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Kalter Nieselregen hat eingesetzt, doch Hans-Christoph Rademann, mit dem wir den Probensaal des RIAS Kammerchores verlassen, stört das nicht. Als gälte es, uns auf eine gefährliche Mission einzuschwören, wiederholt er seine Botschaft: Wie wichtig es sei, dem Mainstream zu trotzen und sich auch für unterbewertete Komponisten einzusetzen. Die Erregung, die der sonst so kontrolliert und sachlich wirkende Dirigent zeigt, hat ihren Grund. Schließlich hat sich Rademann vorgenommen, eine Reihe unbekannterer Werke von Mitgliedern der Bach-Familie nicht nur vorzustellen, sondern sie auch so eindringlich zu präsentieren, dass sie als Meisterwerke anerkannt werden.
Er ist gut vorbereitet: Die mitteldeutsche Musiktradition ist dem Kantorssohn aus dem Erzgebirge von Jugend auf vertraut, und mit dem von ihm gegründeten Dresdner Kammerchor hat er schon eine Vielzahl unbekannter Partituren neu entdeckt. Auch die Zusammenarbeit mit dem RIAS Kammerchor hat sich glücklich entwickelt: Als Rademann 2007 von Daniel Reuss den Posten des Chefdirigenten übernahm, befand sich der Chor auf dem Weg von dem in der englischen Tradition der Alten Musik verwurzelten Klangideal seines langjährigen Leiters Marcus Creed zu einer größeren Körperlichkeit.
Rademann, der zunächst von Helmuth Rilling beeinflusst war, bevor er sich verstärkt der historischen Aufführungspraxis zuwandte, konnte die Klangideen seiner Vorgänger versöhnend weiterentwickeln. Das gemeinsame Ideal eines zugleich körperlichen wie auch fokussierten Klangs habe dabei eine enge Verwandtschaft mit dem, was er als ›sächsischen Klang‹ empfinde, ein Klang, wie man ihn von Silbermann-Orgeln oder von der Sächsischen Staatskapelle kenne, mit einer »leuchtenden Rundung«, dunkel und hell zugleich, »wie Gold, das dunkel ist und hell glänzt«. Doch über allem steht das Ziel, zu einer vollständigen emotionalen Identifikation mit Wort und Musik zu finden.
Wie wichtig es sei, Komponisten nicht vorschnell aus einer begrenzten Hörerfahrung heraus zu bewerten, lernte Rademann bei der Auseinandersetzung mit den geistlichen Werken von Johann Christian Bach. Denn es sei ihm nicht leicht gefallen, sofort den ganzen Zauber zu verstehen, den die Musik des jüngsten Bach-Sohns auf Zeitgenossen wie Mozart ausgeübt habe.
Die erste CD der Reihe ist jedoch Johann Ludwig Bach gewidmet – oder genauer: der Trauermusik, die der Bach-Vetter für Herzog Ernst Ludwig von Sachsen-Meiningen schrieb. Dass sich Johann Sebastian Bach von dem doppelchörigen, oratorienhaften Werk zu seiner »Matthäus- Passion« anregen ließ, will Rademann gerne glauben. »Es ist ein Meisterwerk. Wie das zwischen großer Einfachheit volkstümlichen Charakters und extremer Moderne hinund hergeht, ist zum Teil sogar viel wagemutiger. « Doch kann man eine Trauerkantate, die in Trompetenjubel endet, heute noch ernst nehmen? Für Rademann ist der Umgang mit so viel Glaubenszuversicht kein Problem.
Für die Arbeit mit dem Chor sei entscheidend gewesen, dass die durchaus theatralische und sinnliche Art, in der Johann Ludwig Bach den Übergang von der Düsternis des irdischen Lebens zu einer lichtdurchfluteten, visionären Zukunft schildere, einer zwingenden musikalischen Logik folge.«Wir alle lieben Musik – und die Musik entspricht dem Text. Und wenn die Worte empfunden werden und ein ehrlicher Ausdruck entsteht, dann muss ich nicht mehr über religiöse Dinge reden. Es entwickelt sich eine eigene Dynamik und dann ist die Botschaft da. Wir müssen einfach nur klar sprechen.«
Carsten Niemann, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 1 / 2011
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