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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Daniel Wilcox

Martin Fröst

Von Leidenschaften und Abgründen

Auf seinem neuen Album stellt der Klarinettist und Dirigent Mozarts Werke aus den bewegten letzten Lebensjahren ins Zentrum.

Mozarts Leben in Wien, wohin der Komponist 1781 übergesiedelt war, glich einem einzigen Auf und Ab. Künstlerischen und finanziellen Erfolgen standen ein nervenaufreibender Arbeitsalltag sowie häusliches Chaos gegenüber, an der Seite seiner Ehefrau Constanze genoss er einerseits das Leben in vollen Zügen und zahlte andererseits mit Schulden, die nervösere Geister für den Rest ihres Lebens um den Schlaf gebracht hätten. Ekstase und Abgrund – oder zu Englisch: Ecstasy and Abyss – sind die Extreme, zwischen denen Mozart so grandiose Werke wie die „Jupiter-Sinfonie“ oder das C-Dur-Klavierkonzert KV 503 komponierte; zwischendurch begab er sich auf Reisen, etwa nach Prag, wo er 1787 nicht nur seinen „Don Giovanni“ zur Uraufführung brachte, sondern auch seine 38. Sinfonie, die so genannte „Prager Sinfonie“, und vier Jahre später, 1791, die Krönungsoper „La clemenza di Tito“. Ebenfalls aus dieser Zeit stammt das Klarinettenkonzert, das Mozart im November in der Ekstase größter Inspiration vollendete – ehe er zwei Monate später in den Abgrund seines viel zu frühen Todes stürzte. „Ecstasy and Abyss“: Kaum sinnfälliger hätte Martin Fröst sein neues Album nennen können, auf dem er sich mit all diesen Werken auseinandersetzt.
„Tatsächlich ist Mozart so etwas wie der Komponist meines Lebens“, berichtet der schwedische Klarinettist, „sein Klarinettenkonzert hat mich erst zu meinem Instrument geführt – und zur Bassettklarinette, auf dem ich das Konzert auf meiner neuen Aufnahme spiele.“ Das damals so innovative Instrument hatte es Mozart – wie alle Instrumente aus der Klarinettenfamilie – besonders angetan, weshalb Frösts Entscheidung hierfür ganz mit den historischen Gegebenheiten im Einklang steht. Neben der Schönheit des Klangs und Gesanglichkeit und sprechenden Artikulation des Instruments war es vor allem der Einfluss des Klarinettisten Anton Stadler (1753–1812), der Mozart zu seinen Meisterwerken für die Klarinette und ihre Unterformen inspirierte. „Zudem verfügt sie vom obersten bis zum untersten Register über erstaunlich viele, höchst unterschiedliche Charaktere“, sagt Fröst. Und in der Tat: Möchte man die Wonnen der Ekstase und die Leiden des Abgrunds im Klang eines einzelnen Soloinstruments erfahrbar machen, bietet sich wohl kaum ein anderes als die Klarinette an.

Auf allen Registern

Martin Fröst spielt sie bereits seit seinem zehnten Lebensjahr und gilt nicht nur als einer der besten Klarinettisten der Welt, sondern auch als einer der vielseitigsten und unkonventionellsten. Schon seit vielen Jahren erweitert er sein normales Konzertprogramm durch szenische, multimediale und tänzerische Aktionen, berücksichtigt neben dem klassisch-romantischen Orchester- und Kammermusikrepertoire mit echter Leidenschaft auch Zeitgenössisches und, vom Mittelalter über Klezmer bis zum Tango, alle nur möglichen Formen von Musik. Dass Mozart dabei so etwas wie ein geheimes Zentrum bildet, beweist nicht zuletzt die Tatsache, dass die aktuelle Aufnahme des Klarinettenkonzerts bereits seine dritte („und definitiv letzte“) Einspielung dieses Werks darstellt. „Auch wenn Musik für mich etwas ist, was im jeweiligen Moment der Aufführung existiert, finde ich Aufnahmen immer interessant, weil sie mir den jeweiligen Stand meiner Auffassung vor Augen führen.“ Im Fall der Neueinspielung geht es dabei nicht zuletzt um die Partnerschaft mit dem Swedish Chamber Orchestra. Diesem feinen, flexiblen und bestens aufeinander eingestimmten Klangkörper ist Martin Fröst nicht nur als Solist eng verbunden; seit einige Jahren steht er ihm auch als musikalischer Leiter vor.
„Auch wenn ich niemals nur reiner Dirigent sein möchte, habe ich durch das Dirigieren doch auch sehr viel über mein eigenes Musizieren gelernt und einen ganz neuen Überblick über die Stücke gewonnen, die ich schon seit so vielen Jahren spiele,“ sagt Fröst. Schon vor einiger Zeit hatte er den Taktstock zum ersten Mal in die Hand genommen und ist nun dabei, sich gemeinsam mit seinem Orchester, aber auch mit anderen, Schritt für Schritt das sinfonische Repertoire zu erobern. Einen Eindruck hiervon vermitteln auch die beiden Sinfonien auf dieser als Doppelalbum angelegten Neuerscheinung, die Fröst und das Swedish Chamber Orchestra mit großer Verve und schlanker Eleganz in Angriff nehmen. Dass er als „dirigierender“ Solist im Klarinettenkonzert nicht der einzige Star ist, erklärt sich schon durch die Vielseitigkeit des Programms. Mit von der Partie, im Klavierkonzert KV 503, ist der französische Pianist Lucas Debargue – ein Musiker mit bewegter Biografie, der sich zwischenzeitlich ganz von seinem Instrument abgewandt hatte, um mit umso größerer Meisterschaft zu ihm zurückzukehren. Mit ihm verbindet Martin Fröst bereits seit Längerem eine künstlerische Zusammenarbeit. Ebenso auch mit der Sängerin Elin Rombo: „Wir kennen uns schon seit unserer Schulzeit.“ Sie ist gemeinsam mit Lucas Debargue in der konzertanten Rondo-Arie „Ch’io mi scordi di te?“ für Sopran und obligates Klavier zu hören, auf dem ersten Teil des Albums zwischen der „Jupiter-Sinfonie“ und dem Klavierkonzert: ein weniger bekanntes, und doch von größter Inspiration beschienenes musikalisches Produkt aus den ereignisreichen Wiener Mozart-Jahren. Eine weitere Sängerin, die Mezzosopranistin, Ann Hallenberg ist im zweiten Teil zu hören: in Sestos berühmter Arie „Parto, ma tu, ben mio“ aus „La clemenza di Tito“, die als programmatisches Scharnier zwischen der „Prager Sinfonie“ und dem Klarinettenkonzert steht. Hier hat Mozart das Bassetthorn als Duettpartner an die Seite der Gesangsstimme gestellt. Und auch hierbei zeigt sich, wie beredt das Instrument in Martin Frösts Händen von Leidenschaften und Abgründen zu singen weiß.

Neu erschienen:

Wolfgang Amadeus Mozart

„Ecstasy and Abyss“, Sinfonien Nr. 38 „Prager“ & 41 „Jupiter“, Klavierkonzert C-Dur KV 504, Klarinettenkonzert A-Dur KV 622, Konzertarien

Lucas Debargue, Ann Hallenberg, Elin Rombo, Swedish Chamber Orchestra, Martin Fröst Wolfgang Amadeus Mozart

Sony

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Stephan Schwarz-Peters, 08.04.2023, RONDO Ausgabe 2 / 2023



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