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Ray Chen kann kein Chinesisch. Der Mann sieht vielleicht aus wie die taiwanesische Antwort auf Lang Lang. In Wirklichkeit verließ Chen seine Heimatstadt Taipeh im Alter von sechs Jahren. In Richtung Australien. Mit acht Jahren trat er erstmals öffentlich mit einem Orchester auf. Ein Jahr später lud man ihn zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele nach Osaka ein. Schließlich ging er nach Amerika.
Kürzlich gewann er einen der renommiertesten europäischen Geigenpreise, den Königin Elisabeth Wettbewerb in Brüssel 2009. All das, obwohl Ray Chen nach einer Methode begann, die hierzulande manche für Pillepalle halten (und zu der sich wenige Geiger, die nach ihr gelernt haben, bekennen). Ray Chen steht zur: Suzuki- Methode. Bei der lernt man zunächst ohne Noten. Und Mama muss aufpassen, dass das Kind zuhause immer schön übt.
Dem 21-Jährigen, der sich zum Interview direkt am Frühstückstisch seines Berliner Hotels abholen lässt, haftet längst nichts Schülerhaftes mehr an. »Keine gute Zeit für Violinisten!«, meint er abgeklärt. »Wo ist der Nathan Milstein von heute? Wo sind ganz große Geiger wie Heifetz, Oistrach oder Kreisler?« Mit denen könne heute doch keiner mithalten. Ehrlich gesagt: Da ist nicht nur viel Wahres dran. Es verrät immerhin einen Bildungsgrad, hinter dem sich andere junge Geiger, die nur ihre eigenen Kollegen kennen, verstecken können.
»Mit drei Jahren bekam ich eine Spielzeug-Gitarre in die Hand, die ich mit Ess-Stäbchen traktierte «, erzählt Ray Chen. Nachdem man ihm eine Geige gegeben hatte, flüsterte ihm seine Mutter ins Ohr: »Wenn du keine Lust hast zum Üben, mach erst einmal etwas anderes.« Immer wieder sei er auf diesen Trick hereingefallen – und habe geübt. Gerade deswegen sei es auch »just for fun« gewesen.
Stolz ist er auf die winzige Glitzer-Fliege, die er am Vorabend beim Glasunow-Violinkonzert in der Philharmonie getragen hat. Sie sei zart wie Schnee, könne eingedrückt werden und behindere dadurch den Klang der Violine kein bisschen. Stolz sein könnte er auch auf den weichen, weiten und bei Bedarf dunklen Ton, den er so erzeugt.
Er kann sogar noch brillanter. Funkelnd und leicht schwingen sich die Linien in Bachs berühmter »Chaconne« auf seiner Debüt-CD von einem Kontrapunkt zum nächsten. Schönheitstrunken und von feinem Tiefsinn durchwebt, prickelt Tartinis »Teufelstriller-Sonate«. Weite und formale Strenge atmet die Sonate von César Franck. Die CD versammle »einige der schönsten Violinwerke« überhaupt, meint Chen.
Seine Grenzen kennt er auch. Fürs Berg-Violinkonzert findet er sich noch nicht reif. Kammermusik, das hat er bei einigen seiner Lehrer (Mitgliedern des Guarneri-Quartetts) gelernt, geht vor. Der Student des Curtis-Instituts in Philadelphia (wo Chen heute lebt) hat von dort auch die Kernbotschaft der vielleicht renommiertesten Musikhochschule in Amerika übernommen: die Philosophie der langen Linie. Die beinhaltet einen Vorrang des Fließens, der Tonschönheit der Gesangslinie in der Musik. Virtuosität also an der langen Leine. Der Taiwaner mit der Glitzer- Fliege ist eine der größten Hoffnungen der Geigen- Zukunft.
Robert Fraunholzer, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 1 / 2011
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