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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Agnete Brun

Sandra Lied Haga

Liebe zur Vergangenheit

Auf musikalisch-familiärer Spurensuche mit der norwegischen Cellistin in Bergen.

„Ob ich als Kind gern Prinzessin gespielt habe?“ Ein ansteckend herzliches Lachen ist die Antwort. „Ich habe es nicht gespielt – ich hatte mich schon früh entschieden Prinzessin zu sein.“ Als ihre Freudinnen noch Puppen in die Hand nahmen, schaute die kleine Sandra Lied Haga schon auf ihre eigenen Kleider („ich mochte nie Hosen tragen!“) und stylte sorgfältig ihre lange dunkle Haarpracht. Und als ihre Klassenkameradinnen noch die Stupsnäschen in Mädchenbücher steckten, stand die junge Norwegerin mit dem bildhübschen Antlitz bereits auf der Konzert- und Ballettbühne. „Wahrscheinlich hatte dieser Traum auch etwas mit meinem Faible für Schönheit zu tun – sei es nun in der Musik, der Kunst, der Kleidung oder eben auch der Frisur“, blickt die heute 29-Jährige schmunzelnd auf ihre Kindheit zurück.
Inzwischen ist aus der Prinzessin mit dem porzellanhaften Teint eine Königin auf vier Saiten geworden. Hat sich das einstige Wunderkind in eine junge Cellistin verwandelt, die auch über die Konzertsäle ihrer skandinavischen Heimat hinaus das Klassik-Volk in aller Welt zu Beifallsbekundungen hinreißt, voller Hochachtung für eine ebenso virtuose wie lyrisch bezaubernde Künstlerin und deren außergewöhnlichen Klangreichtum sowie ihre faszinierende Natürlichkeit. Die ihr nun bereits auf ihrem zweiten Album die Freiheit eröffnet, eine Werkauswahl jenseits der üblichen Klassiker zu treffen und allein auf die packende musikalische Realisierung zu setzen – denn wer würde sich schon die Cellosonate einer Rita Strohl anhören? Doch Lied Haga war und ist tief von der großen dramatischen Sonate „Titus et Bérénice“ der französischen Komponistin und Pianistin (deren Werk nach ihrem Tod 1941 in Vergessenheit geriet) überzeugt und schürft mit ihrer Pianistin Katya Apekisheva auf dem Album wie auch jüngst auf deren Präsentation in Bergen ungemein tief in dem gleichnamigen Liebesdrama Jean Racines.

Naturgewalt norwegischer Romantik

„Ich liebe romantische Musik“, bekennt die Cellistin nach ihrer leidenschaftlichen Interpretation des Strohl’schen Viersätzers in Troldhaugen: Just in jenem Refugium, das hier einst der musikalische Nationalheilige Edvard Grieg auf einer felsigen Landzunge südlich der zweitgrößten norwegischen Stadt erwarb und auf deren zugewachsener, wilder Bergkuppe er seinen Traum vom eigenen Heim verwirklichte. Heute Museum inmitten einer verwunschenen Landschaft samt jener Komponistenhütte, in die sich Grieg zum Schreiben zurückzog, um den Blick dann oft stundenlang über das Wasser schweifen zu lassen, hat hier Lied Hagas Großvater Sverre Lied vor bald vier Jahrzehnten einen Kammermusiksaal in die Natur „gezaubert“: Von außen kaum wahrnehmbar, eröffnet sich dem Publikum im Inneren im Rücken der beiden Künstlerinnen auch an diesem Nachmittag der berauschende Blick aufs Wasser und die Grieg’sche Schreibstube. „Seine Vision als Architekt war immer, dass die Gebäude nicht die Erhabenheit und Schönheit der Natur stören sollten.“
Eine große Liebe und tiefe Bewunderung schwingen mit, wenn die Musikerin von ihrem Vorfahren erzählt, der in Bergen zahlreiche architektonische Spuren hinterlassen hat, vom Stenersen-Museum in Bergens Kunstmeile am Ufer des Stadtsees Lille Lungegårdsvann bis zu den eigenen zwei „Wohnquadern“ an einem eigentlich nicht bebaubaren Hang auf halber Höhe zum städtischen Hausberg Fløyen. Stets aber getragen von seiner Liebe zur Natur – „er hat bis ins hohe Alter hier alles zu Fuß gemacht“ –, die auch seine Enkelin prägt, seit sie als Kind ihre Sommer hier mit Wandern und Schwimmen verbrachte oder winters mit ihm auf Skiern die majestätischen Gipfel im Hinterland erklomm. Touren, auf denen er ihr von so vielen Dingen des Lebens erzählte wie auch menschliche Werte zu vermitteln wusste. Und so ist es denn auch weit mehr als schlichte Familientradition, wenn die Cello-Prinzessin bekennt: „Ich möchte sein Erbe fortführen.“
Gleichwohl die Liebe zur Musik von ihrer Urgroßmutter und deren Tochter stammt, die als Pianistin nicht zuletzt oft im Grand Terminus auftrat: Bergens ältestem Hotel, dessen Eleganz und klassischen Stil Lied Haga bis heute weit mehr schätzt als den Luxus aller moderner Fünf-Sterne-Herbergen. „Ich hätte gern im 18. Jahrhundert gelebt“, bekennt die Norwegerin schmunzelnd, während sie genussvoll an einer Trinkschokolade mit 70-prozentigem Kakaoanteil nippt – „heiße Schokolade ist mein Leben!“. Da ist sie wieder die Prinzessin: Ohne Allüren, doch mit einem ausgeprägten Sinn für Schönheit und Stil vergangener Zeiten. Ob daher auch ihre Liebe zur Romantik rührt? Natürlich bringt ihr Instrument schon eine Neigung für musikalische Seelenschauen mit sich – und doch bedarf es dann eben auch der nötigen Gestaltungsfantasie, um ein Werk wie César Francks A-Dur-Sonate in all ihrem Kontrast- und Stimmungsreichtum vollends auszuschöpfen wie jüngst in Troldhaugen: Geprägt vom Klangideal ihres ersten Lehrers Truls Mørk, dessen Sinn für die reine Schönheit auch ihr Spiel heute trägt. Und in diesem Moment wird deutlich, dass es weit mehr ist als nur ein werbewirksames Lippenbekenntnis, wenn Sandra Lied Haga beim Blick über diese unwirklich schöne Fjordlandschaft feststellt: „Mein Herz ist hier tief verwurzelt …“

Neu erschienen:

Rita Strohl, César Franck

Romantische Kammermusik für Violoncello und Klavier

Sandra Lied Haga, Katya Apekisheva

Simax/Naxos

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Christoph Forsthoff, 20.05.2023, RONDO Ausgabe 3 / 2023



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