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N° 1354
20. - 29.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Blind gehört

(c) Neda Navaee

Blind gehört – Tanja Tetzlaff 

„Wenn’s knallt, dann knallt’s“

Tanja Tetzlaff, geboren 1973 als jüngere Schwester des Geigers Christian Tetzlaff, ist eine der bedeutendsten deutschen Cellistinnen. Sie studierte bei Heinrich Schiff und war von 1996 bis 2006 Solo-Cellistin der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen (bis vor fünf Jahren spielte sie noch gelegentlich als Gast). Als Kammermusikerin trat Tetzlaff regelmäßig mit Lars Vogt, ebenso mit Leif Ove Andsnes, Antje Weithaas und Baiba Skride auf. Seit 1994 ist sie Gründungsmitglied des Tetzlaff-Quartetts. Verheiratet ist sie mit dem Geiger und Dirigenten Florian ­Donderer. Mit ihrer Familie lebt sie in Bremen.

Ich kenne das Werk eigentlich eher mit Cembalo. Das Klavier steht hier sehr im Vordergrund. Aber es funktioniert. Eigentlich sogar wunderschön! Da höre ich jemanden, der vom modernen Klavier herkommt, und sehr schön zu phrasieren weiß. Irgendwo groovy, das Ganze, überhaupt nicht romantisierend. Das Orchester verwendet ein modernes Instrumentarium, ist aber mit Barockmusik vertraut: Man spielt ohne Vibrato, die Stimmen sind klar geführt. Das könnte die Kammerphilharmonie Bremen sein. Man hört das Bedürfnis, stilgerecht, aber doch sehr lebendig zu spielen.
Bei der Kammerphilharmonie haben wir diese Werke von Bach mit verschiedenen Solisten aufgenommen, mit Hélène Grimaud und David Fray. Ich war bei beiden Aufnahmen allerdings nicht dabei. Sondern zuletzt hauptsächlich bei den großen sinfonischen Projekten von Paavo Järvi. Also, bei Grimaud, glaube ich, wäre das Orchester noch mehr im Hintergrund. Also müsste es David Fray sein. Er hat die Aufnahmen auch dirigiert. Ob mit oder ob ohne Dirigent, das könnte man bei Live-Mitschnitten durchaus erkennen. Und zwar an mehr Spontaneität, wenn ein Dirigent vorne steht, der es koordinieren kann. Vom Konzertmeisterpult aus wäre das schwer herzustellen. Bei dieser Aufnahme, nebenbei, saß dort sicherlich mein Mann.

J.S. Bach

Cembalokonzert d-Moll BWV 1052

David Fray, Deutsche Kammerphilharmonie Bremen

2008, Erato/Warner

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(Schweigt lange) Doch, gefällt mir. Mit Gunilla Süssmann habe ich das oft gespielt, das Stück hat für mich eine wirklich riesige Bedeutung. Leider spielt Gunilla nicht mehr. Das hier finde ich wunderschön. Und muss sogleich zugeben, dass ich noch nie im Leben eine Aufnahme von dem Werk gehört habe. Interpretieren würde ich es meinerseits wohl ähnlich: eher frei im Tempo, sehr flexibel im Gebrauch des Vibratos. Mal so, mal so. Ob man erkannt werden will am Vibrato, oder ob man tausend verschiedene Variationen davon bevorzugt, ist Ansichtssache. Ich selber variiere lieber. Genau das war auch die Lehre und Grundansicht meines Lehrers Heinrich Schiff. Er hatte für jeden Ton ein anderes Vibrato. Und genau das höre ich hier. Also könnte es wohl Schiff sein, oder? – Er wollte spielen, so wie man erzählt. Mit größtem Ausdruckswillen, noch auf winzigstem Raum.

Sergei Rachmaninow

Cello-Sonate

Heinrich Schiff, Elisabeth Leonskaja

1984, Philips/Universal

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Sehr lebendig, frisch, zügig. Schöne Kontraste. Ich glaube, es ist ein größeres Orchester. Ein paar mehr Streicher, aber herrlich wendig dabei. Dieser Eindruck könnte andererseits aber auch an der Aufnahme selbst liegen. Sehr gute Pauken. Sehr impulshafte, kleine Explosionen. Das dürften wieder die Bremer sein, aber zu einer Zeit, wo ich mich trotz Paavo Järvi schon mehr und mehr rausgehalten habe. Unter Daniel Harding habe ich bei solchen Werken noch oft mitgespielt. Erkennen kann ich das Orchester an der Pauke und aufgrund der Trompeten. Die Tradition dieses Ensembles besagt, dass es ordentlich … knallen darf. Und der Unterschied zwischen Järvi und Harding bestand darin, dass jener immer sehr lange herumfeilt. Während es bei Harding recht rasche Zweitagesaktionen gewesen sind.

Ludwig van Beethoven

Ouvertüre „Die Geschöpfe des Prometheus“

Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Paavo Järvi

2012, RCA/Sony

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Das ist doch „Don Giovanni“. Sehr fließend, und sehr rasch. Verrückt, was man da sonst oft an kriechenden, langsamen Bewegungen vorgesetzt bekommt. Hier ist alles quicklebendig, von Beginn an. Das Ensemble klingt, als ob es auf alten Instrumenten spielt. Wer könnte das sein? Vielleicht John Eliot Gardiner, aber der ist weniger übersprungshaft. Hier eben fand ich es etwas verharmlosend. Aber lieber so als verweichlicht. Das könnte das Mahler Chamber Orchestra in Aix-en-Provence sein, oder? Passt ganz zu Harding.
Der Unterschied zur Kammerphilharmonie: Wir waren und sind nicht ein Orchester von jungen Leuten, die sich immer mal wieder treffen. Wir sind sesshaft. Auch das Demokratische ist in Bremen von jeher stark ausgeprägt. Viele sind jetzt um die 60. Und das macht die Sache wiederum gefährlich. Der Umbruch ist groß.

Wolfgang Amadeus Mozart

Don Giovanni

Mahler Chamber Orchestra, Daniel Harding

1999, Virgin/Warner

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Sehr unbesorgt gespielt, finde ich. Wenn’s knallt, dann knallt’s. Das könnte sogar jemand aus Norwegen sein, wegen dem sehr natürlichen Rhythmusgefühl. Sehr aus dem Bauch heraus. Außer Gunilla Süssmann fällt mir da nur Leif Ove Andsnes ein. Nur hätte ich gedacht, der würde es weicher spielen. Er wird es wohl trotzdem sein. Der probt in Wirklichkeit unglaublich viel und legt vieles fest. Als ich jung war, habe ich ihn unglaublich angeschwärmt und toll gefunden. Das können Sie ruhig schreiben. Den habe ich verehrt.

Edvard Grieg

„Hochzeit auf Troldhaugen“ (Lyrische Stücke, op. 65/VI)

Leif Ove Andsnes

1990, Warner

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Da hören wir jemanden aus der alten Schule. Sehr gerade durchgespielt. Wenig Nuancen. Bei uns heute würde es mehr um Phrasierung gehen, um Sprachliches, Tänzerisches. Hier dominiert vor allem ein durchgezogenes Tempo, so als würde ein einheitlicher Zustand beschrieben. Stilistisch finde ich das recht weit von dem entfernt, wie ich selber Bach spiele. Da will jemand nicht zuletzt und vor allem einen sehr schönen Klang – so wie das früher einmal Mode war. Schwierig ist dieses erste Stück eigentlich nicht. Ich könnte mir vielleicht vorstellen, dass es jemand wie Mstislaw Rostropowitsch ist. Ein echter Solist, allerdings auch weit entfernt von dem, was heute aufführungspraktisch für richtig und schön empfunden wird.

J.S. Bach

Cello-Suite Nr. 1, BWV 1007

Mstislaw Rostropowitsch

1991, Warner

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Das zweite Brahms-Trio. Ich würde glauben, dass es unsere Aufnahme ist. Ach!! Der etwas verschleierte Klavierpart. Christian und ich dagegen haben eine ähnliche Art, die Töne zu formen und ins Vibrato zu gehen. Mal mehr, mal weniger. Und Lars – furchtbar vermisst – besaß eine Fähigkeit, mit den Streichern zu verschmelzen; was man ja eigentlich gar nicht kann … Unglaublich. Fehler waren völlig egal. Ihn hat es geärgert, dass es so viel um Perfektion geht in der Musik. Und er hatte Recht damit. Die Fehler sind nicht das, was übrig bleibt. Aber die Tränen.

Johannes Brahms

Klaviertrio Nr. 2

Christian Tetzlaff, Tanja Tetzlaff, Lars Vogt

2014, Ondine/Naxos

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Ich kenne das Stück nicht einmal. Ältere Aufnahme. Super virtuos. Cellistisch ganz, ganz toll. Fantastisch!! So klar und sauber. Gestochen scharf. Ein sehr enges Vibrato. Großartig. Vom Ton her würde ich einen Russen vermuten. Aber er hat Witz. Das könnte, mit anderen Worten, Daniil Shafran sein. Das Vibrato ist so intensiv, dass es fast ‚überschlägt‘. Das hat etwas Brennendes, was für Schumann vielleicht nicht angemessen wäre, aber hier schon. Shafran, von vielen Cellisten wirklich hochverehrt, war so ein bisschen der Ivry Gitlis unter den Cellisten. Und hier verstehe ich, was so überragend an ihm war. Danke, was für eine fantastische Entdeckung!

Dmitri Kabalewski

Cello-Konzert Nr. 1 g-Moll, op. 49

Daniil Shafran, Großes Symphonie-Orchester, Dmitri Kabalewski

1952, Brilliant Classics/Edel

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Zuletzt erschienen:

Franz Schubert

Klaviertrios

Christian und Tanja Tetzlaff, Lars Vogt

Ondine/Naxos

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Robert Fraunholzer, 08.04.2023, RONDO Ausgabe 2 / 2023



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