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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Medien · Unterm Strich

Unterm Strich

Ramsch oder Referenz?

CDs, vom Schreibtisch geräumt.

Was Liedgesang anbelangt, arbeitet Matthias Goerne seit ein paar Jahren mit jungen Starpianisten zusammen, mit Daniil Trifonov, Jan Lisiecki oder Seong-Jin Cho. Warum? Weil sie „einfach besser Klavier spielen“, so erklärte er im Interview mit dem Magazin VAN. Die technische Herangehensweise sei anders, auch gebe es „Stücke, die Liedpianisten nur mit Tricks schaffen.“ Welche das sind, wüsste man gern genauer, und auch, wie gestandene Liedpianisten dazu stehen. Einer von ihnen, ­Alexander Schmalcz, Professor für Liedgestaltung in Leipzig, hat nun, eigens für Goerne, neunzehn Lieder von Franz Schubert für Orchester arrangiert – ohne Klavier (DG/Universal). Die Idee, Schubert zu bearbeiten, ist nicht neu, doch diese Umsetzung beeindruckend gelungen. Sie verhilft dem Lied zu einem farbigen, opernhaften Kostüm. Holt der Tod das Mädchen, dröhnt die Posaune, schreckt der Erlkönig das Kind, schlägt die Pauke drein, eng schmiegen sich die Streicher dem weich zerfließenden Legato des Sängers an, wenn der sich der Einsamkeit ergibt. Die manierierten Verschattungen dieser Spezialbaritonstimme, der kleine Goerne-Knödel und die wie ein Betroffenheits-­Stilmittel herausgestellten Atemgeräusche:
alles da. Alles wunderfein eingebettet von der ­Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Man muss nicht, man kann es lieben.

Franz Schubert

„Schubert Revisited“

Matthias Goerne, Deutsche Kammerphilharmonie Bremen

DG/Universal

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Auch unter den Interpreten der Alten Musik wird Interpretation inzwischen gern als Lizenz zur Bearbeitung aufgefasst. Eine „neue Version“ von W. A. Mozarts Violinkonzerten KV 216, KV 218 und KV 219 präsentiert das Freiburger Barockorchester (Aparté/hm-Bertus). Neu und ungewöhnlich: Hier spielt auch ein Hammerflügel mit. Nicht Gottfried von der Goltz, der Solist, leitet die Sache von der Violine aus. Vielmehr firmiert der Pianist Kristian Bezuidenhout als Dirigent, er spielt quasi das Continuo, was, wie der Plattentext verkündet, „in accordance with practices of the time“ geschehe. Welche Praxis das sein soll? Auch das wüsste man jetzt gerne genauer.

Wolfgang Amadeus Mozart

Violinkonzerte Nr.3–5

Kristian Bezuidenhout, Freiburger Barockorchester, Gottfried von der Goltz

Aparté/hm-Bertus

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Früher dienten Bearbeitungen dazu, großformatige Werke in kleinen Hausmusik-Portionen unter die Leute zu bringen. Richard Wagner, zum Beispiel, arrangierte um 1840 im Auftrag des Musikverlegers Schlesinger die Donizetti-Oper „La favorite“ für zwei Violinen, mit Text. Heute, im allmählich sich verflüssigenden Tonkonservenzeitalter, wächst die Lust auf originelle Bearbeitungen offenbar zeitgleich mit der Unlust am Kanon der Originale. Verkehrte Welt! Für das Podium Festival in Esslingen haben der Geiger Mathieu van Bellen und der Pianist Mathias Halvorsen eine komplette Oper für sich umgeschrieben und eingespielt, mit Furor und viel Witz. (Backlash Music/Eigenvertrieb) Leider muss man aber auch sagen: So bildlos, textlos, auf CD oder als Download/Stream gehört, macht dieser wahrhaft hochvirtuose Melodienreigen alsbald schlapp und müde. Er entfaltet seine schlagerparadenartigen Reize offenbar nur für diejenigen, die Giacomo Puccinis „La bohème“ in- und auswendig kennen. Allen anderen fehlt etwas.

Giacomo Puccini

„La bohème“

Mathias Halvorsen, Mathieu van Bellen

Backlash Music/Eigenvertrieb

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Eine der innigsten Klagen, die je ein Komponist einem toten Kollegen zu Ehren anstimmte, ist „Ye Sacred Muses“, komponiert von William Byrd für Thomas Tallis. Der Song hat ein offenes Ende, er mündet in die Worte: „… with tears in eyes: Tallis is dead. And music dies …“ Als Byrd selbst starb, hochbetagt, am 4. oder 6. Juli 1623, fand sich niemand, der diesem Großmeister der katholischen Kirchenmusik im anglikanischen Tudor-England einen musikalischen Nachruf schrieb. Zumindest ist nichts dergleichen überliefert. Jetzt haben The King’s Singers ein Epitaph in Auftrag gegeben, bei James MacMillan. Diese Ersteinspielung sowie die einer weiteren Elegie auf den genialen, eher erfolglos gebliebenen Thomas Weelkes, der wie Byrd vor vierhundert Jahren starb, bilden das Zentrum dieses hinreißend musizierten Albums mit den schönsten Vokalwerken von „Tom & Will“ (Signum Classics/Note 1), wozu sich instrumentaliter das preiswürdige Ensemble Fretwork gesellt: ein Festival der Durchgangsdissonanz, traurig und tröstlich zugleich.

William Byrd, Thomas Weelkes, James MacMillan, Roderick Williams

„Tom & Will“

King’s Singers, Ensemble Fretwork

Signum Classics/Note 1

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Eleonore Büning, 18.02.2023, RONDO Ausgabe 1 / 2023



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