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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Martha Argerich spielt Schumanns Klavierkonzert im KKL (c) Philipp Schmidli

Le piano symphonique

Luzerner Winterfreuden

Dieses Festival lockt Stars und Wunderkinder an den malerischen Vierwaldstättersee.

„Rings die Herrlichkeit der Welt“, seufzte euphorisiert Johann Wolfgang von Goethe, als der Dichterfürst vor bald 250 Jahren den (Rund-)Blick vom Rigi-Bergmassiv über die Alpen und den Vierwaldstättersee bis nach Luzern schweifen ließ. Doch auch umgekehrt ist die Sicht von der Seeuferpromenade der 80 000-Einwohnerstadt ein kleiner großer Traum, zumal winters, wenn die gesamte Elite der Schweizer Berge zumindest Schneekappen, wenn nicht gar -mäntel trägt und an kristallklaren kalten Tagen einen Zauber ausstrahlt, der auch an ihrem Fuße das Leben in den lichtgeschmückten Gassen mit ihren prachtvollen historischen Gebäuden erfasst. Und wer dann noch das Glück hat, solch atemberaubende Bilder zu kombinieren mit erfüllenden Hörerlebnissen im unmittelbar am See gelegenen, in seinen kubisch-eleganten Konstruktionsformen auch architektonisch beeindruckenden Kultur- und Kongresszentrum (KKL), wähnt sich wahrlich in der herrlichsten aller Welten …
Gut möglich, dass auch Numa Bischof Ullmann diese winterlichen Reize für potenzielle Konzertbesucher im Hinterkopf hatte, als sich der Intendant des Luzerner Sinfonieorchesters vor zwei Jahren entschloss, ein neues Klavierfestival in der Stadt am See aus der Taufe zu heben – und zwar nicht des Sommers in der touristischen Hochsaison, sondern in der kalten Jahreszeit. Seine ungewöhnliche Idee: Anstatt „sein“ Orchester bei solch einem Tastenfest „auszuklammern“, machte er es zum Thema – „schließlich sind ja alle unsere Sinfonien auf der Tastatur entstanden: Nun kehren wir zurück zu ihrem Ursprungsort.“ Der KKL-Verwaltungsrat war angetan von dem Konzept, Bischof Ullmann bekam den Zuschlag und nach einem ersten Probelauf im November 2021 und der Premiere im vergangenen Februar fand heuer nun in der zweiten Februarwoche bereits die dritte Ausgabe von „Le piano symphonique“ statt – der Name ist Programm. „Wir hatten eine unglaubliche Woche sowie unglaubliche Resonanz.“ In der Tat waren nicht nur die Säle des KKL voll, auch die Stimmung war nicht zuletzt ob des Wintersonnenwetters im Publikum wie unter den Künstlern prächtig – und wo sonst gesellt sich eine Jahrhundertpianistin wie Martha Argerich unter die Besucher, um ihrer jungen Kollegin Khatia Buniatishvili zu lauschen, wie die Georgierin mit dem Orchester der französischen Schweiz unter Jonathan Nott ohne große interpretatorische Verrenkungen Peter Iljitsch Tschaikowskis erstes Klavierkonzert mit prickelnder Rhythmik versah.

Freundschaftsdienste

Doch natürlich war „La Martha“ nicht zum Hören nach Luzern gekommen: Vielmehr war Bischof Ullmann ein kleiner Konzert-Coup gelungen, hatte der Intendant doch die wieder genesene 81-Jährige gleich für zwei Abende verpflichten können. Ehrensache in doppelter Hinsicht war ihr Auftritt mit dem Hausorchester für Robert Schumanns Klavierkonzert, denn durch dessen Empfindungswelten vermag wohl niemand so farb- und schattierungsreich – und all das scheinbar mühelos – zu wandeln wie die Argerich. Der Geist der Freundschaft hingegen lag über ihrem zweiten Abend im KKL: Erst in Schumanns „Dichterliebe“, als die Pianistin in die seltene Rolle der Liedbegleiterin für den Bariton Thomas Hampson schlüpfte und dem Publikum schon vor der Pause eine Sternstunde in Sachen Klangsinnlichkeit und Poesie auf den schwarz-weißen Tasten bescherte. Und hernach mit Mischa Maisky, mit dem die Argentinierin seit bald 50 Jahren eine schon symbiotische Künstlerfreundschaft verbindet, was Frédéric Chopins Cellosonate ebenso zu einem Geistesblitz-Gewitter werden ließ wie Schumanns Fantasiestücke zu einem Ausflug in romantisch-versponnene Traumwelten.
Dass das kongeniale Duo damit auch dem diesjährigen Fokus-Komponisten des Festivals huldigte, geriet da fast zu Nebensache – ganz im Sinne Bischof Ullmanns, der sich in puncto Dramaturgie denn auch nicht für ein Programm ohne Schumann „entschuldigen müssen möchte: Es muss nicht alles gespielt sein aus seinem großen Werkskanon“. Vielmehr geht es dem 52-Jährigen um Kontraste, Ausstrahlung und künstlerische Entwicklungen: Dafür schickte der gebürtige Baseler dann auch schon mal einen Barock-Interpreten wie den französischen Cembalisten Jean Rondeau für dessen Recital in ein ehemaliges Schwimmbad oder bot einstigen Wunderkindern wie dem 18-jährigen Israeli Yoav Levanon eine Virtuosen-Bühne im selten gespielten Klavierkonzert Ignacy Jan Paderewskis. „Bei einem Festival sollte es gelingen, es in einem kompakten Zeitraum lodern zu lassen – im besten Fall entsteht dann ein musikalischer Rausch.“ Ein gepflegter Rausch, eben auf Schweizer Art: Doch was will der Klassikfreund mehr inmitten all der Herrlichkeit dieser Welt?!

www.sinfonieorchester.ch/de/klavierfestival-le-piano-symphonique/

Tastenlöwenkäfig

Belebt Konkurrenz das Geschäft? Bischof Ullmann lächelt: „Wenn es am Ende ein erfolgreiches Klavierfestival gibt und ein gut besuchtes Klavierfest, ist das gut für die Musik.“ Ganz der Schweizer Diplomat – und der würde nie öffentlich gegen die lokalen Wettbewerber des Lucerne Festivals sticheln, die Mitte Mai ein eigenes neues Tasten-Event aus der Taufe heben, kuratiert vom allgegenwärtigen Igor Levit. Nachdem eben diese Musikfestspiele noch 2019 im Zuge einer „Reform“ ihr seit zwei Jahrzehnten bestehendes Piano-Festival gestrichen hatten … Doch aus Fehlern lässt sich lernen – und im besten Fall wird Luzern am Ende sogar noch zur Schweizer Hauptstadt des Klaviers.

Christoph Forsthoff, 25.02.2023, Online-Artikel



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