind Künstlerpersönlichkeiten wie Asmik Grigorian, Kirill Gerstein, Vilde Frang, Renaud Capuçon, Jan Lisiecki, Nikolai Lugansky, Kian Soltani, Thomas Quasthoff, Antoine Tamestit, Péter Eötvös oder Veronika Eberle sowie international renommierte Ensembles und Klangkörper wie das Gringolts Quartet, Cuarteto Casals, Quatuor Diotima, Collegium 1704, die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, das Mozarteumorchester Salzburg, Manchester Collective, Aurora Orchestra oder das B’Rock Orchestra.
Das Festival ist außerdem seit jeher sowohl Plattform, Aktionsfläche als auch Schutzraum für den künstlerischen Nachwuchs. Zum ersten Mal in der Festivalgeschichte wird mit dem Festivalcampus-Ensemble ein eigenes Ensemble zusammengestellt. Mit „Ligeti 100“ widmet man dem Komponisten, der 2023 seinen 100. Geburtstag feiert, einen zweitägigen Festivalschwerpunkt. Das Format „Carte Blanche für …“ überträgt das erfolgreiche Prinzip von Igor Levits digitalen Hauskonzerten im Jahr 2020 ins analoge Festivalprogramm. Den Heidelberger Frühling Musikpreis 2023 erhält der Schlagzeuger Martin Grubinger, der Ende der Saison seine Karriere beenden wird.
Und noch einmal soll Igor Levit zu Wort kommen: „Ich empfinde den Heidelberger Frühling als Geschenk in meinem Leben. Nun schenke ich dem Festival etwas von mir und wir schenken gemeinsam etwas dem Publikum.“

Weitere Infos und Tickets:
www.heidelberger-fruehling.de

Matthias Siehler, 11.02.2023, RONDO Ausgabe 1 / 2023



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