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N° 1354
20. - 28.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Olivia Kahler/Sony Classical

Rachel Willis-Sørensen

Volles Risiko

Die amerikanische Sopranistin singt auf ihrem zweiten Solo-Album Strauss pur. Noch ist nicht klar, wohin das führt.

Da werden sie beim Label sicher in die Tischkante gebissen haben. Dabei war alles so schön aufgestellt: Passend zum bedeutenden Rollen-Debüt als Arabella in einer Inszenierung von Starregisseur Tobias Kratzer an der Deutschen Oper Berlin wurde das zweite Solo-Album von Rachel Willis-Sørensen veröffentlicht. Ebenfalls Strauss pur und noch dazu gleich das Kostbarste, Schwierigste, Gefühligste wie Gefährlichste von ihm: Die Vier letzten Lieder und die „Capriccio“-Schlussszene. Und dann wurde Berlin abgesagt – „aus gesundheitlichen Gründen“. Manchmal ist es eben nicht leicht, eine Sängerin zu sein.
Die erste Reaktion auf Willis-Sørensens Debüt-Album vor einem Jahr: Unwillen. Schon wieder so eine Sopran-Visitenkarte als Tutti-Frutti-Mix aus Verdi, Mozart, Puccini etc. Würden das wieder lauter in ihrer Ausschnitthaftigkeit gleichschmeckende Pflaumenkuchenstücke des Arienrepertoires sein? Dargeboten von einer fleißigen Amerikanerin, die nun als „Rachel“ lieblich photoshopgesoftet in das Booklet-Kameraobjektiv blickte? Die Wirklichkeit war aber gar nicht so schlimm: Rachel Willis-Sørensen, 1984 geborene US-Sopranistin mit dänischem Ex-Ehemann, die gerne von ihrer Agentur als Begleitstimme von deren Star Jonas Kaufmann dem Betrieb offeriert wird, hat sich zwar noch nicht wirklich ein Rollenprofil erarbeiten können. Das schlingert zwischen französischem Repertoire und viel Mozart (in ihrer Dresdner Zeit 2012-15) mit ein wenig Italienischem so dahin, die Stimme selbst würde eigentlich zu lyrischem Wagner tendieren. Denn da ist viel Fülle und Metall. Sie selbst möchte unbedingt aber auch Belcanto singen. Sei es drum.
Willis-Sørensen absolvierte ihren Master in Gesang und Gesangspädagogik an der Brigham Young University und am Studio der Houston Grand Opera bei Mezzo-Legende Dolora Zajick. 2008 gab sie ihr Operndebüt, bald folgten die Elsa in „Lohengrin“, 2012 die Gräfin in „Figaros Hochzeit“ am Royal Opera House in Covent Garden und die erste Strauss-Titelrolle in „Ariadne auf Naxos“.
Das erste Album offenbarte dann eben nicht Durchschnitt, sondern besondere Qualitäten: Beteiligtsein, Frische, Leichtigkeit in der Höhe, eine live selten so bei Willis-Sørensen gehörte Cremigkeit. Und nun das Nachfolge-Album: Wieder blickt sie uns an, blondiert über rosa Blümchen, und singt Strauss. Da liegt die Latte sehr, sehr weit oben, da tanzen all die elegant-geistvollen, jubelnden Vokalgeister wie Schwarzkopf und Della Casa, Janowitz und Tomowa-Sintow, auch Isokoski und Harteros. Und auch der Instrumentalanteil ist nicht ohne: Der noch unter dem Eindruck einer orchestralen Strauss-Gesamteinspielung stehende, also sattelfeste Andris Nelsons dirigiert sein Gewandhausorchester.
Auch bei Strauss ist mehr Wohllaut als erwartet, mehr spezifisch animiertes Talent. Aber auch schwergängige Dunkelheit. Das sorgfältig exekutierte „Capriccio“-Finale hat man schon raffinierter, schillernder, wortnachhorchender erlebt. War Rachel Willis-Sørensen also mit diesem Album gut beraten? Der Live-Eindruck, der mehr über den Zustand ihrer Stimme verraten hätte, er steht noch aus.

Neu erschienen:

Richard Strauss

Vier letzte Lieder, Schlussszene aus „Capriccio“

Rachel Willis-Sørensen, Gewandhausorchester, Andris Nelsons

Sony

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Manuel Brug, 25.03.2023, RONDO Ausgabe 2 / 2023



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