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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Ruben Bañol

Kammerorchester Basel

In eigener Sache

Mit künstlerischer Selbstbestimmung hat sich das Schweizer Orchester ein Profil erarbeitet, das ausgewählte Regionen von Alter mit Neuer Musik verschränkt.

Marcel Falk ist Direktor des Kammerorchesters Basel, ich erreiche ihn per Zoom-Call im heimischen Basel, wo es kalt und für Anfang März noch sehr winterlich ist.

RONDO: Herr Falk, wie ist das Kammerorchester Basel organisiert?
Marcel Falk: Wir sind ein relativ partizipativ angelegtes Orchester, das in den 1980er Jahren gegründet wurde. Wir pflegen eine hohe Selbstbestimmung, auch im programmatischen Bereich, und zwar in der künstlerischen Planungskommission. Die Musiker sind im Prinzip in alle Entscheidungsgremien eingebunden und es findet permanent eine transparente Kommunikation statt. Wir haben eine sehr hohe Mitbestimmung etabliert, aber ich rede bewusst nicht von Basisdemokratie, sondern eher von Partizipation.

Wie würden Sie den künstlerischen Anspruch des Ensembles beschreiben?
Der Gründungsgedanke zeigt sich bis heute in einer besonderes energetischen Musizierhaltung, in der Spiellaune, die wir hegen und pflegen. Woran wir permanent arbeiten, ist, gemeinsam als Ensemble immer eine mindestens gute und vor allem mitreißende Performance auf der Bühne hinzulegen, auch im Aufnahmestudio.

Sie haben keinen Chefdirigenten, dafür aber regelmäßig Residenzkünstler?
Genau, keinen Chefdirigenten, aber wir installieren einflussreiche Persönlichkeiten, wie etwa unseren Principal Guest Conductor Giovanni Anto­nini, der uns seit mittlerweile 20 Jahren sehr eng begleitet und in der Musizierhaltung künstlerisch geprägt hat. Mit ihm haben wir alle Beethoven-Sinfonien erarbeitet, und damit internationale Resonanz erreicht. Und nicht zuletzt in Dutzenden von Konzerten auf die Bühnen gebracht in ganz Europa.

Was steht derzeit alles an mit Giovanni Antonini?
Ein besonders herausforderndes Projekt ist das Haydn 2032 Projekt, das wir seit acht Jahren verfolgen: Wir haben damit das Privileg, im Wechsel mit Antoninis Ensemble Il Giardino Armonico bis zum Jahr 2032 alle 107 Haydn-Sinfonien einspielen zu dürfen. Das ist eine ganz tolle Geschichte, vor allem, was die Stilbildung angeht, ein permanentes Entwickeln am Beispiel eines Komponisten, an dem wir uns über einen langen Zeitraum abarbeiten können.

Dann ist Antonini ein besonders prägender Dirigent für das Ensemble?
Es ist eine sehr eigene Handschrift entstanden in den letzten Jahren, die Zusammenarbeit mit ihm gibt eine bestimmte Richtung vor. Ohne ihn sind wir auch erkennbar, aber er hat schon eine wichtige Rolle gespielt.

War es schon bei der Gründung in den 1980er Jahren klar, dass das Orchester sich an der historischen Aufführungspraxis orientiert?
Das war überhaupt nicht klar, wir haben uns 1984 gegründet und waren etwa 20 Jahre lang eher im regionalen und überregionalen Bereich unterwegs, solide, aber nicht sonderlich spektakulär. Seit Anfang der 2000er Jahren haben wir dann einen ganz großen Schritt nach vorne gemacht, als wir erstmals mit Christopher Hogwood zusammengearbeitet haben, das hat uns wichtige Türen geöffnet. Dann kam eins zum anderen, wir konnten uns auf einem gewissen Niveau etablieren, unsere Schwerpunkte herausarbeiten und den historischen Ansatz immer mehr verdichten.

An diesem Ansatz kommt heutzutage keiner mehr vorbei, er ist eigentlich alternativlos geworden, inzwischen auch in der Wiener Klassik.
Eben, und das haben wir relativ frühzeitig erkannt. Wir sind aber fernab von jeglichen Schulen unterwegs, die es ja auch und gerade in Basel gibt, Stichwort Schola Cantorum Basiliensis. Wir haben dagegen unsere eigene Handschrift entwickelt und gehen relativ unprätentiös nach vorne. Wir schauen nicht so sehr nach rechts und links und fragen uns: Wie müssen wir den Bogen halten, welche Saiten müssen wie und womit umsponnen sein? Es geht uns mehr um die Musizierhaltung, und die Frage, wie geht man mit diesem historischen Ansatz um, wie ist das mit Körperarbeit verbunden?

Sie spielen also auf modernen Instrumenten historisch informiert, richtig?
Exakt, und mittlerweile relativ konsequent alles auf Darmsaiten.

Aber Sie pflegen auch Repertoire jenseits des Alte Musik- und Klassik-Repertoires?
Hier in Basel sind wir natürlich stark beeinflusst von den Ideen Paul Sachers, also sind wir sehr aktiv im neoklassizistischen Repertoire, vor allem mit Schweizer Komponisten wie Othmar Schoeck, Frank Martin und Arthur Honegger, und spielen alles, was zur Kammermusikgröße passt. Wir bringen auch punktuell Uraufführungen von Auftragskompositionen auf den Weg. Es ist uns wichtig, auch da am Puls zu bleiben und uns mit den gegenwärtigen Strömungen zu konfrontieren.

Wie kann ich mir das partizipative Prinzip vorstellen, wie genau kommen Programme des Orchesters zustande?
Es gibt schon gewählte Gremien, Orchestervertreter, die für eine gewisse Zeit das Orchester repräsentieren, da ist eine Konstanz drin. Wir müssen Programme für unterschiedliche Bedürfnisse entwickeln, ein Programm für unsere Heimatstadt Basel muss nicht unbedingt das richtige sein für eine Tour in Deutschland.

Wie finanzieren Sie sich?
Wir erhalten öffentliche Gelder, die decken etwa 14 Prozent unseres Budgets, was äußerst herausfordernd ist. Also vom Gesamtbudget von knapp sechs Millionen Franken kriegen wir 770.000 Franken, den kompletten Rest erspielen wir selbst.

Das ist aber sportlich, vor allem in diesen herausfordernden Zeiten!
Ja, aber ausgerechnet in diesem Jahr sind wir tatsächlich in Basel einen großen Schritt vorangekommen, unsere Konzerte im großen Saal des Casinos sind permanent ausverkauft und wir konnten nach Corona sogar die Abonnement-Zahlen enorm steigern.

Spüren Sie keine Konzertmüdigkeit der Post-Corona-Gesellschaft?
Hier in Basel überhaupt nicht, sogar das Gegenteil ist der Fall, wir spielen im Stadtcasino, einem altehrwürdigen Saal mit über 1300 Plätzen, wie gesagt stets vor ausverkauften Reihen. Wir sind mittlerweile sehr etabliert in Basel. Wenn wir unterwegs sind, sieht das mit der Auslastung allerdings zum Teil anders aus.
Ich nehme das mit der Auslastung als sehr unterschiedlich war, hier in Wien ist es ziemlich gut bis hin zu 100 Prozent, aber in Deutschland ist es zum Teil immer noch besorgniserregend.
Im Vergleich zur Schweiz ist Deutschland sicher noch einen Schritt hinterher, was die Reaktivierung des Publikums angeht. Das liegt vielleicht auch an den deutlich massiveren Einschnitten durch die strengeren Corona-Maßnahmen in Deutschland.

Längere und strengere Maßnahmen, das haben viele anscheinend immer noch verinnerlicht. Aber womöglich spielt auch die berühmte German Angst eine Rolle?
Das könnte sein.

Neu erschienen:

Joseph Haydn

Stabat Mater (Version 1803)

Birgitte Christensen, Kristina Hammarström, Steve Davislim, Christian Immler, Zürcher Sing-Akademie, Kammerorchester Basel, René Jacobs

Pentatone/Naxos

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Erscheint Mitte April:

Wolfgang Amadeus Mozart

„Anime immortali“

Franco Fagioli, Kammerorchester Basel

Pentatone/Naxos

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Seelen-Speise

Im April veröffentlicht das Basler Kammerorchester mit dem Star-Countertenor Franco Fagioli eine Aufnahme mit Arien, die Mozart für Kastraten komponierte: „Anime immortali“ entstand bereits vor dem zweiten Pandemie-Lockdown, Fagioli singt darauf unter anderem die Motette „Exsultate jubilate“, die Mozart für den Kastraten Venanzio Rauzzini komponierte, außerdem hoch virtuose Opern-Arien aus „Lucio Silla“, „La finta giardiniera“, sowie die berühmten Arien des Sesto aus „La clemenza di Tito“. Pünktlich zur Osterzeit erschienen ist bereits Joseph Haydns „Stabat Mater“ mit dem Kammerorchester Basel und der Zürcher Sing-Akademie unter der Stabführung von René Jacobs.

Regine Müller, 25.03.2023, RONDO Ausgabe 2 / 2023



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